Also quartierte er das Fußvolk
- in die gegenüberliegende Herberge ein und sorgte auch für genügend Wein. Es war wichtig Kontakt mit der alten Kräuterhexe aufzunehmen, doch das konnte er nicht hier auf dem Marktplatz. Fast schon bereute er es, so voreilig die Bekanntmachung an das Portal der kleinen Kirche angeschlagen zu haben.
Er musste unbedingt Zeit gewinnen und sein Herz, das mehr ein Stein ähnelte, strahlte in seiner Brust eine wohlige Kälte aus.
Keiner durfte etwas merken, wie sehr er das Treffen mit der Alten entgegensehnte, es war im Endresultat nur eine Frage der Macht.
Die Macht hatte er persönlich, alle kuschten vor ihm, weil sie es wussten, wie schnell jeder in Gefahr geraten konnte, auf dem Scheiterhaufen zu enden.
Mit den Pfaffen betrat er die kleine Kirche, die von außen, wie ein Schlösschen wirkte. Verschlafen stand sie da, eine Perle in der Mitte der Kleinstadt, die so trist auf ihm einwirkte. Als ob es aus einem Märchen hier hergebracht wurde, um den bevorstehenden Brandgeruch beizuwohnen. Nicht im Geringsten scheute er es, den Innenraum einer Kapelle zu betreten, sich vor einem Kreuz zu knien, um sich zu bekreuzigen. Auf seiner Brust hing ein riesiges Kruzifix und es hatte ihm noch nie etwas angetan. Für ihn war es nur nützliches Zubehör, es gab ihm den nötigen Respekt, Respekt der auch ohne Worte funktionierte.
Mit dicken pausbackigen Backen lächelte der Pfaffe ihn an, wartete auf ein Wort des großen Inquisitors, um über den weiteren Werdegang informiert zu werden. Sein Lächeln strahlte die Selbstgefälligkeit von Pfaffen wieder, die schon immer für die Gier der vorherrschenden Kaste als Ausdruck herhalten musste. Predige Wasser und saufe selbst Wein.
Auch bei dem Pfaffen war der übermäßige Weingenuss auf seiner fleischfarbenen, fetten Haut zu erkennen. Mit seiner asketischen Lebensweise, stand er dem Glauben viel näher, als alle Pfaffen zusammen, und das Böse, das unter seiner weißen Haut wohnte, war an Edlem nicht zu vergleichen. Er hatte nur eine Aufgabe, die Menschheit zu verderben, ihnen den wahren Glauben nahezubringen, und das mit allen Mitteln. Was scherten ihm millionen-, Seelen, die vom Glauben abgefallen waren, um schließlich zu Asche schmoren mussten. Aber die eine Seele, die dem wahren Glauben anhing, von dessen Glauben zu trennen, war wertvoller, als die gesamte Menschheit. Nun hatte er endlich eine Gehilfin für sein wundervolles Werk gefunden und die dummen Menschen wollen sie brennen sehen.
Dagegen musste er einschreiten, sie musste er retten! Voller Ekel blickte er den Pfaffen an, doch von seinen Empfindungen ließ er nichts nach außen dringen, er wirkte wie immer, kalt und berechnend, ein wichtiger Teil der Obrigkeit.
Vor dem Altar kniete er nieder, faltete seine Hände zum Gebet, sein Blick war auf den gekreuzigten Jesus gerichtet, der wiederum, mit seiner Dornenkrone, scheinbar den Großinquisitor betrachtete. Auch der Pfaffe hatte sich zum Gebet niedergekniet, zumindest wollte er an gottesfürchtigen Eifer, dem Mann in Schwarz nicht nachstehen. Doch Melisto betete nicht den Gekreuzigten an, er betete einfach nur sich selbst an. Was für ein Schauspiel, dachte Melisto, der jetzt Zeit hatte, sich zu konzentrieren. Seine Augen schlossen sich, doch sein Kopf arbeitete fieberhaft. Nach allen Seiten tastete er sich vor, die Schwingungen, die er erst kurz vorher empfangen hatte, aufzuspüren. Für Melisto war es wirklich schwierig, die hilferufenden Gebete, neidische Gedanken und allerlei Klagen zum Schweigen zu bringen. Aber, das, was er suchte, konnte er nicht ausmachen, sie waren spurlos verschwunden. Auch die Gedanken des neben ihm knienden Pfaffen konnte er hören und das, was er hörte, gab nur das wieder, das er sich schon beim ersten Anblick des Mannes gedacht hatte. Vielleicht sollte ich den Pfaffen der Zauberei überführen, es würde Melisto besonders viel Freude machen, ihm schmoren zu sehen. Schon der Gedanke an die Folter erregte Melisto und er konnte es sich bildlich vorstellen, die quiekenden Töne der Angst, wenn er seine Fingerspitzen mit rot glühenden Zangen bearbeitete. Mit einem scharfen Messer seine Fettschicht durchtrennte, um ihm langsam die Haut von der Brust zu lösen.
