Vorsorglich hatte ich mir für den 1. April freigenommen, denn ich wäre mir jeglicher Freude beraubt vorgekommen, wenn ich einen unerquicklichen Arbeitstag der Überraschung vorausgeschickt hätte. So sorgte ich für ausreichend Nachtruhe, vor allem in den Morgenstunden. Ein ausgedehntes Frühstück folgte in meinem Sommerwohnzimmer, das schon an den Vormittagen eine angenehme Wärme hatte, da mich dort die Morgensonne erwartete. Weil mich mein Job nicht drängte, dehnte ich diese Mahlzeit, die meine Großmutter, Gott hab' sie selig, als die wichtigste des Tages bezeichnete, über die Maßen aus. So genoss ich mein koffeinhaltiges Getränk mit geschäumter Milch, die ich mir mit der mir eigenen Muße zubereitete. Gerne, natürlich auch an diesem Tage, aß ich dazu Mandelstuten, wie ihn nur der Bäcker in der Bäckerei meines Vertrauens nach alter Rezeptur zubereiten konnte. Ohne jegliche Hast gab ich mich meinem Frühstück hin und erfreute mich der erwachenden Natur, dem Zwitschern der Vögel und dem nicht vorhanden sein meiner Nachbarn. Was habe ich es gut, ich war mit meinem Leben, so wie es sich mir gerade heute wieder bot, zufrieden. Nach einer ausgedehnten Morgentoilette, auch wenn es nun schon weit nach Mittag war, kleidete ich mich an und betrachtete mich im Spiegel. Ja, so war ich angemessen und gewiss auch standesgemäß gewandet. Mein Blick fiel auf meine Kollektion von Gehstöcken und ich wählte den mit dem Geheimfach. Sicher war sicher. Dann suchte ich meine Papiere, die ich benötigte zusammen und verstaute sie in meiner altertümlichen Brieftasche, die ich elegant in die Innentasche meines Gehrockes gleiten ließ. Obwohl ich es als Stilbruch empfand, wollte ich mich nicht von meinem Handy trennen und steckte es in die andere Innentasche. Am Spiegel überprüfte ich erneut den Sitz der Kleidung, da ich befürchtete, die Brieftasche oder das Smartphone könnten auftragen und zog dann doch noch einmal den Kajal nach. Ja, so konnte ich mich unter das Volk wagen.
Just in diesem Moment ertönte die Klingel und es erschien mir fast wie ein Frevel. Als ich öffnete, stand dort ein livrierter Lakai.
„Mein Herr, Eure Kutsche wartet.“
Meine Kutsche? Ich stutzte. Sollte ich tatsächlich mit Pferdestärken transportiert werden? Als ich vor das Haus trat, wurde die Vorstellung zur Gewissheit. Dort stand ein Landaulet, vor den zwei Rappen gespannt waren. In Gedanken beglückwünschte ich mich zu meiner Kleiderwahl, die vortrefflich zu meinem Gefährt passte, und ließ mir von dem Lakaien an meinen Platz helfen. Als dann schnalzte der Kutscher als Zeichen für seine edlen Rösser, dass die Rappen antrabten und sich die Kutsche mit zwei Pferdestärken, wie sie nicht schöner hätten sein können, in Bewegung setzte. Schmunzelnd widerstand ich dem Drang, von Zeit zu Zeit huldvoll in die Menge zu winken, denn durch das Klappern der Hufe waren wir schon von Weitem zu hören und veranstalteten mancherorts einen Menschenauflauf. Lässig ließ ich mich kutschieren und verschwendete nicht wirklich Gehirnleistung mit der Frage, wo meine erbauliche Fahrt nun endete.
