Es war ein ungemein kalter Dezembermorgen, als Vlad Draconis mit seinem Ross durch die verschneiten Ländereien von Prisluma ritt. Der Nebel hing tief in den frühen Morgenstunden und verhüllte die Tannen der umliegenden Haine. Nur langsam bewegt sich der graue Schimmel. Auch Vlad hüllte sich in Müdigkeit und seinen warmen Mantel.
Als plötzlich etwas über die Straße huschte. Das Pferd erwachte voll Schreck und bäumte sich auf. Nur mit Mühe gelang es Vlad im Sattel zu bleiben und das Pferd zu beruhigen. "Guhl, du elendiger Gaul! Du fürchtest keinen Geist, aber ein Eichhörnchen!"
Vlad bleckte sich unweigerlich die Zähne. Seltsam, das war das Zeichen, dass eine größere Menge Blut in der Nähe war.
Hier?
Er stieg vom Pferd und ließ seine Sinne wandern. Der Hauch von Blut er war deutlich zu vernehmen, dort im Hain schien seine Quelle. Vlad fuhr sich mit der bleichen Hand über das aschfahle Gesicht. Eigentlich hatte er der kriminalistischen Laufbahn den Rücken gekehrt. Zu lang, zu viel, war er in der Spurensicherung gewesen. Eine der wenigen Berufe in der ein Vampir seine Talente gut zur Geltung bringen konnte. Schließlich konnte ein Vampir am bloßen Blutgeruch so viel erfahren und deuten, wie manch einer über Wochen im Labor nicht vermochte.
"Geschlecht männlich, keine Blutkrankheiten oder Anomalien, wahrscheinliche Todesursache Blutverlust, gestorben gegen 4:00 des heutigen Tages."
Erst jetzt bemerkte Vlad, dass er das Standardprotokoll heruntergebeten hatte. Die Zeit der Spurensicherung war wohl doch nicht von ihm gewichen und kehrte wie ein Schatten alter Tage zurück.
Der Vampir zögerte, ob er denn wirklich in den Hain gehen sollte.
Würde er gehen, müsste er womöglich wieder mit alten Bekannten zusammenarbeiten.
Würde er es nicht tun, wäre seine Neugierde unbefriedigt und er untergräbe sein Bedürfnis nach Gerechtigkeit.
Diesem Bedürfnis war es zu letzt geschuldet, dass er sich von seinem Pferd entfernte und in Richtung des Hains ging.
Es war ihm, als hätte der Hain eine dunkle Präsenz oder Aura, die immer stärker sich zur Schau stellt, als er sich den Tannen näherte. Vlad schüttelte den Kopf, Hirngespinste halfen zu keiner Zeit weiter. Es gab in dieser Welt keine Dinge, welche sich nicht durch Logik erklären ließen, so fantastisch auch manche Erklärung schien. Solange er von diesem Grundsatz ausging, konnte er immer zu die Wahrheit im übrigen finden.
Langsam schritt der Vampir durch den Nebel, welcher sich immer mehr zu lichten schien und so die ersten Sonnenstrahlen des goldenen Morgens die Nebelsuppe durchbrechen konnte.
"Wer ist da?!?", fauchte der Vampir. Er spührte doch, dass hier noch jemand war. Viel zu stark für ein Hirngespinst! Irgendetwas lebendiges.
Aufgeschreckt vom Zischen des Vampirs huschte ein Eichhörnchen über den Weg.
Vlads Nerven waren wohl doch einfach überreizt. Aber es war schon seltsam, dass er in so kurzer Zeit zu dieser Jahreszeit zwei Eichhörnchen sah. Der Vampir schüttelte den Kopf: Wo dachte er hin? Sein Kopf folgte der Richtung, in der das Tier verschwunden war.
Da erblickte er eine Lichtung und wusste, dass dort das Opfer seien musste. Ein tiefer Atemzug ließ ihn die Beherrschung waren nicht einfach durch das Gebüsch zu eilen. Er beschleunigte seinen Schritt. Nach Möglichkeit wollte er den Tatort unberührt lassen oder weites gehend unberührt. Vlad folgte weiter dem Weg und stellte fest, das nicht nur auf dem Weg keine Spuren gewesen waren, sondern auch um das Opfer herum.
