CN: Unfall, Verletzung, Amputation (als Option erwähnt)
Beim Betreten des Krankenhauses fühlte sich Mikas Brust so eng an wie nie zuvor. Ausbildung und Prüfungen des Konzernmilitärs? Kein Problem. Gefechte mit anderen Raumkreuzern? Willkommene Abenteuer. Direkte Konfrontationen mit gewaltbereiten Chopper-Jockeys? Ein Klacks. Aber Lian, verletzt? Mika konnte sich kaum konzentrieren, seitdem der Funkspruch das Schiff vor zwei Tagen erreicht hatte.
„Captain!“ Eine Ärztin salutierte, als sie die Uniform erkannte. Ihre Abzeichen wiesen sie ebenfalls als Angehörige der Militärabteilung aus – vermutlich hatte Mika ihr zu verdanken, überhaupt etwas von diesem bisher vertuschten Zwischenfall erfahren zu haben.
Mika kam direkt zur Sache. „Was ist passiert?“
„Ein Transportschiff, das zwischen dieser Habitatkuppel und dem des Konzernsitzes verkehrte, stürzte aus noch unbekannter Ursache ab, Captain. Es gab aufgrund des Druckverlusts nur sechs Überlebende.“
Lian hatte Glück gehabt, sollte das wohl heißen. Mika schluckte, zwang sich dann, die eine, wichtige Frage zu stellen: „Was ist Lian zugestoßen? Wird er wieder gesund?“ Okay, zwei Fragen.
Die Ärztin zögerte kurz. „Er wird regelmäßig in der Überdruckkammer behandelt. Die Dekompression hinterlässt sehr wahrscheinlich keine bleibenden Schäden.“ Sie sah Mika an. „Das größere Problem ist der Trümmerbruch im linken Unterarm. Beim Absturz wurde der Arm schwer verletzt. Eine Amputation und ein Ersatz wären in funktionaler Hinsicht das Beste, doch bislang verweigert der Patient sein Einverständnis. Er liegt in Zimmer 34 – vielleicht können Sie ja mit ihm reden, Captain.“ Sie salutierte erneut, dann ging sie.
Mika schloss erschüttert die Augen, lächelte aber. Ja, das war typisch Lian. Die Weigerung kam alles andere als unerwartet. Doch das Wichtigste war: Er lebte. Und das war, was zählte.
Behutsam, als wäre es die Tür, die verletzt worden war, klopfte Mika an und betrat das Krankenzimmer.
Lians Haut wirkte durch den Kontrast zu den weißen Laken noch dunkler als sonst. Eine kompliziert anmutende Apparatur aus Schrauben, Stäben, Drähten und Klammern umgab den linken Unterarm, ein großes Pflaster klebte über dem halb rasierten Schädel und unter dem Hemd lugten die Ränder eines Schulterverbands hervor. Die Bettdecke verbarg mögliche weitere Spuren des Absturzes, wofür Mika plötzlich sehr dankbar war. Der Anblick war beinahe zu viel auf einmal. Zum Glück schlief Lian und bemerkte nicht, welch erschütterndes Bild er bot.
Mika stand am Fenster, als Lian erwachte. „Hey.“ Die Erleichterung lag mehr im Tonfall als in dem Wort selbst.
„Du hast aber lange gebraucht.“ Der Scherz kam Lian nur leise über die Lippen. Wach zu sein, schien ihn viel Kraft zu kosten.
„Schneller ging nicht“, antwortete Mika und setzte sich neben ihn. „Ich bin ja froh, dass ich überhaupt informiert wurde.“
Auch Lian wurde ernst. „Vielleicht war’s Sabotage“, sagte er kurzatmig. „Von einem anderen Konzern. Oder Spionen. Oder so.“
Damit sollten sich andere befassen. „Wie geht es dir?“
Lian versuchte sich an einem beruhigenden Lächeln, doch Mika kannte ihn zu gut, um seine Sorgen zu übersehen. „Ganz gut, schätze ich. Ich bin platt vom Druckverlust. Ganz schön anstrengend das alles.“ Er vermied es, seinen verletzten Arm anzusehen.
Mika wusste, was er dachte. Lian war überzeugter Earther. Für ihn stellte die Vergangenheit auf dem dritten Planeten des Sol-Systems ein Ideal dar. Er wollte sein wie die Leute damals, leben wie sie, als Geoingenieur eine Umgebung erschaffen, wie sie auf der Erde existiert hatte. Er liebte Geschichte und verabscheute den Gedanken, mittels Technologie das „Wunderwerk Mensch“, wie er es bezeichnete, zu verändern. Die Aussicht auf einen künstlichen Arm musste für ihn ein Albtraum sein.
„Ich bin froh, dass du lebst“, sagte Mika daher und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Alles andere ist mir egal.“
Lian presste die Lippen aufeinander und blinzelte ein paar Tränen fort. „Ich glaube, dass es heilen kann“, erklärte er mit gepresster Stimme.
Und damit wusste Mika, was zu tun war. „Dann finden wir raus, wie man das unterstützen kann.“