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CN: ein unschuldiges (?) Tier stirbt, Erwähnung von Mord
Nach dem Prompt „Blindschleiche / Nichts so wie es scheint“ der Gruppe „Crikey!“
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"Das ist der Hahn?" Der Mensch deutete mit dem unrasierten Kinn zum Käfig in der Ecke.
Der Bauer nickte, während er seinen Hut in den Händen drehte. Er drängte sich an die Wand, genau wie seine Frau, hinter deren Rock die vier Kinder hervorblickten. Der Tisch und die Sitzbank waren für die Gäste geräumt worden, doch von den dreien hatte nur der Zwerg Platz genommen und kippte einen Krug Bier. Er rülpste, verzog das Gesicht und schob den Krug von sich.
Der Elf kniete sich vor den Käfig, der in der Ecke auf dem Butterfass stand, und sah zwischen den Käfigen hindurch. "Hm. Eindeutig ein Hahn." Er öffnete die Klappe.
Die Bauersfrau schrie auf, dann presste sie sich die Hand auf den Mund. Stumm drängte sie ihre Kinder zur Tür hin, doch die vier waren wie erstarrt.
Der Elf nahm seelenruhig ein Ei aus dem Nest und schloss den Käfig wieder. Das Ei warf er dem Menschen zu, der es vor den angespannten Blicken der Bauern auffing und auf der Holzplatte des Tisches aufschlug.
Ein fauliger Geruch stieg auf, während sich zähes Eigelb auf der Tischplatte verteilte.
"Uärgs", kommentierte der Zwerg. "Muss das sein, Athron?"
"Guck mal, Hugor!" Der Mensch beugte sich fasziniert über das Ergebnis.
Der Elf und der Zwerg traten hinzu.
"Potzblitz", brummte Hugor.
Im Eigelb schwamm ein kleiner, etwa fingerdicker Wurm mit gezackten Schuppen.
Der Elf presste sich ein Tuch auf den Mund.
"Das Ei ist erst von heute Morgen, Sir Lafellis", versicherte ihm der Bauer.
Die Dreiergruppe beachtete ihn nicht. "Noch jung", murmelte der Athron und streckte die Hand zu Lafellis aus, der ihm wortlos einen Dolch reichte. Damit durchtrennte der Mann den Wurm. Er schnupperte an den Eingeweiden, während seine Gefährten Abstand nahmen.
Der Bauer tauschte einen besorgten Blick mit seiner Frau.
"Ihr habt eindeutig ein Basiliskenproblem", erklärte Athron ihnen.
"Das sagten wir ja, hoher Herr!", bekräftigte der Bauer. "Werdet Ihr die Bestie erschlagen?"
"Natürlich." Athron nickte. "Und wir fangen mit dem Hahn da an. Wir können es uns nicht leisten, dass noch mehr dieser Kreaturen in Eurem Haus schlüpfen."
"Noch mehr ...?" Der Bauer wurde blass.
Hugor nahm das zum Anlass, den eckigen Käfig aufzunehmen. Dieser bestand aus zwei rechteckigen Holzplatten, die über kräftige Eisenstanden verbunden waren. An einer Seite war die Tür, obendrauf eine Lederschlaufe als Griff. Der Zwerg schulterte den Hahn, der Elf nahm seinen Bogen vom Tisch und Athron setzte den Hut auf. "Ihr sagtet, die Bestie hause in einer Höhle am Berg? Dann gehen wir jetzt und suchen nach Spuren."
"Habt vielen Dank, ihr Herren!", rief der Bauer aus. "Bitte, passt auf Euch auf!"
Die drei begaben sich nach draußen und ließen nichts zurück als den halbvollen Bierkrug und den überwältigenden Gestank des Eis.
Draußen holten alle drei tief Luft. Nachdem sie etwas Abstand zwischen sich und die einsame Berghütte gebracht hatten, prustete Lafellis.
"Hoher Herr! Habt ihr diesen Bauern gehört? Als wären wir Adel!"
"Wir werden heute auf jeden Fall speisen wie der Adel." Zufrieden klopfte Hugor auf den Käfig. "Hühnchen gab's schon lange nicht mehr."
"Wir haben allerdings nicht mehr so viele falsche Knochen", gab Lafellis mit einem Blick zum Beutel zu bedenken. "Wir müssen uns diesmal gut überlegen, wo wir die platzieren."
"Das ist ein Problem für nach dem Essen." Hugor klopfte dem Elfen auf den unteren Rücken. Außerdem war Athrons Show mit dem Ei echt beeindruckend. Der Wurm war ja fast schon übertrieben. Wie hast du den Gestank hinbekommen, Kumpel?"
"Gar nicht. Der war schon." Athron grinste über die Schulter. "Das Ei war ein wunderbarer Schauspielpartner."
"Von wegen frisch", brummte Lafellis. "Diese Tölpel hatten vermutlich zu viel Angst, es anzufassen, und das lag da seit Wochen!"
