Heute habe ich mal meine innere Mutter Theresa hervorkommen lassen und hole meine kleine Schwester von der Schule ab. Ihre Grundschule ist ein geschmackvoll betongraues Gebäude, das in Sachen Ausstrahlung mein stilistisch raufasertapetenweißes Gymnasium in den Schatten stellt. Vor dem Eingang hat sich auf dem Boden ein feiner Saum von Putz gebildet, der von der Fassade abgebröckelt ist. Er strahlt eine Aura von unberührtem Schnee aus, die ich nicht mit meinen Fußabdrücken zerstören werde. Hauptsächlich weil ich Angst habe, einen meiner alten Lehrer zu treffen. Für die Turnhalle gibt es eine kleine Holztür am Rand. Vor Jahren habe ich sie mit meinen Mitschülern farbenfroh angestrichen. Jetzt blättert die Farbe davon ab und fliegt wie Konfetti über den staubigen Vorderhof bis zu den rostigen Fahrradständern. Dort sind mehr Schlösser als Fahrräder. Die meisten davon sind aufgeschnitten und liegen halb unter dem Kies begraben. Sie erinnern an Schlangen, die in einem Abenteuerfilm den mysteriösen Schatz bewachen. Nur dass sie selbst Hinweise dafür sind, dass das mit dem bewachen hier überhaupt nicht funktioniert hat. Plötzlich spazieren zwei kleine Gestalten aus dem Eingang heraus und wirbeln mit ihren Füßen den Putzsaum auf. Sie bieten ein bemerktenswerten Anblick. Der Junge versucht das Mädchen durch das Performen eines auswendig gelernten Raptextes zu beeindrucken. Allerdings scheitern seine vorpupertären Stimmbänder an der Imitation der Betonung des Gangsterrappers. Sie bringen nur ein bemitleidenswertes Krächzen hervor. Stutzend erkenne ich in dem Mädchen meine kleine Schwester. Ich verscheuche den kleinen, nehme sie an der Hand und gehe mit ihr Richtung Ausgang. Als wir das Tor passieren, fängt es an zu regnen.