„Die Regeln sind ganz einfach. Löst die Rätsel, erreicht den Ausgang. Die schnellste Gruppe gewinnt. Der Rest… das werdet ihr dann ja sehen.“ Kaltes Lachen hallte von den Wänden wider, Hermine lief ein Schauer über den Rücken. Das klang gar nicht gut. „Das Spiel beginnt!“
Die Stimme verstummte, gleichzeitig wurde das Licht heller. Hermine konnte die Quelle nicht wirklich ausmachen, es schien beinahe, als wäre die gesamte Decke eine einzige Lampe. Aber dieses Rätsel kümmerte sie jetzt nicht weiter, das war wohl kaum das, welches die Stimme gemeint hatte. Denn auf dem Boden, genau in der Mitte des Raumes, waren jetzt Runen sichtbar geworden. Sie waren im Kreis angeordnet und schimmerten in dem hellen Licht rötlich. Hermine fühlte sich unangenehm an die mit Blut geschriebenen Nachrichten über die Kammer des Schreckens erinnert. „Was sind das denn für komische Symbole?“, wollte die Blonde wissen, die sich als Erste näher an den Kreis herangewagt hatte. „Das sind alte Runen“, erklärte Hermine sofort. „Sie waren früher sehr gebräuchlich, als noch keine Trennung zwischen der Muggelwelt und der magischen Welt stattfand. Muggel konnten die Runen nicht lesen.“
„Was sind Muggel?“, hakte die Rothaarige nach.
„Ähm“, erst jetzt kam Hermine auf die Idee, dass die beiden vielleicht gar keine Hexen waren. Dann durfte sie natürlich jetzt nichts mehr sagen. „Ist nicht so wichtig. Ich kann das übersetzen, denke ich. Ich bin übrigens Hermine.“
„Chloe“, stellte sich die Blonde vor und ging hinüber zu der Metalltür.
„Cassandra“, sagte die Rothaarige. „Aber wenn du das Lesen kannst, ist das vermutlich nicht das Rätsel, um das es geht.“ Sie fing an, die Wände abzutasten.
„Wir brauchen einen vierstelligen Code, um die Tür zu öffnen“, rief Chloe kurz darauf. „Vielleicht liefern die komischen Symbole uns ja einen Hinweis.“
„Hier steht ‚Nimm von diesem‘“, las Hermine vor, die sehr froh war, dass es sich um die einfachen Standardrunen handelte und nicht um eine der Abwandlungen, die die verschiedenen Stämme früher verwendet hatten. Einige von diesen Runen sahen sich nämlich sehr ähnlich, hatten aber je nach Herkunft sehr unterschiedliche Bedeutungen. So konnte zum Beispiel leicht aus einem F ein S werden. *
„Und was sollen wir nehmen?“, wollte Chloe wissen. Sie kniete sich neben Hermine und sah starr auf die Runen, fast, als könnte sie sie doch noch dazu bringen, lesbar zu werden. „Ich hab keine Ahnung“, musste Hermine zugeben.
„Hier ist etwas!“, rief Cassandra etwa eine halbe Stunde später. Während Hermine und Chloe weiterhin die Runen betrachtet hatten – Hermine in der Hoffnung, doch noch etwas anderes lesen zu können, Chloe, weil sie nicht einsehen wollte, dass sie die Symbole nicht lesen konnte – hatte Cassandra die Wände genauestens untersucht. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass versteckte Botschaften in Stein hinterlassen worden waren, und auch hier war sie fündig geworden. „Hier über der Tür ist etwas eingeritzt. Eine Zahl.“
Die beiden anderen traten zu ihr, Chloe fing an, die Nummern vorzulesen. „Drei Komma Eins Vier Eins Fünf… Ist das Pi?“
„Nein“, widersprach Cassandra sofort. „Die restlichen Ziffern stimmen nicht. Pi lautet Drei Komma Eins Vier Eins Fünf Neun Zwei Sechs Fünf Drei Fünf Acht Neun Sieben Neun Drei Zwei Drei Acht Vier Sechs …“ Sie schien gar nicht mehr aufzuhören.
„Stopp!“, rief Hermine schließlich verzweifelt. Ihr schwirrte der Kopf von so vielen Zahlen. „Was ist Pi überhaupt?“
„Die Kreiszahl“, erklärte Chloe. „Wenn man die Fläche oder den Umfang von einem Kreis ausrechnen will, dann braucht man diese Zahl. Sie ist unendlich lang, glaube ich.“
„Kreiszahl?“, wiederholte Hermine leise. „‚Nimm von diesem.‘ Die Buchstaben sind in einem Kreis angeordnet!“
„Du denkst, wir sollen diese Zahl dort oben von Pi abziehen?“, vergewisserte Chloe sich. Hermine nickte eifrig. „Cassandra, was denkst du?“
„Rosen“, sagte die Rothaarige nur als Antwort. „Orangen. Ich hatte Orangen zum Frühstück.“
„Okay“, meinte Chloe gedehnt. „Und was hältst du von unserer Idee? Dass wir diese Zahl da von Pi abziehen.“
„Aber wir brauchen doch nur vier Ziffern für die Tür“, widersprach Cassandra.
„Und wenn wir nur die ersten acht Nachkommastellen von Pi nehmen? Die Zahl da hat schließlich auch nicht mehr. Und die ersten Nachkommastellen ergeben doch eh alle null.“
„Wir können es ja einfach mal probieren“, mischte Hermine sich schnell ein, da sie befürchtete, die beiden anderen könnten in Streit ausbrechen. Auf jeden Fall würde sie zurück in Hogwarts nach einem Buch über diese komische Zahl suchen. Es war schon etwas ärgerlich, dass in Hogwarts die Muggelschulfächer nicht unterrichtet wurden.
„Also“, übernahm Chloe das Kommando. „Wir ziehen diese Zahl hier, nämlich Drei Komma Eins Vier Eins Fünf Sieben Zwei Eins Fünf von Pi ab. Kann das irgendwer im Kopf?“
„Klar“, erklärte Cassandra sofort. „Das ist Null Komma Null Null Null Null Zwei Null Fünf Null, wenn man nur von acht Nachkommastellen ausgeht.“
„Ok, also ich schätze, viermal die Null wäre tatsächlich zu einfach“, überlegte Hermine halblaut. „Vielleicht wenn wir mit der zwei anfangen?“
„Einverstanden, dann also Zwei Null Fünf Null“, bestätigte Chloe und tippte gleichzeitig auf dem Tastenfeld herum. Die Tür schwang lautlos auf.
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* Hier beziehe ich mich natürlich auf die alte deutsche Schrift, in der das kleine s beinahe aussieht wie ein kleines f. Mir fällt da das Lesen immer sehr schwer.