"Sehr seltsam.", raunte der Vampir im Flüsterton, als wollte er die heilige Stille des Tatorts nicht stören. Er besah sich genaustens den Leichnam und dessen Position. Bevor er näher schritt zückte er eine Rolle Pergament und sprach einen Zauber, ein Blitz entwich. Schon zeigte sich die Szenerie auf der Pergamentrolle. Vlad griff nach einer weiteren Rolle in seiner Tasche und flüsterte die Begebenheiten des Falls und den genauen Ort hinein. Als er den Adressaten nannte, verwandelte sich die Schrift in eine Taube aus reinen Runen. Der Vogel schüttelte sich und flog in die Luft. Bald schon würde er Sagenland Yokai, die Ermittlungskommission aller Verbrechen des Großen Fantasreiches die Botschaft überbringen und wieder die Gestalt einer Notiz annehmen.
Ehe die Ermittler, welche Vlad schon häufig als Stümper betitelt hatte, vor Ort seien würde, legte der Vampir selber Hand an und begann den Tatort und die Leiche aufs allergenaueste zu untersuchen. Alle Berufsehre und jeder Funken seines Könnens stellte er zur Schau, auch wenn er kein Publikum hatte. Vielleicht ein Eichhörnchen, dachte Vlad mit einem Lächeln und verwarf den Gedanken sofort wieder. Das gehörte nun wirklich nicht zum Fall.
Langsam schritt der Vampir mit wachsamen Augen zur Leiche.
Ein Weihnachtswichtel, sein Sack war zerrissen und alle Geschenke verteilt. Teilweise zerbeult und zerfleddert. War ein bestimmtes Geschenk dacon Motiv für den Täter gewesen? Nein, sonst würde er die anderen nicht so verstreuen, oder doch? Zur Täuschung? Erst die Fakten, dann die Theorien!, befahl sich der Vampir. Wieso kochte nur sein Jagdtrieb so sehr?
Der kleine Wichtel lag mit dem Kopf zum Boden, Vlad kniete sich nieder und befühlte den Körper. Er hatte etliche Knochenbrüche, wahrscheinlich alle noch sehr frisch. In der rechten Jackentasche des Wichtels fand Vlad zwei Kerzenstummel.
"Wirklich seltsam.", entglitt es ihm.
Der Vampir drehte den Wichtel zur Seite und traute seinen Augen nicht: Ein blutiges W befand sich unter dem Körper des kleinen Wichtels.
Eine Botschaft des Täters? Oder des Opfers? Vlad schüttelte wieder den Kopf. Der kleine Wichtel er war sicher sofort tot gewesen, die Botschaft sie musste vom Täter stammen. Doch wieso? Ein Hinweis? Eine Herausforderung?
Plötzlich hielt Vlad inne, auf dem W lag eine kleine Feder. Ihr weißes Daunengewand war nicht beschmutzt vom Blut. Sie gehörte sicher keinem Vogel, dafür war der Flaum zu fein und der Schein der Feder zu rein. Doch wem dann?
Das W es war lange vor dem Wichtel da gewesen und was auch immer den Wichtel hierher brachte, es hatte die Feder verloren. Da war sich Vlad ganz sicher. Doch wie geschah das nur? Und was hatte es mit den zahllosen Knochenbrüchen auf sich? Wieder schien es ihm, als sei im Gebüsch ein Eichhörnchen. Was war bloß mit diesen Tieren? In diesem Moment fiel die erste Schneeflocke des jungen Tages und ließ Vampir nach oben blicken.
Da hörte er das Wiehern zahlloser Gäule und Geschrei von Yokai-Sirenen. Eine wirkliche lästige Gedankenunterbrechung. Drei Vierspänner-Kutschen mit den schnellsten Pegasus waren auf die Runentaube angerückt. Die Oni mit ihren schwerfälligen Schritten und schwingenden Schlagkeulen waren drauf und dran Vlad den gar aus zu machen und mit ihrer wüsten Aktion vernichten sie noch gleich Teile des Tatorts!
