Sie konnte nicht in Worte fassen, wie sie die männlichen Mitglieder ihrer Familie gerade hasste. Wegen denen war sie von ihrer Mutter am Tor abgesetzt und mit einem sehr bedauernden Blick zurück gelassen worden. Sie war achtzehn, verdammt. Sie sollte jetzt sich einen Freund suchen, ihm die Augen verdrehen, zehn Kinder in die Welt setzen und glücklich sein. Oder Wahlweise ihr Spitzenabitur mit einem Doktor in einem Geld generierenden Studienfach wie Jura vergolden und dann erst ein Kind bekommen. So in fünfundzwanzig Jahren.
Was genau ihr Vater in der Burg/Schloss/Ruine was auch immer, gemacht hatte, wusste sie eigentlich auch nicht. Es war etwas mit Tradition gewesen. Etwas, was jedem Erstgeborenen, wenn er denn keinen Unfall hatte, als Lebensjob sicher war. Sie hatte drei Brüder und fünf Schwestern, eine hätte ja für sie hier sein können, aber nein. Sie mussten ja alle einen "Unfall" haben.
Das absolut Schlimme an diesen Unfällen war, sie hatten alle mit Sex zutun, oder mit der Anbandlung eines solchen oder dem Ersatz von solchem. Ihr Vater dagegen war an einem Arbeitsunfall im Haushalt gestorben, aber das ist eine andere Geschichte. Sie hatte noch keinen Sex gehabt, noch nicht mal den im Geist. Sie hatte sich vorgenommen, dass sie auf den richtigen warten wollte, aber würde der jetzt noch kommen? Immerhin arbeitete sie ab sofort für diese Burg. Also diese ganz spezielle Burg. Ihren Dienstherren, den sie direkt am Abend getroffen hatte, hatte sich vor ihren Augen in Luft aufgelöst und war dann für Tage verschwunden. Ob das ein gutes Zeichen war, konnte sie nicht sagen.
Kurze Zeit später traf sie den Untermieter, den ihr Vater nur den Mann genannt hatte. Sie wusste sofort, warum er das getan hatte. Hatte sie Angst vor ihm? Sie doch nicht. Erstens war sie aufgeklärt und zweitens war der Kerl nett, auf seine Art, also irgendwie. Sie fühlte sich von ihm begutachtet, und sein Ausdruck, er würde sie mögen, hatte in Anbetracht seines Seins einen merkwürdigen Beigeschmack. Er kam dann auch mit ihrer ersten Aufgabe auf sie zu. Es ging ins Kühlhaus und da hasste sie ihre älteren Brüder und auch ihren Vater einmal mehr. So eine Klitze kleine Vorwarnung wäre schon nett gewesen.
"Wer ist das?", fragte sie.
"Datt sinn die Verflossenen vom Boss. Die wo er mit singe Charm nitt so recht zum Zuje kommen kunt. De Wiber, de him uff de Jest jejangen sinn."
Sie hoffte gerade inständig, dass sie ihrem Dienstherren nie auf den Geist ging. Andererseits hatte ihre Mutter ihr nicht gesagt, Igors seien tabu? Galt das auch für sie?
"Kinnchen. Muss ken Schiss han. Du bis ene Igor. Der bruch dich. De wedd dir nix tun."
Der ... Mann ... grinste breit, entblößte Ruinenzähne und zeigte auf die ganzen Frauen, die mit dem Kopf nach unten hier hingen und an denen Schläuche Blut in kleinen Säckchen sammelten.
"Ab de Madels hier sinn halt hier her jezoje, um den Alten zu überleven und dann dem singe Jeld ab zu zocke. Et sinn immer welche dabej, die so denke. Wesste doch."
Sie wusste es nicht, aber sie verstand nun den Grund von dieser Kammer. Sie fragte sich nur, wie ihr Vater das hatte Geheim halten können, vor allem heute mit moderner Technik und Smartphones.
"Kannst du mir sagen, wie mein Vater gestorben ist?", wollte sie von dem schleimigen Typen wissen, was bei dem eine rein äußerliche Eigenart war.
"Nur wenn du me verzellst, warum du he biss. Ich han immer jedacht, dass so ne Ijor jenuch Bursche züchtet, datt de Madels der Familie hier nitt hin mohten."
"Hat er zumindest versucht", sagte die neue Dienerin der Burg nachdenklich. "Sie hatten alle Unfälle."
"Datt hat dinge Vatter uch des öfteren. Nur halt de letzte waht zu viel. E iss von der Leiter runner, nu watt zu schnell, als e de neuen Kerzen da oven rinn jedreht hat."
"Er ist von einem Kronleuchter gestürzt? Wie schrecklich. Wie hoch war es denn?"
"So ne Meter."
"Aber bei so einem Sturz stirbt man normal nicht."
