Während ich mich mit meinem Kumpel beratschlagte, welchen Sinn es machte einen Trip im Trip zu verlängern, kontaktierte Fred scheinbar seinen Auftraggeber, um ihn über das Ergebnis der Untersuchung zu informieren. Der Heftigkeit des Gesprächs nach, war der Auftraggeber alles andere als „amused“, na ja, Fred war es auch eher weniger.
Aber das war mir eigentlich herzlich egal, viel wichtiger war für mich im Moment, was geschah nun mit meinem Prinzen, der ja noch im Winter-Wunderland festsaß und das anscheinend schon etwas länger. Was passierte mit den Körpern derjenigen, die auf diesem immerwährenden Jul-Trip waren. Waren sie einfach nur bewusstlos, ohnmächtig oder gar im Koma? Zerfiel ihr Körper in dieser Welt, während sie sich am Winter-Wunderland erfreuten? Wurde dann ihr mentales Echo abgespeichert und in die Matrix des Winter-Wunderlandes implementiert? Noch ehe wir zu einem Ergebnis kamen, trat Fred zu uns und drückte meinem Kumpel ein Tablet in die Hand.
„Es war wie immer schön, Geschäfte mit dir zu machen“, seine Augen leuchteten golden, „ich habe noch was drauf gelegt. Du wirst zufrieden sein.“
Mein Kumpel warf einen flüchtigen Blick auf das Display und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. So gut war die Bezahlung also.
„Ich hätte da noch eine Bitte“, schaltete ich mich ein.
Fred blickte mich fragend an.
„Könnte ich vielleicht etwas von dem Gebäck bekommen? Ich traf jemanden in diesem Jul-Wahnsinn, der da so nicht hingehört.“ Ich klimperte unschuldig mit den Lidern.
„Sie ist wirklich total verrückt“, sagte Fred dann mehr zu meinem Kumpel als zu mir. Er ging jedoch zu seinem Schreibtisch, griff sich eine Schachtel, die er mir reichte.
„Mache nichts, was ich nicht auch tun würde.“ Zwinkerte er mir etwa gerade zu? Dann schob er uns durch den Hintereingang hinaus.
Mein Kumpel schaute mich prüfend an.
„Du willst also wirklich eine Rettungsaktion starten?“
„Ja, will ich.“
„Was benötigst du dafür?“ Wollte er dann von mir wissen.
„Einen sicheren Ort, wo ich meinen ersten Trip starten kann.“
„Soll das heißen, du willst dort mehr als einmal hin?“ Er verdrehte seine Augen über meinen vermeintlichen Leichtsinn.
„Na klar. Ich muss Prosper doch erklären, was los ist und er keine weiteren Plätzchen mehr schnabuliert. Dann sollten wir dort hin, wo sein Körper liegt und hoffen, dass die Droge soweit abgebaut ist, damit wir ihn aufwecken können.“ Versuchte ich meinen Plan so verständlich wie möglich darzulegen.
„Und wo liegt sein Körper in der realen Welt?“, war eine berechtigte Frage meines Kumpels.
„Er lebte früher in Offenbach. Aber ich kann ihn ja fragen, wo er sich abgelegt hat zum Plätzchen naschen.“ Unweigerlich musste ich doch grinsen.
„Offenbach? Nicht dein Ernst.“
Ich nickte nur. Eigentlich war es egal ob Rhein-Ruhr-Megaplex oder auch Offenbach, es handelte sich um die gleiche Kloake, die Gangs waren nur andere.
„Und? Wo kann ich meinen Trip starten und du passt auf?“ Erwartungsvoll schaute ich ihn an.
„Im Hauptquartier. Du fährst.“
Verdammt, wo war dieses Hauptquartier nur. Ich hatte keinen blassen Schimmer und wenn ich es genau nahm auch keinen farbigen. Vielleicht wusste es Yannik. Also gingen wir zu meinem Wagen.
„Der Oldtimer sieht gut aus. Neu?“ Hörte ich da Neid oder doch Anerkennung in der Stimme. Ich ignorierte die Frage und stieg ein. Yannik wusste tatsächlich den Weg zum HQ und ich beglückwünschte mich dazu, meine Ziele immer abzuspeichern, so konnte ich sicher mein Fahrzeug Pardon meinen Oldtimer zum Bestimmungsort bringen.
„Du parkst am besten in der Tiefgarade“, wies er mich an, als wir fast angekommen waren. Als wenn ich wüsste, wo die Tiefgarage wäre. Langsam kam ich doch noch ins Schwitzen. Aber dann war es trotzdem noch ganz einfach, da er mit einem Transponder die Zufahrt öffnete und mich dann zu einem Stellplatz lotste.
