Dank Brian konnte ich den Ausflug in vollen Zügen genießen und steckte das Schaukeln besser weg als gedacht. Wäre er wie sein Vater über das Wasser gerast, wäre ich wohl schneller aus dem Boot geflogen, als mir lieb war. So aber konnte ich mich auf das gute Wetter und die angenehme Begleitung konzentrieren.
Durch die Sonne glitzerte die Wasseroberfläche so, als hätte das Meer Millionen Diamanten verschluckt. Selbst durch die Sonnenbrille bezauberte mich die Schönheit des offenen Meeres.
Nach einiger Zeit steuerte Brian plötzlich eine Insel an, in deren Hafen eine luxuriöse 45-Meter Drei-Deck-Jacht mit schnellen und dynamischen Linien stand, wie mein Auge erfasst hatte. Selbst ich, die keine Ahnung von Schiffsmodellen hatte, erkannte, dass es sich um eine hochmoderne Jacht handelte.
„Was machen wir hier?", fragte ich und lauschte der Musik, die beim Näherkommen zu uns hinüberwehte. Außerdem hörte ich Lachen sowie Quietschen und sah, wie zwei Leute von der Jacht ins Wasser sprangen, um Wasserball zu spielen. Das war an solch heißen Tagen eine willkommene Abwechslung und machte bestimmt Spaß. Wie es aussah, war hier eine Party im Gange.
„Uns ein wenig die Zeit vertreiben", lächelte Brian, der das Boot an den Steg des Hafens steuerte.
Fragend hob ich meine Augenbrauen. Was genau meinte er damit? Gab es auf der Insel etwas Sehenswertes und ein Restaurant, das Brian mit mir besuchen wollte? Oder bezog sich seine Aussage auf die Jacht, neben der er hielt? War es sogar seine?
Kaum angedockt und den Motor abgestellt, winkte uns ein junger Mann zu und befestigte das Boot am Steg. „Schön, dich wiederzusehen. Und du hast eine andere Gesellschaft mitgebracht!", sagte der Mann, der garantiert nicht älter als 20 Jahre war. Sein spitzbübisches Grinsen erinnerte mich an Brians, wenn er etwas ausheckte.
Mit einem Seitenblick zu ihm stellte ich fest, dass es der Tatsache entsprach. Brian versuchte ernst zu bleiben, schaffte es jedoch nicht und kicherte.
„Danke, gleichfalls, Chris. Das ist Jade", stellte er mich vor und legte einen Arm um meine Hüfte. Seine Geste hatte etwas Beschützendes und Besitzergreifendes an sich und ich schmiegte mich leicht an ihn.
„Hey, Jade", begrüßte Chris mich fröhlich. Der Wind wirbelte sein braunes, verwuscheltes Haar auf und er fuhr sich galant über den Kopf. Seine braunen Augen musterten mich neugierig und ich grüßte ihn verbal und mit einer Handbewegung. Chris war mir auf Anhieb sympathisch!
Dankbar nahm ich Brians angebotene Hand an, um mir aus dem Boot zu helfen. Da ich ziemlich unsicher war, von einem schwankenden Boot aus das Festland zu betreten, bot mir Chris seine Hand als zusätzliche Hilfe an. Sobald ich festen Boden unter meinen Füßen spürte, seufzte ich erleichtert. Ich hatte nicht erwartet, wie eine betrunkene Ente zu torkeln. Mein schwankender Gang amüsierte Brian und ich hörte, wie er sich schlapp lachte. Schmollend schnaubte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Lange hielt das nicht an, denn Brian zog mich an sich.
„Das ist normal", versicherte er schalkhaft und zwinkerte mir zu. Seine Augen blitzten unternehmungslustig, als er sich leger über sein kurzes Haar strich.
Genau wie Chris, der sich räusperte und sich leicht vor mir verbeugte. „Freut mich, dich kennenzulernen, Jade. Du bist nicht zufällig wie Doreen?", fragte er, was Brian an meiner Seite schnauben ließ. Daraufhin seufzte Chris erleichtert.
„Nicht annähernd. Jade ist eine Wucht. Doreen kann bleiben, wo der Pfeffer wächst", murrte er.
Brians Verhalten konnte ich ihm nicht verübeln. Allein ihr Name brachte auch in mir unangenehme Erinnerungen hoch. „Woher kennt ihr euch?", wollte ich wissen. Neugier, dein Name ist Weib! Eigentlich mochte ich den Spruch nicht, doch er passte zu mir und ich musste grinsen.
