Sprache: Englisch
Titel: The Sea Cloak & Other Stories (englische Sprache)
[Der Mantel der See & Andere Geschichten]
Genre: Kurgeschichte
Autorin: Nayrouz Qarmout (ins Englische übersetzt von Perween Richards und Charis Olszok)
Einzelband/Kurzgeschichtensammlung
Meine Altersempfehlung: Ab 16
Erschienen: 2019
Cover der englischen Taschenbuch-/Softcoverausgabe: Größtenteils blau, eine fallende/schwimmende weibliche Silhouette in schwarzen Linien. Mit weißen Linien Wasser, Wasserblasen, Seegras angedeutet, die den Körper umschlingen. (illustriert von Inez Hickman)
Wegen des Covers und des Titels habe ich das kurze Büchlein gekauft. Ich wusste nicht wirklich, worauf ich mich einlasse. (Gekauft bei Kohsie.* Vielleicht wusste ich also doch, worauf ich mich einlasse.)
CNs: Krieg (meist hintergründig, aber treibendes Motiv), Missbrauch (körperlich, psychisch, sexuell), Gewalt in der Familie, erlebte Gewalt, Leben auf der Straße, Zerstörung durch Krieg, Tod/Tötung, Blut, Drohnen als Kriegsmittel, Menschen als Kriegsmittel
Vorweg, zum Verständnis, sonst könnten die nächsten Absätze wie aus der Welt gerissen wirken: Nayrouz Qarmout ist eine palästinensische Autorin, Mitte der 80er in Damaskus geboren und 94 im Zuge des israelisch-palästinensischen Friedensaktes/Friedensvertrags in den Gazastreifen zurückgekehrt. (frei aus der englischen Vita im Buch übernommen, bin mir wegen der deutschsprachigen Bezeichnungen gerade etwas unsicher.)
Zwischendurchlektüre und Leseempfehlung bis hin zu Lieblingsbuch. Die Kurzgeschichten sind relativ knapp (6 bis 15 Seiten), aber es kann sein, dass danach eine Pause nötig ist. "Black Grapes" [Schwarze Trauben] und "Mirror" [Spiegel] haben mich nach der eingänglich eher friedlichen und im Gegensatz zu den anderen Kurzgeschichten eher sanfteren Episode, ziemlich mitgenommen. Ich hatte Albträume und wusste im ersten Moment nicht, woher.
Der Schreibstil ist eingängig, malerisch, die Gewalt subtil. Die Autorin badet nicht im Leid der Betroffenen, manchmal zeigt sie nur die Auswirkung auf die Leser*innen, indem sie "uns" mit einem offenen Ende oder der Realisation ob der Hintergründe einer Szene allein lässt. Alles ist gesagt und doch saß ich sprachlos und beeindruckt vor den Zeilen. Jede Begegnung hat eine Bedeutung, alles ist eng Verwoben und als ich das einmal verstanden hatte, hoffte ich bei späteren Geschichten "bitte nicht". Und dann endete es unverhofft gut, in einer Insel des Friedens und Zusammenhalts im Hintergrund einer Welt, die zerbricht und zerbrochen wird.
Erster Satz (aus der ersten Kurzgeschichte "The Sea Cloak"):
Once again, she retreated into the past, to a sprawling camp buzzing with children playing marbles and forming teams for a game of "Jews and Arabs".
[Wieder einmal entfloh sie in die Vergangenheit, zu einem weitläufigen Camp, das von Kindern nur so schwirrte, die mit Murmeln spielten und sich für das Spiel "Jews and Arabs" in Gruppen aufteilten.]
Aus der Kurzgeschichte "Black Grapes":
" 'Bitahon? There appears to be a terrorist in the Efrat settlement.' "
["Bitahon? Es scheint ein Terrorist in der Efrat-Siedlung zu sein."]
Da es mir schwerfällt, weitere Zitate zu suchen, weil jede Kurzgeschichte einer eigenen Darstellung bedürfte und ich bei anderen Kurzgeschichten zu viel vorwegnehmen würde, nehme ich den Klappentext, der mehr sagt als es im ersten Moment scheint, um einen Eindruck von diesem Buch zu vermitteln:
Drawn from her experience of growing up as a young woman in the 'world's largest prison' - Gaza - Nayrouz Qarmout's stories stitch together a stirring patchwork of perspectives exploring what it means to be a Palestinian today.
Whether following the daily struggles of orphaned children fighting to survive in the rubble or recent bombardments, or mapping the complex tensions between political forces vying to control Palestinian lives, these stories offer a rare insight into one of the most talked about but least understood cities in the Middle East. Taken together, they afford us a local perspective on a global story, always rooted firmly in that most cherished of things, the home.
[Beeinflusst von ihrer Erfahrung als junge Frau im "größten Gefängnis der Welt" - Gaza - aufzuwachsen, vereinen Nayrouz Qarmouts Geschichten ein Flickenteppich voller Eindrücke darüber, was es bedeutet, heutzutage palästinensisch zu sein. Ob sie den täglichen Überlebenskampf verwaister Kinder im Schutt der letzten Bombenangriffe verfolgen, oder die komplexen Anspannungen zwischen politischen Kräften ausbreiten, die darum wetteifern, palästinensiches Leben zu kontrollieren, erlauben diese Geschichten einen seltenen Einblick in eine der Städte des Mittleren Ostens, über die am meisten geredet, die aber am wenigsten verstanden wird. Alle Kurzgeschichten gewähren gemeinsam eine lokalen Blick in eine globale Geschichte, immer fest verankert im höchst geschätzten Gut selbst, der Familie. ]
Lieblingsfiguren habe ich viele, in beinahe jeder Kurzgeschichte. Seien es die Waisenkinder, ein Mädchen, das Drohnenfliegerin werden möchte, Dahlia, Lily, Yara, Sara und andere, an deren Namen ich mich nicht erinnere, oder deren Geschichte namenlos erzählt wurde. Mit den Lieblingsstellen werde ich mich zurückhalten, sonst erzähle ich die Kurzgeschichten nach.
Es sind elf Kurzgeschichten auf in der englischen Ausgabe hundert Seiten. Zehn Pfund, im deutschen etwas mehr. Ich glaube, circa 12 Euro sind es gewesen. Weiterführende Kenntnisse der englischen Sprache sollten vorhanden sein und ein recht weites Vokabular, dann lassen sich unbekannte Phrasen und Sprachbilder gut erschließen.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Geschichten bei passender Einleitung und Bearbeitung im Englischunterricht oder (falls es sie übersetzt geben sollte) im Deutschunterricht behandelt werden. Vielleicht auch "nur" auszugsweise.
Bei einigen Kurzgeschichten gibt es kurze Erklärungen zu unübersetzen Wörtern, bedeutenden Jahren und Tagen, was ich hilfreich fand, um mehr zu verstehen und die Hintergründe zu begreifen.
* Lieblingsbuchhandlung meines Vertrauens, erste Diversity Buchhandlung Mitteldeutschlands. Könnte öfter erwähnt werden.