Wochenlang kein Lebenszeichen. Und dann rannte sie in Keš und errötete unter Hars Blick wie eine der Beeren, die sie heute gepflückt hatte. Dieser Blick, bei Šaeš und Liel, sie wollte, oh und wie sie das wollte. Har war einer der gesündesten und kräftigsten Männer, die ihr Stamm zu bieten hatte. Wie sollte sie sich heute Abend beim großen Wiedersehen blicken lassen und mitmachen, wenn sie - oh, das musste sie gar nicht. Sie konnte sich ja mit den Schwangeren, Verwundeten und den Kleinkindern zurückziehen, ihnen eine Geschichte darstellen und sie unterhalten. Dann wären die Halbstarken auch nicht so traurig, dass sie nicht mit feierten. Denn die Feiern waren eine ganz besondere Art sich des Wiedersehens zu erfreuen und viele Kinder wurden dort gezeugt. Das war wichtig, damit ihr Stamm stark blieb.
Normalerweise wanderten sie alle zusammen weiter, dem Wild hinterher, um die Wege kurz zu halten. Doch es wurde immer schwieriger, immer weniger Herden zogen durch ihr Gebiet und sie mussten immer weiter weg lagern. Niš hatte schon einmal darauf hingewiesen, dass sie neue Wege gehen mussten. Sie brauchten mehr Zelte, bessere, größere, aber gleichzeitig leichtere. Felsen waren schön, Höhlen und Vorsprünge eigneten sich hervorragend, um viel Zeit auch bei schlechtem Wetter dort zu verbringen. Die Höhlen boten im heißesten Sommer Kühle und Sickerwasser, wenn man gar nichts anderes fand. All das was die Wälder ihnen an sammelbarer Nahrung boten, war auch nicht zu verachten. Aber: wie man ja jetzt wieder gesehen hatte: es reichte nicht. Also mussten sie diese schützenden Felsen verlassen und sich andere Unterkünfte suchen.
Nat und Zoe hatten zusammen mit den Kindern angefangen Zeichen zu basteln. Aus Federn, Knochen, Holz und Gras. Seit langer Zeit war es ein Mittel, um ihre Reviere zu trennen von den anderen Stämmen.
Generell mochte Niš die anderen Leute sehr. Sie luden sie auch gern ein zu den nächtlichen Feiern. Alle profitierten davon. Besonders auch Niš. Viele Geschichten wurden ausgetauscht. Die Jäger gestikulierten wild miteinander über die Herden und deren Züge. Sie zeigten sich ihre Waffen und die Sänger sangen die schönsten Lieder. Es war so herrlich. Es sei denn einer der Stämme geriet an den gefährlichen Punkt, dass die Beuten ausblieben oder Krankheiten grassierten, oder die Jäger nicht zurückkehrten. Ein Stamm war erst vor weniger Zeit ausgelöscht worden durch ein Feuer. Seitdem lebten die letzten Überlebenden bei einem anderen Stamm. Und weil es immer Überschneidungen gab, wenn man den Herden folgte, war es gut, dass sie die Talismane in die Bäume hängten. Einige rissen die Tiere ab, ein paar wollten die Geister des Waldes nicht an ihren Lieblingsplätzen hängen haben. Aber die meisten hingen lange im Geäst. Damit die anderen Stämme nicht auf die Idee kamen sich ihr Gebiet einzuverleiben.
Niš kam noch ein paar Schritte weit, fort von ihren Leuten, die alle emsig an ihren Fingern leckten. Als Fare ihr in den Weg trat. Sie fertigte die schönsten Anhänger aus Horn an. Und sie ergriff Niš einfach am Arm. Fröhlich japste sie, zeigte auf etwas hinter Niš und zog sie dann mit.
Har kam auf sie beide zu, wie eine unheilvolle, graue Wolke, die aufzog und das Unwetter mit sich brachte. Niš bildete sich ein, in seinen Augen das Himmelsfeuer schon sehen zu können. Er hielt in der Hand immer noch den Kürbis. Er klang verärgert: „Niš!“
Als hätte er schon nach ihr gerufen, sie aber nicht reagiert. Niš blieb stehen.