Die alte Hexe und ihr Sohn
Ein altes Mütterchen, die selbst am Tage durch den mit Schauergeschichten belasteten Wald streifte. Es war ein altes Kräuterweib, die mit einem großen, geflochtenen Korb durch den Wald ging und seltenen Kräuter und Pflanzen sammelte.
Außerhalb des Tales, nur zwei Stunden Fußweg, war eine Kleinstadt, deren Einwohner sehr gläubig waren.
Am Rande der Kleinstadt hatte das alte Kräuterweib eine kleine Hütte, schon recht baufällig und es drohte sogar bei einem etwas heftigeren Windstoß der Einsturz.
Nach jedem Unwetter liefen die Kinder zu der Hütte, sahen die Hütte noch immer stehen und berichteten den Ihrigen davon. Im Lauf der Jahre wunderte sich niemand mehr, dass die Hütte auch dem größten den größten Unwetterkatastrophen standhielt. Es konnte nur einen Grund dafür geben, die Hütte einer Hexe konnte nicht einstürzen, weil sie Zaubersprüche kannte, sie auch einsetzte und selbst die Bewohner, der angrenzenden Stadt, mit ihrem Zauberhandwerk in ihrem Bann zog. Keiner in der Kleinstadt wollte mit der Alten Kontakt haben, alle hatten Angst von ihr verhext zu werden.
Doch wenn ein Bewohner der Kleinstadt schwer erkrankte, keine Hoffnung mehr bei den Familienangehörigen vorhanden war, dann kamen sie zu der alten Frau, die ja in ihren Augen eine Hexe war und flehten um ihre Hilfe.
„Helfen sie meinem Mann, helfen sie mein todkrankes Kind, kommen Sie doch bitte!“
Oft hatten schon Ärzte die Patienten aufgegeben, überließen die Todkranken schon dem Grab, weil sie nichts mehr für sie machen konnten. Wie ein Wunder wurden die aufgegebenen Patienten, die ja schon todgeweiht waren, wieder gesund. Jeder im Ort wunderte sich, wie nach nur einem Besuch eine derartige Heilung möglich war und nicht selten waren die Behandelten noch kräftiger als vorher. Keiner der Bewohner konnte es sich erklären, wie so etwas möglich sein konnte, und es kam auch der Tag, als auch die Kirche davon Kenntnis nahm. Nicht nur die Kirche dachte an Hexerei, an Zauberei, an die Mitwirkung eines noch schlimmeren Gefährten. Sie konnten nur mit dem Satan in Verbindung gebracht werden, die nachts im Wald ekelerregende Orgien mit dem Herrn der Unterwelt abhält und sogar planen sollten, ein Kind mit ihm zu zeugen. Die Geschichten wurden immer verwirrender, nahmen Ausmaße an, die aus dem Bereich der Fantasie zu stammen schienen. Der Sohn der Apokalypse würde dann die Welt verdunkeln, die Welt wie sie existierte in den Abgrund ziehen. Alles würde verdorren, die Ernte vom Gift der Hölle vernichtet und schließlich die Wesen der Unterwelt, mit Pauken und Trompeten, jeden Menschen verspeisen, oder sogar zu ihren Sklaven zu machen.
Es kam, wie es kommen musste und das Unheil nahm seinen unvermeidlichen Anfang.
Bewaffnete kamen in das Städtchen und mit ihnen in einer prunkvollen Kutsche, die von livrierten Dienern begleitet wurde, entstieg ein elegant, ganz in Schwarz, gekleideter Mann.
Mitten auf dem Marktplatz stand er da, ein großer, hagerer Mann, mit einem großen schwarzen Hut auf dem Kopf. Die Hutkrempe verdeckte die Augen komplett, erst seine Hakennase stach wie eine Waffe hervor. Wangen und Kinn waren farblos und wirkten knochig, gaben sein Aussehen einen beängstigenden Ausdruck.
Einem Krallen ähnliche Hand hielt ein Stock, auf den er sich nicht abzustützen schien.
Direkt am Marktplatz stand eine kleine Kirche mit einem kleinen Glockenturm und aus dem Tor, das sich kurz vorher knarrend geöffnet hatte, kam ein Priester mit gesenktem Kopf, auf den Ankömmling zuging. Fast unterwürfig hielt der Priester mit beiden Händen seinen Hut fest und erwartete ein Wort des unheimlichen Besuchers. Der schien den Priester überhaupt nicht zu beachten, der schnipste einfach nur mit seiner freien Hand, mit den krallenartigen Fingern, und sofort fingen die livrierten Dienstboten an, das Gepäck zu lösen und von der Kutsche zu hieven. Noch bevor der unheimliche Besucher und der Pfarrer die Kirche betraten, hatten schon Bewaffnete ein Schreiben an das Kirchenportal geschlagen.
Bekanntmachung!
Es wird Gericht gehalten,
um aus diesem Orte,
für alle Zeiten,
die Macht Satans,
böser Geister,
fernzuhalten!
