Sprache: Deutsch
Titel: Die Füchse von Hampstead Heath
(Original: What Abigail did that Summer[?])
Genre: Kurzgeschichte/Novelle
Autor: Ben Aaronovitch (deutsche Übersetzung von Christine Blum)
Meine Altersempfehlung: ab 14
Einzelband, der der Flüsse-von-London-Reihe zugehörig ist und zwischen einigen Büchern spielt (weiß nicht mehr genau wann). Fokus auf eine Nebenfigur der Reihe. Vorwissen ist nicht zwingend notwendig, erleichtert jedoch das Lesen.
Erschienen: 2021 (Erstausgabe, die ein oder zwei Tippfehler könnten in der zweiten Auflage bereits korrigiert sein)
Cover (deutsches Taschenbuchcover): Die markant tapsige, schnörkelige, große Schrift des Titels, ansonsten relativ einfarbig in verschiedenen Grüntönen, im Hintergrund der Stadtplan von Hampstead Heath. Abgebildet ist eine weiß lackierte Parkbank, eine Picknickdecke mit Kaffevollautomat und Sektglas, relativ weit unten ein (vermutlich viktorianisches) Haus. Stimmen alle nicht im Größenverhältnis, was dem Stil der bisherigen Flüsse-von-London-Cover entspricht. Auf dem Cover verteilen sich Füchse und ein Vogel, den ich nicht genauer zuordnen kann. Könnte eine Taube sein, eine Nachtigall ist es nicht (habe gegoogelt).
Umfang: Circa 220 Seiten, 9,95€
CNs: Selbstverletzendes Verhalten, Dissoziation/dissoziative Flashs, zum Tod führende chronische Krankheit, kontrollierende familiäre Umgebung, gleichgültige familiäre Umgebung
Zwischendurchlektüre. In diesem Buch steht Abigail Kamara im Fokus, eine Cousine Peter Grants (Protagonist der FvL-Reihe). Ich-Perspektive, im Präsenz erzählt (was mir eine schöne Abwechslung bot). Die Geschichte ist kurzweilig und im Gegensatz zu den Hauptromanen mit weniger Ebenen ausgestattet, was bei der Hälfte der Länge vollkommen in Ordnung ist. Allerdings bin ich den ausschweifenderen Erzählstil gewohnt und musste einige Absätze doppelt lesen, weil Fortschritte/Änderungen in einer Zeile angekündigt wurden und ich diese überlesen hatte. Manche Gedanken und Szenen wirkten auf mich, als hätte Aaronovitch mit Kampf und Krampf versucht eine weiblich assoziierte Perspektive einzubrechen, was echt nicht nötig gewesen wäre. Ich weiß nicht (mehr), wie Dreizehnjährige denken, schien zu passen. Erklärungen, warum Abigail etwas weiß, fand ich unnötig, auch wenn ich verstehe, dass sie berechtigt und für andere Leser*innen notwendig sind. Ich nehme für gewöhnlich schnell hin, dass Figuren Zeug wissen, ohne zu wissen, woher sie es wissen, weil das meiner Lebensrealität mehr entspricht als zu wissen, woher ich Zeug weiß.
Spannungsaufbau war definitiv da, die Popkultur-Referenzen, ein bisschen Architektur und bei Abigail mehr technische Versiertheit als bei Peter. Also wieder was gelernt, einen neuen Stadtteil von London erkundet und mich dabei heimisch gefühlt. Ich mag Abigail, ihre leichte Überheblichkeit den Erwachsenen gegenüber, ihre Sturheit, ihre Art mit den Umständen in ihrer Familie umzugehen (oder auch nicht umzugehen). Sie möchte nicht emotional sein und genauso sehr will sie es. Vielleicht ist es nicht nur ein pubertärer Konflikt, der sich durch Abigails Gedanken zieht, sondern allgemein ein Spannungsverhältnis auf der Suche nach dem eigenen Platz in der Welt und der Bedeutung der Menschen um sie herum.
Amüsant fand ich die Idee, Postmartins Anmerkungen in Form von Fußnoten einzubringen. Das lässt die Geschichte wirken, als wäre sie eine Niederschrift für Nightingale (Chef) bzw Agent Reynolds (wiederkehrende Nebenfigur).
Erster Satz:
Ich sitze in einem Vernehmungsraum der Polizeistation Holmes Road.
Statt weiterer Zitate die Widmung, weil die trifft:
Dieses Buch ist allen systemrelevanten Arbeitskräften überall auf der Welt gewidmet.
Lieblingsfiguren: Nightingale (wer sonst?). Er hat leider nur wenige Auftritte, aber die Auftritte die er hat, sind toll. Besonders die eine für ihn starke emotionale Reaktion.
Isabela. Über sie würde ich gern mehr erfahren und ich hoffe, dass, wenn es einen weiteren Band über Abigail gibt, sie mehr Nachforschungen über Isabela anstellen wird. Vielleicht schlummert eine bisher unentdeckte Bekanntschaft mit anderen ehemaligen Praktizierenden im Dunkeln. Ihre Figur lässt definitiv den Blick in eine neue unerforschte Richtung des Geschichtenuniversums zu.
Indigo. Viel kann ich über sie nicht sagen, ohne zu spoilern. Nur so viel: Sie ist eine tolle Erzählerin. Und ich mag Füchse.
Simons Mum. Sie fällt in die Kategorie der Figuren, die bei ihrem ersten Auftritt einfach fürchterlich unsympathisch sein sollten und am Ende jede gesammelte Sympathie verspielen, die sich mit diesem Charaktermodell allerdings bei mir breitmachen und nicht mehr ausziehen wollen. Ich mochte sie von Beginn an und werde weiter kleine Fan-Fähnchen wirbeln, sollte sie noch mal vorkommen. Was nicht heißt, dass ich jede ihrer Handlungen unterstütze - ganz im Gegenteil. Und ich würde sehr, sehr, sehr gern das Gespräch zwischen ihr und Nightingale lesen!
Distel. Es liegt nicht nur an ihrem Namen, dass ich sie mag. Versprochen. Ihre Interaktion mit einem der Flüsse ist niedlich. Sie wirkt sprunghaft, uneindeutig, potenziell gefährlich und ist eine Fae.
Abigail. Sie ist eine Jugendliche, die aneckt, die oft missverstanden wird und noch seltener akzeptiert, die methodisch versucht, sich und die Welt zu entdecken. Sie ist die Jugendliche, der eine fürchterliche Biographie und Sozialstunden bevorstehen könnten. Bei der locker der erste Gedanke sein könnte: nicht die schon wieder. Und sie weiß, dass sie für ihr Umfeld genau das ist. Find ich mega, dass diese Selbsterkenntnis dabei ist, dass sie versucht, mit diesem Ruf umzugehen und dabei schwankt. Womöglich interpretiere ich zu viel hinein, aber - wichtiges aber - Menschen kennen das Stigma, das ihnen anhaftet und das schwingt zwischen den Zeilen immer wieder mit.
Szenen, in denen einer der Flüsse vorkommt (gemeinsam mit Distel), die Nightingale-Szenen und die mit den anderen meiner Lieblingsfiguren gehörten zu meinen besonderen Stellen im Buch. Scheint bei mir eine Korrelation zwischen Lieblingsfiguren und hervorzuhebenden Szenen zu geben. Zudem die Kletterszene zu Beginn der Handlung, Abigails oft unfreiwilliger Humor, ihr Plan und dessen Umsetzung zur Konfliktauflösung.