"Nehmt gefälligst Haltung an!", fauchte Inspektor Hidetorii, ein Halboni, der zwischen den Hühnen wie der allerkleinste Zwerg wirkte, dabei doch eine, nach seiner Meinung stattliche Größe, von anderthalb Metern erreichte. Sein Gesicht verbarg das gehörnte Wesen stets hinter einer Kabuki-Maske. Warum er sich hinter der weißen Masken mit den roten Linien verbarg, darüber konnte man nur mutmaßen, manche behaupten er verstecke eine Narbe eines gefürchteten Kriminellen dahinter, andere sagten er sei von Natur aus einfach kein Schönling aber Eitel gewesen und wieder andere gingen davon aus, dass der Inspektor einfach nur verrückt sei.
"Vlad! Die Spurensicherung hat vielleicht etwas am Tatort zu suchen. Ein Zivilist aber sicher nicht!"
"Ich war bei dem Pack lang genug und wo ist denn ihre Spurensicherung?"
"Die..., die kommt später!", versuchte sich Hdetorii aus der Affäre zu winden.
"Und bis dahin haben ihre Oni den kompletten Tatort verwüstet?!?", der Vampir kochte, weil er sehr genau wusste, was vor sich ging: "Nur weil die mich nicht mehr leiden können, soll ein Mord ungeklärt bleiben? Was ist das für eine Haltung?!?"
Die Kabukimaske schwieg, es war wie Vlad gesagt hatte. Zum Glück war die Interne Ermittlung bereits an dem Fall dran und es könnte gut sein, dass sie klären konnten, was vor einem Jahr geschehen war und für Vlad der Punkt gewesen war um die Spurensicherung zu verlassen. Ein großer Verlust für Sagenland Yokai. Doch diese Gedanken, entschied Inspektor Hidetorii, verschiebe er auf später.
"Kann man ja noch von Glück reden, dass wenigstens Ich Berufsehre habe. Aber das kostet."
"Wie viel?"
"Ich will kein Geld! Sondern vollen Zugang zur Ermittlung!"
"Es ist schon gegen die Vorschrift, dass ich Sie nicht Strafe, für das Hantieren an einem Tatort!"
"Ja, weil sie mich brauchen!"
"Gott steh mir bei.", der Inspektor atmete tief durch, "Gut es soll so sein."
Vlad nickte und klärte ihn über seine bisherigen Kenntnisse auf.
Die Oni lauschten dem Gespräch und schon entbrannte eine Diskussion zwischen den Keulenträgern, ob eine Schneefrau für diese Tat verantwortlich zu machen sei. Schon wollten sie eine Großfahndung gegenüber allen Schneefrauen aussprechen.
"Die Fakten müssen zu den Theorien passen, nicht umgekehrt!", blaffte Vlad die Oni an. "Wenn eine Schneefrau diesen Weihnachtswichtel getötet hätte, wäre der Wichtel erfroren, eingefroren oder würde zumindest Zeichen zeigen, dass er mit einer vereisten Klinge getötet wurde. Nichts davon ist hier zu sehen!"
Vlad überreichte dem Inspektor die Feder: "Die hier habe ich an der Wunde des Opfers gefunden, sie könnte etwas mit dem Fall zu tun haben..."
"Was machen wir jetzt?", fragte der Inspektor, der sich das kleine Federchen genauer betrachtete.
"Ich gehe in die Tengu-Bibliothek, was Sie jetzt machen, weiß ich nicht. Ich empfehle das Bergen der Leiche, Benachrichtigung seiner nächsten und Warnung derer - es könnte sich um den Beginn von Serienmorden handeln?"
"Serienmorden?!?"
"Das W.", Vlad zeigte darauf, "ist sicher nicht zur Zierde, es ist eine Botschaft, dass es wieder passieren wird, wenn wir nicht handeln. Es wird blutig, ohne Frage."
"