Wie viele Namen wird er nennen, die mit ihm unsittliche Orgien begangen hatten, und mit Satan gemeinsames Spiel spielten. Und dann die armen Seelen von geopferten Babys, die den höllischen Heerscharen geopfert wurden.
Nur er, Melisto, würde die Wahrheit kennen, und doch, der Pfaffe wird noch ein guter Verbündeter für ihn werden. Bösartigkeit und Gier, waren schon immer gute Gehilfen für mein Anliegen, seine Gedanken kenne ich nun, es bleibt nur noch das richtige Futter für ihn. Ich werde ihm mit Macht bestechen, dann wird aus seinem fetten Maul der Sabber tropfen, und er wird sich schnell verkaufen wollen. Schon war ein neuer Plan geboren, der Großinquisitor hält alle Fäden in der Hand, und am Ende werden sich alle auf die Schultern klopfen, es ist doch ein schönes Spiel!
Zwei Gestalten knieten am Altar, beide schienen in einem Gebet vertieft zu sein. Doch beten tat keiner der Beiden, es war alles nur Schein. Plötzlich wurde die Ruhe des Gebetes unterbrochen, eine Stimme erklang, und sie sprach ganz ruhig. Nicht nur die Ruhe der Stimme ließ die scheinbar Betenden ihre Köpfe erheben, es war der Klang des Heilands, der einst für die gesamte Menschheit gelitten hatte. Unvorstellbare Güte, schwang zwischen den Worten mit, und jedes offene Ohr wurde mit Liebe überhäuft, es war die Liebe aus der Ewigkeit.
Der Pfaffe traute seinen Ohren nicht, was waren das für Töne, die so voller Liebe klangen, die alle Schuld der Menschheit in sich aufnahmen? Spricht etwa der Gast mit mir, der doch so unheimlich wirkt.
Ein scheuer Blick nach links, doch aus seinem Munde kommt kein Laut, wo kommen nur die Worte her?
Fast schon peinlich berührt, blickt er in die Runde, kann keinen sehen, der so hier spricht. Auch der unheimliche Gast, blickt nach da, dann wieder nach dort, auch er kann niemanden sehen.
Ein paar Jahre lebe ich schon hier, doch so etwas war hier noch nie geschehen. Doch, es ist noch jemand hier, er war schon immer da, ich hatte nur vergessen an ihm zu glauben. Immer nur hatte ich Intrigen gesponnen, mein Wohl war wichtiger als sein Wort. Wie konnte ich nur so abrücken vom wahrem Glauben und ich war täglich hier, in seinem Reich, doch ich war blind, hatte nur gefrevelt. Immer hatte er es für Aberglauben abgetan, wenn berichtet wurde, ein Engel war erschienen, hatte einem in Not Geratenen geholfen. Von Nonnen hatte er auch schon gehört, dass nach langen Gebeten Maria erschienen war, um den Orden Beistand zugegeben. Innerlich hatte er es immer abgetan, mit Übermüdung, zu lange auf den Knien gehockt, bis das Urteilsvermögen etwas sehen musste, und in Wirklichkeit war überhaupt nichts vorhanden. Eine Trübung des Kopfes, einfach eingebildete Wahrnehmung.
Muss ich es jetzt in meiner eigenen kleinen Kirche miterleben, in der ich jeden Tag ein und ausgegangen war?
Da kommt ein Fremder, betet mit mir hier auf Knien.
Da, was geschieht, Jesus spricht mit uns, verkündet seinen Willen?
Noch nie hatte er davon gehört, dass Jesus persönlich das Wort hat erklingen lassen. Es waren sonst immer nur einfache Engel, Schutzheilige oder die Mutter Maria. Aber Jesus hatte noch nie gesprochen. Wem habe ich hier zu Besuch, da er auftaucht und Jesus fängt an zu sprechen? Gedanken und gedachte Worte fingen in seinem Kopf an zu tanzen, sie fingen plötzlich an durcheinander zu purzeln.
Unwillkürlich, und er konnte nichts dagegen machen, liefen Tränen über seine Wangen, aber über die Tränen schämte er sich nicht, es waren Tränen des Glücks.
Wenn er sich darüber bewusst gewesen wäre, hätte er die Tränen in ein kleines Gefäß aufbewahren müssen, nur um später den Beweis für das Wunder zeigen zu können.
