Die Aufzugtüren öffneten sich und entließen sie in einen neuen Raum. Er war nur spärlich beleuchtet und anders als gewohnt gab es keine verschlossene Tür. Stattdessen führten drei Gänge weiter. Über jedem stand etwas in der Runenschrift, die sie bereits aus dem ersten Raum kannten. „Du kannst das wieder übersetzen, oder?“, vergewisserte Chloe sich dennoch.
Hermine nickte. „Klar, das ist kein Problem.“ Sie nahm sich eines der Blätter, die auf dem Boden lagen und fing an zu schreiben. „Gibt es hier gar kein Rätsel?“, fragte sie, bevor sie sich richtig in ihre Aufgabe vertiefte.
„Dort“, meinte Cassandra nach einer kurzen Weile und deutete auf die Aufzugtüren. „Eine Frau betritt eine Straße. Sie sieht ein rotes Haus und weiß sofort, dass sie pleite ist. Warum?“, las sie die krakeligen Buchstaben vor.
„Wie bitte?“ Chloe war sich nicht sicher, ob sie jetzt lachen oder schreien sollte. Was war das denn für ein Blödsinn?
„Betritt eine Straße, sieht ein rotes Haus, weiß, dass sie pleite ist“, wiederholte Cassandra die entscheidenden Elemente. „Also man weiß, dass man pleite ist, wenn man kein Geld mehr auf dem Konto und im Portemonnaie hat. Konto … Manchen Banken haben ein rotes Logo, aber es gibt, glaube ich, keine, die ihre Häuser rot streicht.“
„Ich glaub ja, es gibt allgemein wenige rote Häuser. Wer will das schon?“
„Ich“, meinte Hermine von der Seite. „Rote Häuser sind toll, für die kriegt man viel mehr Geld.“
Cassandra kniete sich neben sie und Chloe folgte ihrem Beispiel. „Was meinst du damit?“
„Wir haben letztens im Gemeinschaftsraum so ein Spiel gespielt. Dean hatte es mitgebracht. Monopoly heißt das. Und die roten Häuser da sind Hotels, für die man viel mehr Miete bekommt.“
„Monopoly“, wiederholte Chloe und grinste. „Aber das kann nicht wirklich die Lösung des Rätsels sein, oder?“
„Wir sind ja noch nicht fertig“, erinnerte Cassandra sie. „Gehen wir mal davon aus, dass wir mit Monopoly auf dem richtigen Weg sind. Dann wissen wir jetzt, was das rote Haus bedeutet. Aber die Frau betritt eine Straße und dann ist sie pleite.“
„Vielleicht müssen wir rausfinden, welche Straße“, schlug Chloe vor. „Was meinst du, Hermine?“
„Ich meine“, schimpfte diese, „dass das nur Kauderwelsch ist.“ Sie zeigte den beiden anderen ihren Zettel. Fein säuberlich hatte sie unter die Runen die Entsprechungen des lateinischen Alphabets geschrieben: AELNOPPRTZ, ACEEHLLLOSSS, AAAHLPRSTTUZ.
„Na ja, offensichtlich sind die Buchstaben alphabetisch sortiert“, erkannte Chloe recht schnell.
„Aber bei keinem Wort lässt sich ‚Strasse‘ bilden.“ Hermine klang ungehalten. „Dann kann sie ja schlecht eine Straße betreten.“
„Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist der Oberbegriff für die Felder, auf denen man Häuser bauen kann, Straße, egal wie das Feld jetzt genau heißt.“, versuchte Cassandra, sie zu beruhigen. Wobei es tatsächlich sehr lange her war, dass sie dieses Spiel gespielt hatte.
Chloe fixierte die Buchstaben. „Eigentlich“, meinte sie schließlich, „müssen wir doch nur rausfinden, welcher der Gänge Schlossallee heißt. Das ist das teuerste Straßenfeld im Spiel. Es ist anzunehmen, dass das gemeint ist. Und das E kommt nur beim mittleren Wort zweimal vor.“
„Klingt logisch.“ Hermine stand auf. „Dann also der mittlere Gang.“
Cassandra überprüfte zuerst noch, ob sich das Wort tatsächlich bilden ließ, und stand dann ebenfalls auf, als sie zufrieden war. „Der mittlere Gang“, bestätigte sie.
Zu dritt betraten sie den Gang, der sich mit einem lauten Knall hinter ihnen verschloss. „Das hab ich fast schon vermisst“, scherzte Chloe und alle drei brachen in Lachen aus.
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Falls sich jemand wundert: Der Einfachheit halber habe ich mich für die deutschen Straßennamen entschieden. Es hätte die ganze Sache nur noch unnötig verkompliziert, wenn die Mädels sich noch hätten einig werden müssen, ob sie die britische oder die US-amerikanische Version von Monopoly als Grundlage nehmen.