Kurze Zeit später fand ich mich im HQ wieder und ich hatte es mir ehrlich gesagt nicht so vorgestellt. Vielleicht etwas futuristischer und nicht so gemütlich. Aber so ist das mit den Erwartungen.
Wir einigten uns darauf, dass er mich nach einer Stunde wecken sollte, da ich glaubte, dass dies ausreichte. So machte ich es mir auf der Couch gemütlich und kaute genüsslich auf einen der Jul-Plätzchen. Diesmal wusste ich, was mich erwartete, so war der Übergang nun nicht ganz so holprig wie beim ersten Mal.
Wieder stand ich oben auf der Klippe in der Nähe des Lagerfeuers. Scheinbar war das immer der Beginn. Wo könnte Prosper wohl sein? Vielleicht wieder bei der Bäckerei. Also begann ich meine Suche dort. Die Wege waren schon weit, wenn man sie zu Fuß unternahm. Ich überlegte, ob dies bei meinem ersten Besuch auch derart war. Musste es ja eigentlich, da die Welt gewiss nicht expandierte. Etwas neidisch schaute ich schon auf die Helden, die mit unterschiedlichen Reittieren unterwegs waren, von denen einige sogar fliegen konnten. Das wäre schon etwas Feines und half bestimmt bei der Überbrückung der nicht unbeträchtlichen Entfernungen. Während ich so in Gedanken war, veränderte sich das Aussehen einer Person in meiner unmittelbaren Nähe. Das erinnerte mich stark an ein PC-Game. Ob ich hier Zugriff auf ein Interface hatte? Ein Versuch war es wert. Ich schloss meine Augen und stellte mir das Interface vor. Öffnete das Charakterfenster, wählte ein Reittier aus und aktivierte es. Ups. Ein weißes Rentier war unter meinem Sattel. Also doch die Matrix. Flink trug es mich zur Bäckerei.
Doch dort konnte ich Prosper nicht entdecken. Nun denn, also wieder ins Interface. Wie war das noch mal mit der Personensuche? Ach ja. Wenn man einmal wusste, wie es funktionierte, war es gar nicht mehr so schlimm. Aber es war schon seltsam, befand ich mich nun auf einem Trip oder doch in der Matrix?
Schließlich wurde er als in dieser Zone befindlich angezeigt. So konnte er nur oben auf der Klippe aufgetaucht sein. Also nichts wie dort hin. Zum Glück pupste mein Reittier keine Weihnachtsplätzchen oder Ähnliches, mir reichte schon die penetrante Musik, die in Dauerschleife lief. Relativ zügig war ich oben und ließ meinen Blick suchend über die Hochebene schweifen. Endlich erblickte ich ihn, wie er unschlüssig in der Nähe des Lagerfeuers stand. So lenkte ich mein Reittier in seine Nähe.
„Sanfte Grüße“, sprach ich ihn an und stieg von dem Rentier, das augenblicklich verschwand, vermutlich ins Inventar.
„Tanuky, du bist wieder da“, er schien sichtlich erleichtert. „Wo warst du?“
„Draußen“, antwortete ich nur knapp.
„Ach was. Es gibt keinen Weg hier raus.“ Widersprach er mir.
„Oh doch“, ich lächelte wissend. Dann erklärte ich ihm mit knappen Worten, was ich herausgefunden hatte. Vor allem aber warnte ich ihn, vor einem weiteren Verzehr der Plätzchen, die überall kostenfrei angeboten wurden. Zum Glück hielt er meine Ausführungen für plausibel und gelobte, keine weiteren Gebäcke mehr zu knabbern. Auch wenn es ihm bestimmt schwerfiele, war er doch ein kleines Leckermäulchen, was diese Art von Naschwerk anging.
„Noch eine wichtige Frage. Wo warst du, als du das erste Gebäck gegessen hast?“ Beinahe hätte ich es vergessen. So nannte er mir die Adresse, dass wir ihn in der wirklichen Welt finden konnten. Es war wahrlich nicht zu früh, denn schon bemerkte ich das mir bereits bekannte Zupfen, dass ich alsbald wieder aus diesem Albtraum eines Jul-Traumes entfleuchte.
Noch ein letzter Blick, dann verschwamm das Winter-Wunderland und ich fand mich in eine Decke gewickelt auf der Couch wieder. Auch das Zurückkommen war nicht ganz so konfus wie beim ersten Mal. Ein Gewöhnungseffekt? Aber das war mir gerade herzlich egal. Ich hoffte nur, dass es Prosper noch gut ginge, denn es war nicht ganz klar, wie lange er schon in seinem Winter-Wunderland war.
