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Nach dem Prompt „Kellerassel“ der Gruppe „Crikey!“
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Yodda starrte auf die Wand, ballte die Hand zur Faust und versuchte, nicht zu schreien.
Der Wunsch, die bemalte Kellerwand zu zerschlagen, war übermächtig. Mit letzter Kraft konnte sie sich davon abhalten.
Diese Malerei hatten ihre Freunde für sie gemacht. Bäume, Blumen und natürlich den Sonnenschein, den sie seit ihrer Verwandlung so schmerzlich vermisste. Sie konnte dieses Kunstwerk nicht vernichten, auch wenn es ihr schien, als würde die Sonne aus gelber Farbe sie verhöhnen.
Seit einigen Monaten war sie hier gefangen. Draußen war der Frühling angebrochen - ihre geschärften Vampirsinne konnten die Blumendüfte wahrnehmen und sie hörte die Lieder von mehr und mehr Vögeln, die aus ihren Winterquartieren zurückkehrten.
In dem halben Jahr, das sie nun ein Vampir war, hatte sie ihre neue Existenz noch nie so sehr gehasst. Nicht genug, dass Vampire ihr den jungen Elfen genommen hatten, den sie so geliebt hatte, nun war sie selbst ein solches Monster. Und Izcun, ihr einziger Trost in der Dunkelheit des Kellers, war abgereist.
Der Vampir hatte das Amrais-Tal besuchen wollen, gemeinsam mit Azmaek, der kontrollieren musste, ob der Zauber noch wirkte. Da Yodda dort keine Familie hatte, war sie geblieben. Ihre Familie war hier, in Helmsieg - auch wenn sie fürchtete, dass diese Familie in letzter Zeit geschrumpft war. Ihre Mutter hatte sie nur einmal besucht, bitterlich über das Los ihrer Tochter geweint und war nie wiedergekehrt. Nylian und Kat waren natürlich noch da, aber Yoddas Freunde trainierten hart. Und so verbrachte sie die Tage alleine im Keller und die Nächte allein im schlafenden Dorf, und wurde immer wütender und trauriger.
Eine Bewegung weckte ihre Aufmerksamkeit. Yodda riss den Kopf herum und schnupperte. Sie roch kein Säugetier, aber die Bewegung war auch zu klein gewesen. Rasch ging sie auf alle Viere, krabbelte vorwärts und grinste, als sie eine Kellerassel sah.
Das Tier musste aus einer Lücke im Mörtel der Kellerwand gekommen sein und krabbelte nun nichtsahnend durch den Keller. Kein Licht brannte, weil Yodda der schwache Schimmer durch das abgehängte Fenster genügte und helleres Licht ihr oft schmerzhaft in die Augen stach.
So wähnte sich die Assel in Sicherheit, nicht ahnend, dass ihr Leben kurz vor dem Ende stand. Yodda hob die Hand über das Insekt, krümmte die Klauen und ... schlug nicht zu.
Sie verharrte und legte den Kopf schief. Die Assel hatte angehalten, tastete mit den Fühlern über den Boden und schien sich suchend umzusehen.
"Du hast wohl Hunger", murmelte die Vampirin, setzte sich im Schneidersitz hin und umfasste die Seiten des Panzers vorsichtig. Die Assel rollte sich zusammen, als sie angehoben wurde. Yodda legte sie auf die andere Handfläche und stupste die kleine, graue Kugel an. "Tut mir leid. Ich bin ein Vampir, wir verlieren keine Hautteilchen", sagte sie zu ihrem neuen Freund. "Ich kann gucken, ob noch irgendwo Kartoffeln herumliegen. Aber du hast dir einen höchst ungeeigneten Keller ausgesucht."
Die Assel antwortete natürlich nicht. Aber als spürte sie, dass keine Gefahr bestand, rollte sie sich auf und begann, über Yoddas Ballen zu wandern und ihre neue Umgebung zu erforschen.
Yodda fand im Lager noch eine Handvoll Kartoffeln und setzte die Assel auf eine. Dann ging sie zurück in den Hauptraum. Außer dem Lager gab es noch den ehemaligen Wäschekeller, wo zwei Betten für sie und Izcun standen. Sie seufzte schwer. Ja, sie hatte sich oft mit dem Vampir gestritten, aber ohne ihn war es ja noch öder hier!
"Es hilft alles nichts!", brummte sie. "Ich brauche Ablenkung."
Entschlossen drehte sie sich dem Regal zu und betrachtete die Bücher. Welches sollte sie nehmen? Vieles waren Romane, die sie schon mehrmals gelesen hatte, aber es gab auch Sachbücher über verschiedene Handwerke. Stricken. Maschinenbau. Heilen.
