Freifrau Luise von Rau steht vor dem eben gefundenen Spiegel und ist bei einem Blick darauf, wie üblich unzufrieden mit ihrer Nase, mit ihrem Kinn und ihren angeblich unförmigen Augen sowieso. Die Frisur ist wie immer eine Katastrophe. In sich hinein verbannt sie einen enttäuschten Schrei. "Warum kann ich nicht so hübsch und anziehend aussehen, wie fast alle anderen weiblichen Wesen dieser Welt. Warum habe ich nicht bessere Gene von den Eltern vererbt bekommen."
Sie bemerkt nicht, dass ein leises Pulsieren in der Einfassung des Spiegels beginnt und sich etwas hinter der flachen Oberfläche aus Glas und Silber regt. Still und gleichmäßig beginnt der magische Geist des Spiegels aus seinem langen Traumschlaf zu erwachen. Aus dem Schlaf erwacht eine Magie, die schon seit Ewigkeiten in dem feinen Kristallen des Glases und der noch wertvolleren Beschichtung aus Argentum seinen Platz gefunden hat. Eingegeben von einer großen Hexe, die dereinst immer die Schönste sein wollte. Vorsichtig sendet das magische Ich des Spieles seine Sinne aus und nimmt einen ersten zarten Kontakt zu dem Lebewesen vor der Spiegeloberfläche auf. Erstaunen bewegt das magische Wesen, denn offenbar hatten sich die Zeiten und Ansichten in den letzten eintausend Jahren dramatisch verändert.
Für wahr, immer noch starrte eine Edelfrau in die gläserne Oberfläche, aber das Mobiliar und die Kleidung zeigten einen befremdlichen Stil. Statt einer Kerze brannte ein grelles Licht aus einem Glaskolben. Sogar die Gedanken hatten sich in eine differente Richtung entwickelt, die nicht mehr auf Macht gerichtet war. Es ging nicht mehr um den Rang und die Stellung sondern um die äußere Erscheinung. Zudem, eine fremde Person saß vor dem Spiegel, die zarteste Gefühle ungefiltert in die Welt entließ.
Lange grübelte die Spiegelwesenheit, ob eine Kontaktaufnahme zu der Dame zielführend sein könnte, oder ob es nicht besser war zu schweigen. Immerhin zeigten die äußeren Einflüsterungen der Zeit und der Umwelt, dass nichts mehr so war, wie vor eintausend Jahren. Damals waren die Menschen einzig an Reichtum oder Macht interessiert. "Meine ersten Besitzerin Gerberga von Burgund war eine Enttäuschung, da sie hartherzig und boshaft war. Gisela von Schwaben war gebildet, aber eben auch nicht daran interessiert niederen Menschen mit Wohlwollen zu begegnen. So gesehen ist die junge Dame vor meinem Antlitz endlich eine Erfrischung." Vielleicht, sollte ich mit ihr mittels meiner Magie einen Plausch führen, um mehr zu erfahren.
Vorsichtig sandte das Kristallwesen seine Magie aus, um Luise keinen Schrecken einzujagen, wenn sie in ihrem Kopf fremde Stimmen hörte. Träge aber doch wagemutig lenkte Luise ihre Wünsche und entschied sich mit dem Spiegel zu sprechen. "Ist es meine Fantasie oder Magie, die mich daran glauben lässt, dass das ein magischer Spiegel ist. Ist es Realität, dass der Spiegel zu mir spricht?" Verzückt über dieses Interesse antwortete der Spiegel. "Verzeiht hochwohlgeborene Dame, aber es ist meine Magie, die zu euch spricht. Ich wurde von einem wundersamen Wesen ins Harzgerode vor langer Zeit erschaffen, dass mir eine feine Seele aus Magie einhauchte." Der Spiegel erkannte das Zögern von Luise an diesen Zauber zu glauben, aber es fehlte nicht viel, dann fühlte das Kristallwesen die Überzeugung, dass keine Gefahr von dem Spiegel ausging.
"Spiegel, verlangt von mir keine magischen Sprüche, denn ich bin keine hochwohlgeborene Edelfrau, sondern nur eine junge Frau, die zufällig von einem erbärmlichen Landadel abstammt. Dennoch, finde ich es wundersam und bezaubernd, dass ich so ein magisches Gerät in den Händen halte. Freundlich wäre es, wenn du mir deine Magie erklären könntest, über die euer Geist verfügt." Ohne zu zögern offenbarte sich Bruno von Harzgerode. "Viel Magie steckt nicht in meinem flachen Körper, abgesehen von den Gedanken, der Physik und einem offenen Ohr, wenn ich es denn so nennen darf. Ich kann keine Schönheitszauber wirken, aber vertraut mir, ich bin weise und kann Damen durchaus vernünftige Ratschläge zukommen lassen. Schließlich ist das meine primäre Aufgabe."
