CN: Gewalt (Raumkampf mit Treffern)
Mit feuchten Händen und so starkem Herzklopfen, dass es bis in den Kopf hinauf zu spüren war, nahm Tobi den Helm entgegen. „Passt der auf meinen Druckanzug?“
„Na klar. Aber der verhüllt dann ja noch mehr von dir.“ Der interessierte Blick des Gangmitglieds wanderte Tonis Körper hinunter, dann wieder hinauf. „Wie wär’s: nach dem Test zu mir?“
„Äh ... was?“ Toni war vollkommen auf die bevorstehende Prüfung fokussiert und schenkte seinem Gegenüber erst jetzt einen Teil Aufmerksamkeit. Kahler Schädel, faszinierende Augenimplantate mit verführerischem Blick, einladende Lippen und ein so weit geschnittenes Kleidungsstück, dass unmöglich zu erraten war, was für ein Körper sich darunter verbarg. Wie spannend ... Einen Augenblick lang war Toni versucht, das Angebot sofort anzunehmen, konzentrierte sich dann aber wieder auf den anstehenden Flug. „Später vielleicht.“
Das Gangmitglied hob eine Braue. „Bist du FOMO oder was?“
Toni verzog das Gesicht. „Hey, ich hab nicht ‚nein‘ gesagt, sondern später vielleicht‘. Ich hab grad keinen Kopf für so was – lass mich erst mal das hier hinter mich bringen, dann ... mal schauen.“ Eins nach dem anderen.
Versöhnt half das Gegenüber, den Spezialhelm am Druckanzug zu befestigen, und öffnete die Tür des Choppers. „Na dann – viel Erfolg. Ich warte hier.“
Toni war froh, im Inneren die vertraute Musik anschalten zu können. Endlich fühlte die Umgebung sich richtig an – der Test konnte beginnen.
Das Leitsystem des Mutterschiffs lenkte den Chopper in ein freies Stück Weltall.
„Alles klar?“, ertönte es im Helminneren. „Bereit für eine kleine Runde Rodeo?“
Toni grinste. „Hundo P!“
Auf die Bestätigung hin wurde das Visier des Helms undurchsichtig und diente als Bildschirm. In der nun dargestellten Augmented Reality schwebte ein Asteroidenfeld vor der Nase des Choppers – und zwei gegnerische Raumjäger, die direkt auf Tonis Maschine zuhielten. Die Prüfung hatte begonnen.
Mit einer raschen Rolle drehte Toni ab und verschaffte sich einen Überblick über die Lage. Einer der Gegner verfügte über ein gewaltiges Triebwerk – dieser Jäger war Tonis in Sachen Geschwindigkeit mit Sicherheit überlegen. Doch Schnelligkeit ging auf Kosten der Wendigkeit, Trägheitsdämpfer hin oder her. Beim zweiten Chopper lag der Fokus auf der Bewaffnung – auch hier konnte man mit Geschick punkten.
Durch eine schnellen Steuerbewegung wich Toni einer Salve Projektile aus und stürzte sich ins Asteroidenfeld. Die Jagd begann.
Wenige Minuten später war Toni so sehr aufs Steuern, Schießen, Ausweichen, Manövrieren, Beschleunigen, Abbremsen und Ertragen der Kurvenbeschleunigung fokussiert, dass kein Platz mehr für andere Gedanken war. Rechts an diesem Felsen vorbei, mit einer haarscharfen 170-Grad-Wende einem Splitterhagel entgehen, zurückfeuern, mittels Rolle hinter einen der Gegner setzen, feuern, das Steuer herumreißen und eine Ladung Projektile direkt in den Antrieb des fliegenden Geschützturms. Treffer! Doch keine Zeit für Freude: Ein defekter Jäger bedeutete weitere Trümmerteile, mehr Ausweichen, noch höhere Konzentration auf das Umgebungsradar. Schweiß lief Toni über die Stirn, in die Brauen, die den Großteil ablenkten, sodass der Rest weggeblinzelt werden konnte. Der Jockey des schnellen Choppers war gut. Nur Wendigkeit konnte Toni davor retten, einen zweiten Streifschuss abzubekommen, oder gar einen Volltreffer. Wendigkeit! Verdammt – scheiß auf die Asteroiden. YOLO! Diesen Gedanken fest umklammernd, riss Toni den Steuerknüppel ganz zu sich heran. Der Chopper gehorchte sofort, kippte nach oben weg, legte sich in eine enge, schnelle Kurve, die trotz Trägheitsdämpfern das Blut aus dem Kopf in den restlichen Körper drückte. Es kostete Toni alle Willenskraft, jedes bisschen physische Leistungsfähigkeit, die Schwärze, die die Sicht zu verschleiern drohte, zurückzudrängen, nicht ohnmächtig zu werden. Letztendlich rettete die jahrelange Erfahrung die Situation: Trotz Schwindel und verschwimmender Sicht feuerte Toni genau im richtigen Moment und beschädigte den verbliebenen Gegner so stark, dass der manövrierunfähig im All trieb.
Der Applaus und der Jubel, die plötzlich über die Comverbindung ertönten, ließen Toni zusammenzucken und beinahe mit einem Felsbrocken kollidieren.
„Gut gemacht, Bro!“, rief eine Stimme durch das Com. Dann folgte ein Lachen. „Kannst dich entspannen. Warte ...“
Der Bildschirm vor Tonis Augen erlosch. Das nun wieder durchsichtige Visier zeigte den leeren Raum, durch den der Chopper getanzt war, einer Choreografie folgend, die für Außenstehende ausgesprochen seltsam ausgesehen haben musste.
Zurück an Bord des Mutterschiffs wurde Toni von der neuen Gang empfangen. Von allen Seiten wurde gratuliert, schlugen Hände auf Schultern, wechselten sich Umarmungen mit Bro-Fists ab.
„Du bist wirklich ein Fliegerass.“ Die interessante Person mit den Augenimplantaten grinste Toni vielsagend an. „Jemanden, der so fest im Sattel sitzt, können wir auch bei echten Rodeos gebrauchen.“
Toni lachte. Das Angebot war durchaus verlockend. Und gab es eine angenehmere Art, einen Erfolg zu feiern?