„Chris ist ein Freund von Sebastian, meinem Bruder", antwortete Brian und wandte sich an Chris. „Wo ist er?"
Lachend fuhr sich Chris erneut über seine Haare und nickte zur Jacht. „Tummelt sich bereits unter den Frauen. Trinkt gelegentlich ein Champagnerglas, aber torkelt noch nicht", erwiderte er schmunzelnd.
Scharf sog ich die Luft ein und musterte Brian von der Seite. „Dein Bruder?", fragte ich tonlos und bemerkte erst jetzt, dass ich mich an seiner Hand festkrallte. Brian hatte nicht verlauten lassen, dass wir seinen Bruder treffen würden, und ich war nicht sicher, ob ich dazu in der Lage war. Was, wenn ich mich nicht mit ihm verstand? Er schien genauso ein Superreicher wie Brian zu sein, wenn ihm die Jacht gehörte.
„Ja, Sebastian ist eine Weile hier", erklärte er und gab mir beruhigend einen kleinen Kuss auf meine Wange. Ich ging davon aus, dass er Chris – der mich ungeniert musterte – damit vermutlich signalisieren wollte, dass ich ihm gehörte. Eifersucht dieser Art kannte ich von Brian bisher nicht. Nur von Damon, der am besten Doreen mit in die Hölle nehmen sollte, anstatt uns weiter zu belasten!
Gemeinsam schlenderten wir den Steg entlang Richtung Jacht. Von der Ferne hatte sie schon beeindruckend ausgesehen, doch aus der Nähe war sie eine Wucht. „Warum hast du mir nichts gesagt?", wisperte ich Brian zu und sah an mir hinab. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich in bessere Kleidung geworfen!
„Wieso?", fragte Brian sichtlich erstaunt. Mit einer Handbewegung zeigte ich stumm auf meine Kleidung, woraufhin Brian kicherte. „Du siehst immer klasse aus, Jade", hauchte er, was mir – trotz der Temperaturen – eine Gänsehaut bescherte. „Egal, was du trägst: Du musst dich keineswegs schämen. Du wirst sehen, Sebastian juckt es nicht, was du trägst. Wichtiger sind dein Charakter und dein Humor. Daher wirst du auch", murmelte er und räusperte sich, „für manche weniger hübsche Menschen sehen."
Fragend sah ich ihn an, bekam aber keine weitere Erläuterung. Grübelnd ging ich neben Brian her und ließ mir von Chris, der vorausgegangen war, auf die Jacht helfen. Vorsichtig und unsicher setzte ich einen Fuß auf die Treppe und spürte, wie Brian seine Hand an meinen Rücken legte, um mir zusätzliche Hilfe zu geben.
Sobald wir auf der Jacht waren, sah ich mich neugierig um.
Der blitzende Parkettboden aus Zedernholz passte zu dem sonst weiß und cremefarben gehaltenen Interieur. Es wirkte nicht steril, sondern einladend. Neben mehreren Sitzecken, in denen Leute mit ihren Gläsern anstießen, gab es eine Bar und – wie ich richtig erkannte – sogar ein Buffet, das gerade von Leuten in Dienstkleidung nachgefüllt wurde. Dieser Teil war unter dem Dach der Jacht, der andere Teil diente zum Sonnen. Dort gab es einige Liegestühle, die fleißig genutzt wurden.
Wir wurden von einigen Leuten begrüßt und uns wurde ein Champagnerglas in die Hand gedrückt, ehe wir in ein kleines Gespräch mit Bekannten von Brian verwickelt wurden. Es ging um ein Event, das einer der Gäste bald veranstalten wollte. Obwohl er Urlaub hatte, nahm er sich die Zeit und schaltete in den Arbeitsmodus. Ich ging davon aus, dass er das nicht einmal als Arbeit ansah, denn er wirkte gelöst und gelassen.
Da ich nicht mitreden konnte, blieb ich schweigend neben ihm stehen und nahm die Leute etwas genauer unter die Lupe. Mir fiel eine junge Frau im Rollstuhl auf, die bei einer Gruppe auf dem nicht überdachten Teil der Jacht stand und lachte. Sie wirkte zwischen den Leuten gelöst und nicht, als hätte sie Angst. Vielleicht schätzte ich sie auch falsch ein und sie kannte die anderen bereits lange.