Luise war nur ein wenig enttäuscht, aber ihr Herz war Feuer und Flamme für diesen höchst ungewöhnlichen Spiegel. "Wie kannst du mir schon helfen, schließlich bin ich ja nur ein hässliches Entlein. Betrachte mich nur ein wenig genauer, dann wirst du vor Schreck zerspringen. Ich denke, kein Mann wird sich mir je in Liebe zuwenden, da mir zu viele weibliche Attribute fehlen." Bruno kicherte. "Verzeiht Luise, ihr reflektiert etwas falsch. Schönheit ist eine höchst subjektive Sache, aber wahre Schönheit strahlt jede Frau mit ihrem Herzen aus. Zudem, in meinen Augen seid ihr eine hübsche Frau, die ihre äußeren Reize nicht erkennt. Bedenkt! Auf die Realität kann ich keinen Einfluss nehmen, dennoch ich kann euch die Wahrheit sagen. Die Wahrheit kennen leider nur zu wenig Frauen, weil sie sich selbst nicht lieben. Das ist der springende Punkt, den ihr überseht. Zudem, und das ist wirklich seit Jahrtausenden unveränderlich. Frauen betrachten sich immer nur höchst oberflächlich und vergessen dabei oft ihre inneren Werte zu betrachten."
Luise zweifelte kurz und wollte schon fragen ob sie hübsch genug für diese Welt sei, aber Bruno antwortete bereits in ihre Gedankengänge hinein. "Luise, deine hübschen Seelenspiegel, also deine Augen, strahlen den Glanz jeder jungen Frau aus. Ich sehe darin Klugheit, Warmherzigkeit und Liebe. Mit deinem regen Geist kannst du Charme versprühen. Mit deinem Mund samt den Lippen, die meiner Meinung nach vollkommen wirken, kannst du Worte aussprechen, die jedes Herz erreichen. Also zweifle nicht an dir, weil trügerische Magazine falsche Schönheitsbilder in die Welt entlassen. Sei du selbst, dann wird zur rechten Zeit der richtige Mann auf dich aufmerksam. Denn, so abgedroschen diese Phrase auch klingen mag, aber die wahre Schönheit liegt stets im Auge des Betrachters."
Kühner sprach der Geist aus dem Spiegel. "Achte nicht nur auf eine glatte Haut, sondern betrachte auch deinen Verstand. Versuche bitte nie die Gefühle anderer Wesen zu verletzen und betrachte dich mit neutralen Augen, dann kann dir alles im Leben gelingen. Dennoch sei vorsichtig, denn es gibt unter den Männern auch genügend treulose Herzen und falsche Typen, die kein Interesse an der Liebe zeigen. Sicher, sie zeigen oft Begehrlichkeiten an Äußerlichkeiten, aber sehen sie auch den Menschen dahinter? Darum geht es letztendlich. "
Bruno schwieg einen Moment. "Ich kann dir gerne helfen, denn ich kann in jeden Geist schauen und kann jedes Herz ergründen, das ist meine Magie. Wenn du es also wünscht, dann kann ich dich gerne jederzeit diesbezüglich, also in Sachen der Äußerlichkeiten und des Herzens beraten." Noch einmal ging Bruno in seinen Geist, um die richtigen Worte zu finden. "Verzeih Luise, dass möchte ich noch sagen. Die Liebe ist ein spezieller Zauber, der Männern und Frauen übertragen wurde, aber man kann Liebe und Glück nicht erzwingen. Sollte man es versuchen, dann kann es in einem Drama enden, denn jeder Zwang bricht die Gesetze der Harmonie. Leichter ist es, wenn du auf dein Herz und deinen Verstand hörst, denn dass sind deine magischen Begleiter, die dich jederzeit während deines Lebens begleiten. Ich jedenfalls freue mich, dass ich dich bezauberndes Wesen kennen lernen durfte und vielleicht noch über Jahre begleiten darf. Und natürlich weiß ich, dass du heute zu einer Feier gehst. Mein Rat ist, sei du selbst und zeige deine warmherzige Seite, dann wirst du merken, dass dir viele Menschen wohl gewogen sind. Mit freundlichen Worten gewinnt man jederzeit die Herzen anderer Menschen und mit Esprit sogar die Herzen von Männern."
Luise folgte diesen ersten banalen Ratschlägen.