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Nach dem Prompt „Leuchtkalmar/Jubiläum“ der Gruppe „Crikey!“
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Es war das erste Mal, dass Azabjit mit den anderen Mitgliedern des Bundes zusammentraf. Er hob die Hand zum Gruß der Initiierten, welcher jenen Felsen nachahmte, an dem der Bund seine Ursprünge gefunden hatte, und versuchte, den älteren Elben nicht zu neugierig in die Gesichter zu starren.
"Kopfüber hinauf", murmelte er.
"Kopfüber hinauf", grüßten die meisten höflich zurück.
"Dabei wird uns unser Weg heute eher hinab führen", erwähnte Xibamita, der Elb, der Azabjit ausgebildet hatte. "Das hier ist unser Neuzugang. Erst letzte Woche hat er, pünktlich zu unserem Jubiläum, die abschließende Prüfung bestanden."
Die Elben nickten ihm höflich zu. Dann wandte sich das Gespräch der heutigen Klettertour zu.
Es gab ein besonderes Ziel. Die Zeit drängte etwas, da sie einen weiten Abstieg vor sich hatten: Über die Klippen im Osten Gai-Shitoris, bis hinunter zu der Stelle, wo sich das Meer an einem schmalen Sandstreifen brach. Dort, in einer geheimen Bucht, erwartete sie ein herrliches Spektakel.
Zunächst jedoch mussten sie die steile Felswand hinab. Der Bund nahm nur die besten Kletterer auf, die sich an den schwierigsten Aufstiegen des Gebirges bewiesen hatten - womit nicht die hohen Gipfel, sondern tückische Überhänge gemeint waren, Strecken, die man ohne Sicherung klettern musste. Dennoch war es eine gefährliche Tour für sie. Die Klippen ragten hoch über die Wellen und führten dort direkt ins Meer. Wer stürzte, würde sich am schroffen Gestein verletzen und in den stürmischen Fluten zermalmt werden. Der Wind riss an ihnen, während sich die Elben mit Fingern und Zehen an jede noch so schmale Ritze klammerten. An jedem Vorsprung hielten sie, um sich neues Pulver auf die Hände aufzutragen.
Dann ging es tiefer, salamandergleich um eine Klippe herum und dann zur Bucht, die in einer Art Höhle innerhalb der Klippen lag, einem hohen, nach oben offenen Loch, das wirkte wie mit einem riesigen Speer in den Fuß des Gebirges getrieben. Die Klippenspitzen ragten wie geborstener Feuerstein in den Wind. Azabjit und seine Gefährten mussten achtgeben, sich nicht an einer Kante zu schneiden.
Als sie auf dem schwarzen Sand aufsetzten, wurde es bereits dunkel. Doch das bedeutete, dass der Geheimbund gerade rechtzeitig gekommen war, um einer alten Tradition zu frönen. Ein Spektakel, das einem Feuerwerk gleichkam und von den Mitgliedern seit Jahrhunderten geheim gehalten wurde.
Sie setzten sich auf den Sand, packten die mitgebrachten Vorräte aus und erholten sich von den Strapazen der Reise. Dann erschien das erste, hellblaue Licht. Es blitzte unter den Wellen auf wie eine Sternschnuppe und war rasch entschwunden, doch Azabjit, der ungeduldig darauf gewartet hatte, schnappte nach Luft.
"Da sind sie!", rief er. "Die Kalmare kommen!"
"Geh ruhig, mein Junge." Sein Mentor lächelte nachsichtig.
Azabjit sprang auf und lief an die Wellenlinie, wo nun mehr und mehr Lichter erschienen. Kleine Tintenfische, deren Haut hellblau erstrahlte. Bald glitzerten Funken entlang der gesamten, langen Küstenlinie. Die ausgewachsenen Tiere kamen zur Eiablage hierher und würden zum größten Teil sterben. Während die Wellen sie wiegten, sandten die Tiere ihre magisch anmutenden Lichter in die Nacht hinaus. Azabjit sog den Anblick in sich auf, stumm angesichts dieses Wunders der Natur.
Seine Haut prickelte. Genau hier, in genau so einer Nacht, hatten die Rebellen, die sich durch ihr Klettergeschick vor dem tyrannischen damaligen Kaiser gerettet hatten, den Geheimbund gegründet. Im Anblick dieses Wunders hatten sie geschworen, die Schwachen zu beschützen - und gleichzeitig, dieses Tal geheim zu halten, damit sich dieses Wunder jedes Jahr wieder abspielen konnte.
Das war nun genau dreihundert Jahre her. Allmählich begriff Azabjit, welches uralte Erbe er angetreten hatte. Auch wenn es längst keine Tyrannen mehr gab, der Bund bestand fort und hielt sich getreu an seine Aufgabe.
Einige der älteren Elben standen bereit, um die Kalmare einzusammeln und das zeremonielle Mahl zu bereiten. Sie warteten nur noch darauf, dass der letzte der vier Monde in die Öffnung des Tals treten und ihnen sein Licht schenken würde.