Angeklagt wird die Kräuterhexe
und es ist hiermit befohlen,
sie festzuhalten,
Gericht über Sie zu halten,
um Sie für Ihre Sünden
zu bestrafen!
Der Großinquisitor
Am Rande des kleinen Städtchens, stand eine alte, klapprige Hütte, und in der alten klapprigen Hütte, stand mitten im Zimmer ein noch klappriger Tisch.
Bewegungslos saß an dem Tisch die gesuchte alte Kräuterhexe.
Ihr Körper war merkwürdig versteift, die Augen starrten an die Decke, doch blicken tat sie in die Ferne. Schwül und verbraucht war die Luft in dem Raum, die einzige Bewegung erzeugten kleinste Staubpartikel.
Die, aufgewühlt durch die undichten Fenster, vom Fußboden hochwirbelten.
Hin und her flatterten die Nüstern, so als sogen sie aus weiter Ferne Nachrichten ein, die der alten Kräuterhexe wichtige Informationen brachten.
Da war etwas, sie spürte es genau und das, was sie mit ihrer riesigen Nase einsog, war nicht friedlich.
Es war beladen mit böser Energie, die für ihr Leben Gefahr bedeuten konnte. Aus ihrem Gehirn löste sich ihr Geist, der sich wie an einer langen Leine in die Ferne begab. Immer näher arbeitete sich der Geist dem Zentrum der ausstrahlenden Gefahr zu, die Signale wurden immer deutlicher, bis sie plötzlich den Ankömmling hautnah spürte, und ihn auch bildlich sah. Vor Schreck hätte sie die Verbindung, die sie mühsam aufgebaut hatte, fast verloren.
Nur durch außerordentliche Konzentration war es ihr möglich, die lange Leine, die sie so mühevoll gefolgt war, aufrechtzuerhalten.
Ein Berittener fand ihn
Am Rande eines Schlachtfeldes, weinend, dem Hungertod geweiht.
War er von einem Flüchtlingswagen gefallen, von Frauen, die dem Heer hinterherfuhren und keiner hatte es bemerkt, keiner wollte es bemerken.
Schon ritt der Reiter an ihm vorbei, sah ihn nicht, wollte ihm nicht sehen.
Doch dann blieb der Reiter stehen, sein Kopf drehte sich zurück, seine Augen betrachteten das kleine Wesen und schließlich wendete er sein Pferd. An jenem Tag brannte die Sonne erbarmungslos vom Firmament, die Wege, die nur aus festgestampftem Sand bestanden, wirbelten bei jedem Hufschlag Staub auf, und die Leiber der Getöteten fingen schon an zu riechen. Deshalb hatte sich der Reiter ein Tuch vor dem Mund gebunden, um sein Weg erträglicher zu gestalten.
Es war ein in Ungnade gefallener Adliger, der kein Grund und Boden mehr besaß. Sein Leben fristete er, in dem er seine Dienste anbot, Dienste, die er mit dem Schwert erledigen konnte. Warum nahm er sich des kleinen Jungen an, das ihm doch nur die Kleider vom Leib fressen wird?
Es war eine Eingebung und als er an dem kleinen Jungen vorbeigeritten war, den er noch nicht mal bemerkt hatte, hielten ihm.
Sein Pferd, unsichtbare Fäden fest, die wie Gummi wirkten, und je weiter er sich entfernte, den Zug vergrößerten.
Automatisch blieb das Pferd stehen und auch der Reiter hatte es bemerkt.
Es ging nicht mehr vorwärts, etwas zog ihm, und sein Pferd mit äußerster Kraft zurück.
Verdutzt drehte er den Kopf zurück und im ersten Moment hatte er nichts gesehen.
„Was ist los?“ - fragte sich der Reiter.
Doch dann sah er den kleinen Jungen am Rand der Straße sitzen.
Unwillkürlich blickte der Reiter den Jungen an, etwas zwang ihm den Jungen anzusehen.
Mit einem starren Blick sah der Junge den Reiter entgegen, die Augen aufgerissen, den Reiter seine innere Macht zu demonstrieren.
Die Farbe der Augen war fast so schwarz wie die Pupillen, das kleine Gesicht schimmerte im Sonnenlicht noch weißer, und die kleinen Lippen leuchteten rot, gaben seinem Aussehen eine unheimliche Aura.
Dem Reiter floss etwas Kaltes den Rücken hinunter und das Gefühl hatte ihm nicht betrogen. Ein kalter Hauch trat wie eine undurchdringliche Wand in seine Richtung und der kalte Hauch hatte Gänsehaut auf seinen Rücken erzeugt. Schon lange hatte er sich jeden angeboten und oft waren seine Dienstherren ohne Gewissen gegen andere vorgegangen. Auch er selbst kannte keine Skrupel mehr, doch beim Anblick des kleinen Jungen spürte er das wirklich Böse.
Gab es hier eine Öffnung zur Unterwelt und ein Kind Satans hatte sich beim Spielen verirrt, ist vielleicht aus Zufall an die Erdoberfläche gelangt?
Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und jeden Moment erwartete er tatsächlich Satan, der schon seinen Beelzebub vermisste.