Sie grinste, als sie den richtigen Band fand. Yodda zog ihn aus dem Regal, entzündete eine schwache Öllampe und setzte sich, um zu lesen ...
⁂
Einige Wochen später war der Keller erfüllt von metallischem Hämmern, das alle anderen Geräusche ertränkte. Eventuelle Kellerasseln hatten längst die Flucht ergriffen, und Izcun Javat dachte wenigstens kurz darüber nach, als er die Leiter hinabstieg und ihm mörderische Hitze entgegenschlug.
"Was ist denn hier los, Schatz? Es ist fast Morgen, wieso bist du noch wach?" Er musste brüllen, bis Yodda ihn bemerkte.
"Izcun!" Sie tunkte das Metall in einen Eimer Wasser, der zischend Dampf aufwirbelte. Dann zog sie die schützende Maske mit Visier ab, legte die dicken Handschuhe beiseite und stürmte auf ihn zu, um ihn zu umarmen. Die verwandelte Zwergin reichte ihm kaum zum Bauch. Izcun ließ den Blick über den Vorraum schweifen.
"Was ist passiert? Wo ist der Esstisch hin?"
"Ich brauche Feuerholz. Guck, ich habe ein neues Handwerk gelernt!" Strahlend zog die Vampirin ihn auf die Esse zu.
Izcun blinzelte. Ja, es war eine Esse. Und der Block dort ein Amboss. "Du schmiedest?!"
"Ja!"
"In unserem Keller?!"
"Ja!"
Er wollte wütend sein, aber er musste schmunzeln. Yodda wirkte endlich wieder glücklich. Vielleicht würde sie sich doch noch an das Leben als Vampir gewöhnen, und er konnte diese Schuld loswerden, die ihn niederdrückte, seitdem er sie ungefragt verwandelt hatte. Es hatte ihr Leben gerettet, ja, aber es war nicht richtig gewesen ...
"Hier! Ich bin noch nicht ganz fertig, ich dachte, ich schaffe es, bevor du da bist."
Obwohl er müde war, nachdem er die ganze Nacht hindurch geritten war, betrachtete er den Panzerhandschuh, den sie überstreifte. Dunkles Metall, vermutlich Aschestahl oder eine Legierung daraus, das sie nun um ihre Finger schnallte. Dann begann sie, ein Schuppenhemd überzustreifen. "Hilf mir mal!"
"Die Handschuhe macht man doch als letztes, oder?" Er eilte zu ihr und begann, Schnallen zu schließen und strammzuziehen. "Ist das eine ganze Rüstung?!"
"Jepp." Fröhlich setzte sich Yodda den Helm auf das karottenfarbene Haar und verband den Riemen. "Abgesehen von ein paar Korrekturen, die ich noch vornehmen muss. Aber los, komm mit!"
Sie zog ihn wieder nach oben.
"Warte ... die Sonne ist schon aufgegangen!" Er streckte die Hand aus, als Yodda die Tür aufriss, und kreischte auf. "YODDA!"
Mit ausgebreiteten Armen sprang sie ins Sonnenlicht. Er hörte sie lachen, während er bis an den Rand des Sonnenstrahls vorstürzte. Panisch sah er seine Freundin auf, während die Angst vor dem Licht und die Angst um sie in ihm miteinander rangen.
Aber Yodda brannte nicht. Mit ausgebreiteten Armen drehte sie sich im Kreis. Die Rüstung klapperte, Vögel stiegen ängstlich in den Himmel auf. Ein Schmetterling wurde beinahe von ihrer gepanzerten Hand erwischt. Dann schüttelte ein Windstoß die blühenden Bäume und ein Nebel aus goldenem Blütenstaub hüllte seine Freundin ein wie ein magischer Schleier. Yodda jauchzte.
"Es ... geht dir gut", stammelte er erleichtert.
"Ja! Auf die Idee hat mich eine Kellerassel gebracht. Ich habe eine Schuppenrüstung geschmiedet, aber eine, deren Glieder sich perfekt übereinander schieben." Yodda klopfte auf die Rüstung und ächzte dann. "Bei Thyrmal, ist das laut! Erinnere mich daran, dass ich das nie wieder mache! Aber bin ich nicht genial?"
Izcun schmunzelte. Sie war wirklich genial. Womit hatte er nur verdient, dass diese tolle Frau bei ihm blieb? "Basteln, heilen und jetzt auch noch schmieden?", fragte er. "Willst du nicht noch irgendwas für alle anderen übrig lassen?"
Kichernd kam Yodda zurück ins Haus, wo sie das Visier zurückschob und sich streckte, um ihm einen Kuss zu geben. "Nein", sagte sie mit einem frechen Grinsen. "Alle anderen machen das nicht vernünftig."