Dann bemerkte ich einen Mann, der sich gerade beim Buffet bediente, und ich schauderte leicht, als er sich in meine Richtung umdrehte, und somit seine Narben, die sein ganzes Gesicht entstellten, präsentierte. Von seiner gruseligen Erscheinung abgesehen, hörte ich ihn höflich eine Frau fragen, ob er sich zu ihr setzen konnte. Sofort rutschte die Brünette ein Stück und ich stellte fest, dass sie lispelte.
Jetzt verstand ich, was Brian vorhin gemeint hatte, und ein seliges Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Hier waren Leute, die von vielen Menschen gehänselt und ausgegrenzt wurden, weil sie nicht dem Standard entsprachen, doch hier fühlten sie sich wohl und mussten sich scheinbar nicht für ihre großen und kleinen Probleme schämen. Jeder hier schien sich in die Gesellschaft zu integrieren und auch akzeptiert und respektiert zu werden.
Das fand ich ... niedlich. Brians Bruder musste ein herzensguter Mensch sein. Zumindest sah es auf den ersten Blick so aus, doch was, wenn ich mich täuschte?
Plötzlich riss mich Brian aus meinen Gedanken und ich starrte ihn mit klopfendem Herzen erschrocken an, als er sich von mir löste und auf einen Mann zuging, der ihm verblüffend ähnlichsah, jedoch mit dem Unterschied, dass jener seine Haare bis zum Kinn trug. Mit der gleichen Frisur hätte ich ihn für Brians Zwillingsbruder gehalten.
„Altes Haus, schön, dich wiederzusehen!"
Ungeniert umarmten sich die Männer und ihre enge Vertrautheit sorgte für einen Kloß in meinem Hals. Geschwisterliebe war nicht immer einfach und ich wusste von Tatjana, dass sie sich oft mit ihren gestritten hatte. Ich war nie in den Genuss gekommen, einen Bruder oder eine Schwester zu haben. Früher war ich deshalb traurig gewesen, doch irgendwann hatte ich mich damit arrangiert und fand es mittlerweile gut so, wenn ich an meine Mutter und ihren Umgang mit mir dachte.
„Gut siehst du aus, Seb", meinte Brian und schob seinen Bruder ein Stück von sich.
„Wie ich sehe, hast du Gesellschaft mitgebracht", bemerkte Sebastian in meine Richtung grinsend. Auch er besaß das süffisante Grinsen, das mir anfangs Unwohlsein bereitet hatte.
Etwas rot um die Nase geworden, wartete ich einen Augenblick, ob Brian mich vorstellte, und nahm dann die Sache in die Hand. Zielstrebig ging ich auf Sebastian zu und hielt ihm meine Hand hin. „Ich bin Jade", grüßte ich und stellte die nächste Ungleichheit zwischen den Brüdern fest: Sebastians Augen waren braun mit grünen Sprenkeln, während Brians blau waren. Zudem fiel mir auf, dass Sebastians schwarze Haare in der Sonne wie Seide glänzten. Gut sah er aus, das konnte ich nicht abstreiten.
Sebastian hob meine Hand und drückte einen leichten Kuss auf meinen Handrücken. „Ich freue mich, endlich eine neue Begleitung an Brians Seite kennenzulernen. Ich bin Sebastian", sagte er.
Durch den Handkuss überrascht, sah ich schnell zu Brian, der seinen Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.
„Bist du betrunken oder gehst du unter die Männer, die fremde Frauen mit Handküssen beeindrucken?", fragte er keck, was Sebastian ein dunkles Lachen entlockte.
„Weder noch, aber ich bin der Meinung, dass deine Begleitung solch eine Begrüßung verdient", antwortete er schmunzelnd und ließ meine Hand los. „Kommt, amüsiert euch und schaltet vom Alltag ab. Ich bin hinten am Pool."
Als er sich umdrehte und genau in die Richtung ging, legte ich meinen Kopf nachdenklich schief. „Das ist wirklich dein Bruder?", fragte ich leise. Meine Befürchtung, dass er sich herablassend benehmen würde, hatte sich nicht bestätigt und ich war erleichtert. Wäre Sebastian anders, hätte ich hier keine Minute verbringen wollen.
„Ja, das ist er", bestätigte Brian und legte einen Arm um mich. „Lass uns Spaß haben."