Aber müsste der Junge nicht kleine Hörner auf dem Kopf haben, ganz kleine Hörner?
Doch er sah nur das tief schwarze Haar, das schon fast im Sonnenschein blendete. Von Kleidung konnte keine Rede mehr sein, fast nackt saß er da, und da sah er seine rechte Hand, in der hielt er eine Ratte, die fast ängstlich in seiner kleinen Handinnenfläche hockte. Obwohl er am liebsten losgeritten wäre und dem Pferd seine Sporen in die Seiten getrieben hätte, wendete er, ritt ganz langsam auf den kleinen Jungen zu.
Es war wie ein Zwang, getrieben von etwas Unbekannten, seine Handlungsfreiheit wurde übernommen, und ihm den Krieger, den gewissenlosen Schurken, der für ein kleines Handgeld auch tötete, schlug ihm unbarmherzig in den Bann. Das Pferd hielt an, ein innerer Zwang trieb ihm dazu aus dem Sattel zu steigen, und nun stand er vor dem kleinen Jungen, der ihm noch immer mit seinen dunklen Augen anstarrte.
Wie von selbst knickten die Knie ein.
Der, der vorher noch ein Reiter gewesen war, stolz dahin ritt, kniete jetzt vor einem kleinen Kind, das in seiner rechten Hand eine Ratte hielt und fast keine Kleider am Leib hatte.
Ein Schmunzeln zog sich über das ganze Gesicht und fast hätte der Großinquisitor losgelacht, er hatte noch nie in seinem Leben gelacht.
Doch die Erinnerung, wie er von diesem Reiter gefunden wurde, und von dem Zeitpunkt an, sein willenloser Gehilfe geworden war, amüsierte ihm. Wo er herkam, wusste er nicht, er war einfach da, saß am Wegesrand, und von diesem Zeitpunkt war er, und wird auch für immer auf Erden seine Erfüllung nachgehen.
Die Macht, die er besaß, war eine Macht, die ihm gegeben wurde, und er setzte seine Macht auch ein, ganz egal wie viele Menschen daran glauben mussten.
Doch vorhin, ganz kurz, hatte auch er etwas gespürt. Sofort hatte er alle Gedanken eingestellt, hatte in seinem Kopf geschaut, doch er konnte nichts sehen. Voller Erwartung hatte er gewartet, hatte förmlich gespürt, da war auch noch eine Macht, die seinesgleichen war, die nur auf ihm gewartet hatte. Aber auch Angst hatte er gespürt, Angst von ihm, den Großinquisitor vernichtet zu werden.
Wer hatte hier so viel Macht, in meine Gedankenwelt zu schlüpfen, um an Wissen zu gelangen, die nur mich etwas angingen.
Auf dem Marktplatz hatten sich die Landsknechte bequem gemacht, warteten nur darauf, von ihm ein Befehl zu erhalten, um die Kräuterhexe einzufangen. Da war es, es war die Kräuterhexe, sie hatte versucht in meinen Kopf einzudringen! Manchmal braucht es nur einen einfachen Gedanken und alles, was vorher im undurchdringlichen Nebel, noch völlig versteckt dalag, wurde nun sichtbar, lag wie eine reife Frucht vor seinen Füßen.
Es ist die Kräuterhexe! –wiederholte er und zum ersten Mal in seinem Leben, zog sich über seinem Gesicht ein zartes Lächeln.
Das, was ich so lange gesucht hatte, habe ich soeben gefunden, eine wahrhaft, wirkliche Hexe!
Alle die angeblichen Hexen hatte er verurteilt, alle schmorten im Endresultat auf dem Scheiterhaufen, doch eine richtige Hexe hatte er noch nicht aufgespürt. Noch immer stand er auf dem Marktplatz, hatte sich ein schattiges Plätzchen gesucht, und noch immer stand der Pfaffe vor ihm, den Kopf gesenkt, und wartete inzwischen auf eine Entscheidung von ihm. Den Pfaffen konnte es nicht schnell genug gehen, der fette Kerl schien sein Amt für sich selbst ausnutzen zu wollen. Bei jedem Prozess, den er unternahm, wurden schließlich mehrere Hexen überführt.
Aus Angst, wurden auch andere der Hexerei beschuldigt, und da fällt für die Kirche immer ein Stückchen vom Kuchen ab. Innerlich verachtete er die Gier der Kirchenfürsten, der sogenannten abgesandten Gottes, doch in Wirklichkeit standen sie den Fürsten der Unterwelt viel näher, als sie selbst dachten. Für ihn selbst war es immer ein Fest anzusehen, wie Unschuldige in den Flammen brutzelten, und dann auch noch den Herrn anriefen.
Der konnte sie nie helfen, dafür waren seine Verhörmethoden einfach zu gut, und das dumme Volk hat es auch immer gefreut.
Eine wundervolle Welt und die Seelen wandern wie von selbst in meinem Köcher! Was musste er jetzt tun? - er konnte doch keine richtige Hexe verurteilen, es war ja fast so, als würde er sich selbst verurteilen.