Nach mehr als einer Stunde geruhsamen Kutschierens kamen wir in eine Gegend, die mir sehr vertraut war, ich mich dort aber schon länger nicht mehr, weil es für mich keine Veranlassung gab, aufgehalten hatte. Dann ahnte ich langsam, was mich für eine Festivität wohl am Zielorte erwartete. Ich erinnerte mich dunkel an eine Email, die von mir völlig beabsichtigt und zielsicher in den Spamordner verschoben worden und dort der routinemäßigen Löschung anheimgefallen war, ohne dass ich auch nur einen Buchstaben davon gelesen hatte. Natürlich kannte ich auch ohne sie zu öffnen deren Inhalt, denn die Mail kam ja vom Festkomitee der Ehemaligen und dessen selbsternannte Vorsitzende Elisabeth. Schnell überschlug ich die vergangene Zeit, ob ich vielleicht irgendein Jubiläum oder eine sonst scheinbar wichtige Zahl übersehen haben könnte. Dem war zum Glück nicht so und so konnte es nur bedeuten, dass meine alten Kumpel Sehnsucht nach mir hatten. Dann bogen wir in die Straße mit der Lokalität, die seit jeher von Elisabeth bevorzugt wurde, aber was will man machen, wenn man, in diesem Falle natürlich frau, keinen Stil hat. Ein Seufzer errang meiner ach so gepeinigten Brust, da ich nun wusste, dass ich gute Miene zu bösem Spiel machen musste. Gewiss war es Giselmar, dem ich dieses Ungemach zu verdanken hatte und ich wusste, dass es ihm eine Freude bereitete, mich derartig leiden zu sehen.
Es ist natürlich müßig zu erwähnen, dass ich meinen Auftritt, gewiss von Giselmar so vortrefflich inszeniert, über alle Maßen genoss. Die Kutsche fuhr, mit bereits erwähnter Lautuntermalung, vor, der Lakai sprang vom Bock und half mir beim Aussteigen. Auf der Stufe winkte ich doch nun dem anströmenden Volke, das mit offenem Munde das Schauspiel meiner Ankunft betrachtete, huldvoll zu und ein müdes Lächeln umspielte meine Lippen. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, ob ich Giselmar töten solle, und entschied mich aber dagegen, dass es für ihn gewiss schlimmer sei, ihn Leben zu lassen.
„Schön, dass du es doch einrichten konntest“, flötete Elisabeth und eilte auf mich zu, um mir eines dieser unsäglichen Namensschildchen anzubeppen, als wenn wir schon alle an Demenz oder Alzheimer litten, dass wir uns nicht mehr an die Namen der Klassenkameraden erinnerten, mit denen wir drei Jahre lang die Klasse bis zum Abitur geteilt hatten.
„Oh“, entgegnete ich zuckersüß, „du weißt noch, wer ich bin? Ich übrigens auch.“ Bevor der Kleber den edlen Stoff meines Gehrockes berührte, hatte ich das Schildchen ihren Händen entrissen, und pappte es nun meinerseits, nachdem ich ihr einen Kuss schmatzend auf die Wange gedrückt hatte, auf ihre Stirn, wo es meiner Meinung nach hingehörte und besser aufgehoben war. Völlig perplex ließ sie es mit sich geschehen und ich sie verdutzt stehen.
Dann entdeckte ich Karl und Giselmar, die grinsend in einiger Entfernung des Tumults meine theaterreife Ankunft beobachtet hatten. Giselmar hielt gerade Karl seine Hand hin und es schien, dass Karl eine kleine Summe Geldes, gewiss ob einer verlorenen Wette, in diese legte.
„Ich wusste, dass du meiner Einladung nicht widerstehen konntest. Und du hast es genau so umgesetzt, wie ich es von dir erwartet habe.“ Dieses Lob von Giselmar war wahrscheinlich mehr, als jemals ein anderer von ihm erhalten hatte.
So gingen wir hinein und wir drei erfreuten uns als bald an dem fünf Gänge Menü, das uns im Laufe des Abends serviert wurde. Die neidischen Blicke meiner ehemaligen Mitschüler zu ertragen war dann schon eine Herausforderung, da die übrigen Gäste des Klassentreffens, denn darum handelte es sich bei dieser äußerst überflüssigen Zusammenkunft der Eitelkeiten, erhielten weit aus weniger erlesene Speisen und Getränke, ganz abgesehen davon, dass wir an einer vortrefflichen gedeckten Tafel dinierten, während die anderen Gäste eher wie in einer wenig erquicklichen Bahnhofshalle speisten.