Die Igorine war nicht begeistert, als sie erneut mitten in der Nacht in das Völkerkundemuseum einbrechen sollte, nur weil sich der Freund ihres Meisters nicht dazu durchringen konnte, sich auch endlich einen Anwalt zu nehmen. Dafür war sie nun wieder als Geist unterwegs. Sie hasste es. Als sie am Sarg von Apis, Echnatons Leibarzt, ankam, fand sie diesen leer. Sie stöhnte.
Jetzt musste sie doch tatsächlich durch jede Gott verdammte Kamera laufen, die sie bestimmt auch noch bewachten nach der letzten Aktion mit der Kanope. Sie stöhnte erneut und machte sich auf den Weg. Was hatte ihr Meister so kryptisches von sich gegeben? Ihr Freund wollte, dass sie ihm das seltsame Verhalten von Menschen in dieser Zeit erklären sollte. Was sollte sie ihm, der doch nie aus seinem Sarg kam und die meiste Zeit einfach faul herum lag - okay, der Mann war tot, da sollte er sowieso nichts anderes tun - über diese Welt und die Menschen darin erklären. Er nahm doch eh nicht an deren Leben teil. Außerdem war sie eine Igorine. Ihr Leben war alles, aber nicht normal.
Sie fragte sich gerade auch, wie er es schaffte, mit ihrem Meister zu kommunizieren, wenn er doch nie seinen Sarg verließ. Aber manchmal überraschten sie die Wesen der anderen Welt auch da. Als sie gerade durch die Halle der Steinzeitmenschen ging, klingelte ihr Smartphone. Auf dem Videocall sah sie das eingetrocknete Gesicht der alten Mumie.
"Wo sind Sie? Ich warte auf Sie."
Zum Glück hatte er es sich abgewöhnt, sie zuerst auf altägyptisch anzusprechen.
"Ich bin bei den Steinzeitmenschen. Wo sind Sie?"
"Bei so Typen mit Metall am Körper und mitten drin eine andere lebende Mumie."
Igorine stöhnte noch lauter.
"Oh Göttliche, seid ihr krank?"
"Nein, Apis, alles in Ordnung."
Eine andere Mumie? Gott helfe ihr... nein Gott hatte mit ihrer Welt nun so garnichts zu tun. Aber die Floskel stammte noch aus ihrer Schulzeit und war dabei irgendwie an ihr hängen geblieben. Mit der Aussicht, bald zwei alte Verweste die neue Welt zu erklären ging sie mit grimmigen Gesichtsausdruck, den man dank dem Tuch vor ihrem Gesicht nicht sehen konnte, in die Abteilung Mittelalter und Tounierkampf. Hier gab es sehr viel Puppen in Rüstungen. Vor einer der hinteren Wände stand ihre Mumie und an der Wand vor ihr eine in Klebeband eingewickelte Gestalt. Bei näherkommen erkannte sie diese auch noch.
"Jennifer, was machst du hier?"
"Du kennst die junge Dame?", fragte der staubig und eingewickelte irgendwie noch immer lebenden Leibarzt.
"Sie war in der Schule in meiner Klasse", bemerkte die Igorine und zog die Kapuze vom Kopf. Sie war wohl nicht nötig, wenn man bedachte, dass die andere sich hatte hier ankleben lassen können und es war noch niemand anderes als Apis auf sie aufmerksam geworden. Das Mädchen starrte aber einfach nur und eine Pfütze unter ihr zeigte, dass der Schreck, eine lebende Mumie zu sehen, nicht ihr einziges Problem war.
"Eure Zeit hat eine merkwürdige Art, eure Toten zu behandeln", bemerkte dieser jetzt. "Aber es würde mich schon interessieren, auf welche Art sie heute das Leben so gut erhalten können, sie sieht fast lebendig aus."
"Weil sie es höchstwahrscheinlich ist", entgegnete die Dienerin der Dunklen Welt.
Sie sah zu ihrer Exklassenkameradin, die weiß wie die hinter ihr liegende Wand war, aber ihre Augen verrieten leben. Sie zuckten zwischen ihr und der Mumie hin und her. Die Igorine zupfte an dem schwarzen Klebeband herum. Da hatte es einer wirklich gut gemeint. Sie hätten es auch gut mit der Aufschrift an der Tür des Museums nehmen sollen:
Betriebsferien bis zum 20.3.
Wenn der Leibarzt sie nicht angerufen hätte, wäre sie wahrscheinlich eine echte und in ihrem Fall endgültig tote moderne Mumie geworden.
"Aber was bedeutet nun ihr erscheinen hier?", wollte der Leibarzt wissen.
"Jennifer, würdest du bitte diesem Mann, dessen Name aus dem Altägyptischen soviel wie toter Stier bedeutet, erklären, warum du dich von deinen Freunden an die Wand hast kleben lassen?"
Diese Worte holten Jennifer aus ihrem persönlichen Schrecken.
"Sein Name lautet toter Stier?", fragte sie statt einer Antwort.
"Ja und lenk nicht ab."
"Und du weißt, was er ist?"
"Ja, eine noch lebende Mumie, die früher mal der Leibarzt von König Echnaton war. So und jetzt bitte die Antwort. Ich habe echt keine Lust, hier die ganze Nacht rumzuhängen. Oder so wie du, die nächsten zwei Wochen."
"Wie so zwei Wochen?"
"Das Museum hat Betriebsferien. Habt ihr wohl übersehen. Erklärst du ihm das jetzt oder soll ich?"
Jetzt starrte sie die Igorine nur ungläubig an. Was hatten Menschen nur mit ihren Sinnen und ihrem Verstand. Die Welt musste doch nur so genommen werden, wie sie war. Nichts anderes.
"Ihr wollt mich doch verarschen. Das ist doch nur ein dummer Scherz von dir und deinen Freunden, um mich von meiner Mission abzubringen."
Die Igorine fragte sich gerade, von welchen Freunden Jennifer schwafelte. Als Tochter eines Angestellten einer zwielichtigen Burg hatte man keine Freunde. Aber sie ignorierte das jetzt erstmal. Stattdessen versuchte sie, Jennifer auch die letzte Aussage heraus zu leiern:
"Und die Mission ist?"
"Das Klima retten."
"Was soll das sein?", wollte der Leibarzt wissen und die Igorine gab auf.
"Ich denke, Jennifer hat ja jetzt sehr viel Zeit, ihnen das ganz genau zu erklären. Und wenn sie irgendwann rafft, dass da wirklich die nächsten Tage keiner kommt, dann machen sie mit ihr dieses durch die Wand Ding. Wenn sie dann noch Probleme haben, können sie mich nochmal anrufen. Klar soweit? Gut."
Sie drehte sich um und entfernte sich.
"Die sind doch alle bescheuert", motzte sie vor sich hin.