Mein Kumpel schaute mich erwartungsvoll an und auch Kitkat, der wohl unterdessen gekommen war.
„Offenbach“, sagte ich nur. Mein Kumpel nickte.
„Kitkat, mach den Hammer fertig“, wies er den Wertiger an, „und pack ein paar Waffen ein. Wer weiß, was uns erwartet.“
Der Angesprochene verschwand, um den Auftrag auszuführen. Während ich mich aus der Decke schälte.
„Es ist quasi wie in der Matrix. Ich hatte tatsächlich Zugang zu einem Interface.“ Berichtete ich von meinen Erlebnissen.
„Es ist mehr als ein Trip. Es ist wie ein Game. Aber Magie und Cybertech? Wie geht das zusammen?“ Dies wäre ein Rätsel, was sich lohnte, ein anderes Mal zu lösen. Nun hatten wir wichtigeres zutun. So gingen wir in die Tiefgarage, wo Kitkat bereits mit laufendem Motor auf uns wartete. Sicher steuerte er das Fahrzeug, das einem Panzer nicht unähnlich war, durch den Stadtverkehr und dann auf die Autobahn Richtung Frankfurt.
Wider Erwarten war die Fahrt recht ereignislos. Keine Staus oder gar diese äußerst unsäglichen Straßensperren. Wer hätte das gedacht, dass wir gut durchkamen. So erreichten wir Stunden später die angegebene Adresse, in einem der nicht ganz so abgerockten Ortsteile Offenbachs. Als wir parkten, erregten wir schon etwas Aufmerksamkeit, aber niemand unternahm etwas, da die „guten“ Bürger wohl keinen Stress bekommen wollten. Sahen wir denn so wild aus?
Kitkat machte sich am Schloss der Eingangstür zu schaffen, was ihm jedoch keine Schwierigkeiten bereitete.
„Dachgeschoss“, wies ich meine Kumpel an.
So stiegen wir zügig die Treppe hinauf. Auch das Schloss der Wohnungstür war auffallend unauffällig, dass es sich förmlich von alleine öffnete, als Kitkat Hand anlegte.
„Das war ja mal einfach“, grinste dieser nur.
In der Wohnung empfing uns ein leicht muffiger Geruch nach abgestandener und verbrauchter Luft. Wo mochte Prosper nur liegen? Dann fanden wir ihn. Er ruhte regungslos auf einem Sofa. Sein Gesicht war blass und seine Wangen eingefallen. Mit schnellen Schritten war ich bei ihm und suchte seinen Puls. Er war kaum wahrnehmbar. Ich kramte in meiner Tasche nach dem Fläschchen mit dem altmodischen Riechsalz. Was früher gut war, tat heute auch noch seine treuen Dienste in hervorragender Weise. Als ich es Prosper unter die Nase hielt, zuckte er erst nur ein wenig, ehe er unter Würgen und Husten die Augen aufschlug. Träge bewegte er sich, vermutlich war er so schwach, wie er aussah. Sein Blick war trüb und es schien, dass er nicht genau wusste, wo er war. Fahrig wehrte er die Hände ab, die ihm doch nur helfen wollten. Mit einem Ohr nahm ich wahr, wie mein Kumpel telefonierte, nur eine Bemerkung war wichtig „Doc Wagon“. Also rief er professionelle Hilfe, die auch relativ schnell bei uns eintraf.
Hatte ich die Nachbarn erwähnt, die hinter ihren Fenstern nervös die Szenerie beobachteten. Ich hoffte nur inständig, dass wir nicht doch noch zu viel Aufmerksamkeit erregten, weder bei den Gangs noch bei den Jungs vom Sternsicherheitsdienst. Mit den Gangs würden wir fertig. Aber mit den Sternfuzzies wollten wir uns nicht unbedingt anlegen, denn diese verstanden keinen Spaß.
Als Prosper wieder einigermaßen rosige Wangen hatte, komplementierte ich alle überflüssigen Kerle aus der Wohnung und riet meinen Kumpels nach Hause zu fahren.
„Was ist mit dir?“
„Ich komme schon irgendwie wieder Heim“, ich zwinkerte ihnen zu, als ich die Tür schloss.
In dieser Nacht schlief ich in den Armen meines Prinzen ein, wie ich es von meinen Abenteuern gewohnt war. Doch als es wieder morgen wurde, lag ich in meinem eigenen Bett und wurde von meinen Schnurrmonstern treulich geweckt. War es doch nur ein Traum gewesen oder hatte ich ein weiteres Abenteuer erlebt.