Lachend zogen die drei in die Berge, wo sie sich schließlich eine geschützte Stelle suchten und ein Lagerfeuer entfachten. Hugor bereitete den Hahn mit ein paar Gewürzen zu, während Athron und Lafellis die Knochen - eigentlich Hirsch- und Rehknochen - im Feuer etwas ankokelten.
"Bauerntölpel", murmelte Hugor kopfschüttelnd. "Und nicht mal gutes Bier! Was ist eigentlich mit den Leuten, die hier umgekommen sind?"
"Vielleicht Unfälle", brummte Athron. "Oder ein Wahnsinniger. Die Leute glauben ja lieber an alle möglichen Monster als an Mörder."
"Die werden sich in die Hose machen, wenn sie unsere Leichen sehen", meinte Hugor hämisch.
"Dann sind wir ja eh schon über alle Berge."
"Jetzt setz dich hin!", schimpfte Amaya, die Bauersfrau. "Du machst mich noch wahnsinnig, Elis!"
Ihr Mann setzte sich gehorsam unter ihrem stechenden Blick und tupfte sich über die Stirn. "Bist du sicher, dass sie es geglaubt haben? Die sahen wie Profis aus. Echte Drachenjäger."
Sie schnaubte. "Sie haben keinen Verdacht geschöpft, das sagte ich doch. Der Gestank vom Ei hat sie abgelenkt."
"Das war echt übel", bestätigte Elis. "Wie hast du eigentlich die Schlange da rein bekommen?"
"Das war ein Wurm oder so. Hat sich vielleicht da eingenistet, nachdem es verdorben ist." Amaya zuckte mit den Schultern. "Uns hat es ja nur geholfen. Dieser verdammte, verräterische Vogel ist weg. Niemand wird ihn wiedererkennen und erraten, dass du bei Joddes Hof warst."
Elis seufzte. "Der arme Jodde."
"Er wollte dir dein Geld nicht rausrücken", urteilte seine Frau hart. "Es war seine eigene Schuld!"
"Und wenn diese Drachenjäger jetzt herumschnüffeln? Und Spuren finden? Oder sogar ... sein Grab?"
"Dann werden sie dich immer noch nicht verdächtigen." Amaya rollte mit den Augen. "Weil wir sie ja losgeschickt haben, und das hätten wir nicht getan, wenn wir schuldig gewesen wären."
"Aber wir sind doch ..."
"Manchmal kannst du echt blöd sein." Sie schlug ihn mit dem Trockentuch. "Jetzt hör auf zu zittern und mach dich an die Arbeit! Verlier mir jetzt bloß nicht die Nerven, Elis. Denk an unsere Kinder. Wenn du verhaftet wirst, werden sie mich fortjagen, und dann sind unsere Kinder hier ganz allein!"
Elis nickte. "Ja. Ja, du hast recht. Lass mich nur ... durchatmen." Er griff nach dem Bierkrug, als der stechende Blick seiner Frau ihn erzittern ließ.
"Du gehst jetzt an die Arbeit!", zischte sie schlangengleich. "Hast du mich verstanden?"
"Ey, Athron", zischte der Zwerg.
Schläfrig öffnete der Mensch ein Auge. Es war noch nicht ganz Morgen.
"Athron, schnell! Siehst du das da? Ist die giftig?"
Athron, nun doch alarmiert, setzte sich auf. Dann rollte er mit den Augen, als er die Schlange bemerkte, vor der sich Hugor auf einen hohen Findling gerettet hatte.
Lafellis hatte das Tier ebenfalls bemerkt und wälzte sich prompt lachend auf der Erde. "Das ist eine Blindschleiche, du Idiot!"
"Das ist nicht witzig."
"Ist es wirklich nicht", stimmte Athron zu. "Wenn du vor potentiellen Kunden so eine Nummer abziehst, wie sollen die uns dann ernst nehmen? Ein Drachenjäger fürchtet sich vor einer Blindschleiche. Das ist nicht mal eine richtige Schlange!"
Mit finsterem Blick stieg Hugor vom Felsen. "Wollen wir sie fangen?", schlug er vor. "Wir könnten sie bei den verbrannten Knochen hinsetzen. Dann trauen sich diese dummen Bauern nur noch mit Spiegeln und verbundenen Augen hier raus."
"Ich geh doch jetzt nicht da zurück. Wir laufen am Ende noch einem Suchtrupp in die Arme." Lafellis schnaubte.
"Aber eine tote Schlange könnte schon gut wirken", murmelte Athron nachdenklich. Er stand auf und machte einen Schritt auf die Blindschleiche zu. "Vielleicht beim nächsten Mal. Ich frage mich, wo sie herkommt. Es ist noch viel zu kühl."
Die Echse ergriff prompt die Flucht und Athron folgte ihr durch das gebirgige Gelände, über Steine, karge Gräser und Totholz, das in dem lichten Wald überall lag.
Seine Gefährten fluchten und packten ihre Sachen zusammen, um ihm zu folgen.
"Jetzt warte doch mal!", rief Hugor ihm nach.