"Datt iss auch normal es su. Also Mädche. Verzell mol. Wie viele Kinners hatte den dinge Vatter nu?"
"Neun."
"Und ken anna kunnt de Job mache? Ich senn doch, datt du nitt he seen willst."
"Wie gesagt, die hatten alle Unfälle."
"De este?"
"Dem war mal zu heiß. Da hat er sich nackt vor einen Ventilator gestellt. Was soll ich sagen, er ist etwas zu nahe an den rangekommen."
"Uhh, datt muss doch weh jetan han."
"Bestimmt. Aber da war ich noch klein, als wir ihn zu Grabe trugen. Wenn mein Vater nicht an dem Sturz gestorben ist, woran dann?"
"Unne drunner stand ene Emmer mit Wasser und da iss er mit dem Kopf rin."
"Wer ertrinkt in einem Eimer mit Wasser?"
"Dinge Vatter nicht. Dafür hatte de keene Zig. Wie ist de nächste abhanden jekumme?"
"Weißt du, was Männer manchmal heimlich mit ihrem Ding machen?"
"Du menst das da rumjefuchtel? Datt hann ich nie verstanne, watt datt bringe sull. De Mester macht dett uch. In letzte Zig ziemlich häufisch."
"Jedenfalls hat der das auch gemacht und dann hat ihn mein Vater erwischt."
"Hatta vor Schreck de Löffel wech jeworfe? Schwache Pumpe?"
"Was? Nein, er ist aus dem Bett gefallen."
"Da iss man aver uch nitt dot."
"Es sei denn, man fällt mit seinen nassen Ding genau auf eine Mehrfachsteckdose. Da war im Haus sofort der ganze Strom weg."
"Dinge Klüngel hatt et ja minne Strom."
"Warum?"
"Weil dinge Vatter den ja uch in de Kronleuchter jebaut hat. Damit de nitt me jeden Abend hoch zu deme Kerzen mot und die alle mit dem Knopp an krechte."
"Der ist an einem Stromschlag gestorben?"
"Nitt so direkt. Aber du häss doch noch meh jeschwister", brachte der Mann die Unterhaltung zurück auf ihre Geschwister.
"Meine Schwestern haben alle Kinder und die sind alle Unfälle. Haben sie zumindest meinem Vater gesagt. Wenn du mich fragst, haben die gewusst, dass sonst sie hier her müssen. Nur mich haben sie im Dunklen gelassen."
"Du hess kenne anner Bruder mehr?"
"Ich hatte da noch einen, aber du hast mir noch immer nicht gesagt, woran nun mein Vater gestorben ist."
"E hat en Stock in singe Pumpe."
"Wieso das? Er ist doch kein Vampir."
"Aber jestorben isser so. Un nich wieder uffjestande. Un ich hab noch minge Boss jesaht, datt mit dem Strom, datt iss ne jans doofe Idee. Aba jehört hat de nitt. Watt is nu mit dinge letzten Bruder?"
"Mein letzter großer Bruder ist gestorben wie der erste."
"Luftzerschnibbler?"
"Eher Wurstzerschnibbler. Der war in der Küche, als mein anderer Bruder das mit dem Strom verursachte. Was er sich dabei gedacht hat, weiß wirklich keiner in der Familie, als er sein Ding in den Stutzen von dem Gerät steckte. Aber als meine Mutter die Sicherung wieder reingemacht hat, war auch der anschließend tot."
"Da hasse echt ne harte Zig jehabt. All de Kerle mit dene Unfälle. Un am Ende noch dinge Vatter. Arm Mädche."
"Wie ist der denn nun gestorben?"
Der Mann sah zu dem jungen Ding hin und überlegte.
"Ich jelaube, datt ich da nitt janz unschuldisch bin. Du wesst vielleich, watt ich esse?"
"Tote, ja."
"Jutt. Okay. Ich mag de, wenn se schon etwas länga rumliege und nitt janz so kalt sinn. Aber da hamse uch immer sonne Gase in sich und de Furze se dann russ. Und die ham sich durch de Ritze in den Saal jedrückt. Un als dann dinge Vatter de Boss jebete hat, denen Schalter für de neue Ketzen an de alle Kronleuchter an zu mache, da hat es ene rechte Bumm gegeben."
"Aber das kann man doch auch überleben, oder?"
"Nich, wenn man mit dem Kabel inner Hand vor Schreck den Stuhl, uff dem man stejt, umdeut, der kaputt jeht, sich de Trümmer unner den Leib verteilt, man minne Kopf in den Eimer fällt, datt Wasser dene Strom leitet, e dann zusammen jezuckt is un sich so dene Stock von der Lehne direkt in sing Herz jerammt hat. Ich jlauf, mit singe Knie. Wes es aba nitt janz jenau."
Toll, dachte die junge Frau.