Sie eilten durch das Gebirge. Schließlich erreichten sie eine größere Geröllhalde, zwischen deren dunklen Steinen die Schleiche verschwand.
"Aha!", meinte Athron glücklich. "Ein Schlangenfelsen. Hier wohnen sicherlich noch mehr!" Er begann, mit einem Ast auf die Steine zu schlagen, und mehrere Blindschleichen wuselten aus den Ritzen. "Fangt sie euch!"
Hugor wimmerte. "Mir ist so schlecht ..."
"Du hättest eben nicht fast das ganze Hühnchen alleine fressen sollen", erklärte Lafellis mitleidslos, während er Blindschleichen in einen Beutel warf. "An die Arbeit!"
"Nee, das lag an diesem Bier. Richtiges Gift, das Zeug. Ich weiß nicht, wo die Frau Brauen gelernt hat." Hugor würgte, als er sich vorbeugte, und richtete sich wieder auf. "Nein. Macht ihr das, ich passe."
Athron trieb weitere Blindschleichen aus ihren Verstecken. Dann lachte er plötzlich. "Lafellis, fang die! Aber vorsichtig, das ist eine echte Schlange!"
Ein schwarzes Tier mit orangenem Bau war aus einem etwas höherem Bau gekrochen. "Sie haben ja doch Basilisken hier. Wenn auch nur einen Falschen. Das ist ein Sibilus. Lass dich nicht beißen, Lafellis."
"Warum der wohl bei den Blindschleichen wohnt?" Lafellis näherte sich dem fauchenden Tier. Die Schlange besaß einige dornige Schuppen, insbesondere über den Augen, sodass es fast erschien, als trage sie eine Krone. Das wäre nun wirklich eine großartige Ergänzung zu ihrer Trickkiste ...
Der falsche Basilisk fauchte.
"Sei vorsichtig", warnte Athron. "So ein Biss tut verdammt weh."
"Ich bin nicht blöd!", schimpfte Lafellis.
Hugor räusperte sich. "Leute!"
Athron und Lafellis versuchten weiter, die Schlange einzukreisen.
"Wir müssen am besten drei finden", überlegte Athron laut. "Die Federn vom Hahn haben wir ja noch, oder? Basilisken sollen drei Köpfe und drei Schwänze haben. Wir könnten sie zusammennähen und behaupten, das wäre ein Kleiner gewesen! Was meint ihr, was das für ein Geld gibt!"
"Leute!", rief Hugor. "Guckt euch mal um!"
Widerstrebend lösten sie ihren Blick von der Schlange und sahen sich um. Bisher hatten sie sich auf die Blindschleichen und den Boden konzentriert. Nun stellten die drei Betrüger fest, dass sie sich aus dem Wald herausbegeben hatte. Der Geröllhang lag unterhalb einer kleineren Höhle. Ringsum befanden sich mehrere moosumwitterte Felsen.
Nur dass es keine Felsen waren, sondern sie sich bei näherem Hinsehen als alte Statuen entpuppten.
"Wer stellt denn mitten im Wald Statuen auf? Und noch dazu so hässliche!" Lafellis begutachtete eine Frau, die den Mund offenbar zu einem Schrei geöffnet hatte.
"Dieses Tal war mal sehr viel bewohnter", wusste Athron zu berichten. "Vielleicht war hier eine Steinmetzgilde oder so. Oder hier wohnte ein Künstler."
Sie sahen sich um. Ein scharrendes Geräusch erklang aus der nahen Höhle. Die drei Betrüger drehten sich danach um und schauten hinauf.
Kein Schrei erklang. Lafellis ließ nur den Beutel mit den Blindschleichen fallen, die unbeachtet im hohen Gras untertauchten.
"Ich war es nicht", wimmerte Elis im Schlaf, dann fuhr er auf. Er zitterte von dem kalten Schweiß auf seiner Haut. "Amaya! Du wirst nie glauben, was ich geträumt habe! Ich dachte, ich wäre das gar nicht gewesen mit Jodde. Im Traum hat mir nur jemand Gift gegeben und falsche Erinnerungen eingepflanzt. Es war ein Basilisk, der mich vergiftet hat. Ist das nicht lustig? Dann hätte doch ein Basilisk Jodde getötet!"
Keine Antwort kam aus der Nacht. Er tastete im Ehebett neben sich und fühlte ... etwas kaltes, nachgiebiges, was wie weiches Leder, aber schleimiger. Es lag dort, wo er seine Frau erwartet hatte. Irgendwelche Stoffbahnen vielleicht ...?
"Amaya?" Er stand auf und tapste aus dem Bett. Auf dem Boden war eine feuchte Spur. Kein Blut, eher ein heller Schleim. Er folgte ihr zur Vordertür und stieß die Hüttentür auf. "Amaya?"
Der Vorgarten war leer, doch er glaubte, im Mondschein etwas über dem Wald fliegen zu sehen. Ein Wesen mit drei Hälsen und drei Schwänzen, und gelblich glühenden Augen.