„Oh Vater, ich habe gesündigt, vergib mir meine Schuld …!“
Was anderes fiel ihm nicht ein, er konnte nicht mehr denken – „und vergib mir meine Schuld, sprich doch weiter, denn Deine Worte sind mir so willkommen, vergib mir meine Schuld, und …“
Da hörte der kleine dicke Mann, dem noch nicht mal die Knie wehtaten, obwohl sie ihm doch immer beim Gebet weh taten, wie Jesus weiter anhob zu sprechen.
Thomas schaute nicht mehr, er starrte den Jesus an, der vor ihm am Kreuz hing.
Seine Augen betrachteten den Kopf, auf dem die Dornenkrone lag, und die Stacheln stachen tief unter dessen Haut ein, und nun sah Thomas sogar, wie aus der verletzten Haut Blut drang.
Blut drang nicht nur einfach aus den Dornenverletzungen, es lief über sein ganzes Gesicht, und dann tropfte sogar Blut hernieder, es traf auf den Boden auf, er hörte sogar die kleinen, zarten platsch Geräusche die es verursachte. Jetzt sah Thomas tief in seine Augen, die einfach nur Traurigkeit ausstrahlten. Aber er sah noch etwas, nicht nur Traurigkeit, es war Hoffnung, und die Hoffnung schob er auf sich, weil er in diesem jetzigen Moment bekehrt worden war, von ihm den Erlöser. Ein tiefes Glücksgefühl machte sich in Thomas breit, ein Wissen, dass er von Jesus persönlich aus den Fängen des Bösen befreit wurde, und nie mehr den Weg weitergehen würde, dem er schon sein ganzes Leben gefrönt hatte. Wenigstens jeden Tag eine gute Tat wird er anstreben und die verbleibende Zeit mit Gebeten verbringen. Dann sprach Jesus noch einen Satz und danach verstummte er, alles schien plötzlich, wie es vorher war, doch für Thomas blieb die Erinnerung.
„Jesus hatte mit ihm gesprochen“
natürlich lautete der letzte Satz;
„Unterstütze, mit Deiner ganzen Kraft, den Mann neben Dir, denn er ist heilig und wird immer ein Heiland sein!“
Selbst für Melisto war es eine Kraftanstrengung, eine geschnitzte Holzfigur an einem Kreuz sprechen zu lassen, bluten zu lassen, und den Einfaltspinsel neben ihm glauben zu lassen, dass er ein Heiliger sei, ja sogar ein Heiland.
Eines wusste er, die Kraftanstrengung hatte sich gelohnt, der Pfaffe ist von nun an ein willenloses Objekt, mit dem er machen konnte, wie es ihm gefiel. Als Erstes werde ich ihm klarmachen, die Hexe ist keine Hexe, es ist einfach nur eine fromme alte Frau, die in einem Kloster die Heilkunst erlernt hatte. Sofort werde ich mich mit ihm auf den Weg machen und die alte Frau ein Besuch abstatten.
Der Großinquisitor erhob sich, sah den Pfaffen an, und mühte sich ab ein Lächeln zustande zu bringen. Gleich darauf entschied er sich, es nicht mehr zu versuchen, er konnte einfach nicht lächeln. Melisto beäugte sein Gegenüber, sein ganzes Auftreten ihm gegenüber hatte sich vollkommen verändert. Kein ängstliches nach unten sehen mehr, dafür hatten seine Augen einen eigenartigen Ausdruck bekommen.
Auf den ersten Blick hätte Melisto schwören können, der Pfaffe ist jetzt vollkommen verrückt geworden, doch er war nicht verrückt geworden. Nun blickte der Pfaffe ihn an, als sei er die geschnitzte Holzfigur, die noch vor einem kurzen Moment mit ihm gesprochen hatte. Die Angst wurde verdrängt von Verehrung, Heiligenverehrung, und genau so sah er ihm an, ich bin für ihn ein Wunder. Melisto hatte eine tiefe Stimme, die, wenn er sprach, fast ein wenig nachzuhallen begann, und sie verlieh seiner Person noch mehr Respekt.
„Wir gehen jetzt zur alten Frau, die alte Frau, die als Hexe angeklagt wurde!“
Sofort zeigte der Pfaffe wieder den ängstlichen Ausdruck wie vorhin, aber es war die Stimme des Großinquisitors, die sich so hart und respekteinflößend anhörte. Damit hatte er nicht gerechnet und da fiel es auch Melisto ein, -„er hatte meine Stimme vorher noch nicht gehört“ ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sich Thomas um, und ging zum Ausgang.
Keiner der bewaffneten Handlanger hatte bemerkt, als der Großinquisitor und der Pfaffe aus der kleinen Stadtkirche gekommen waren, dann quer über den Marktplatz, und anschließend in Richtung Stadtausgang gegangen waren. Noch nie vorher hatten sie eine so willkommene Überraschung erlebt, schon weil der Großinquisitor ein stocksteifer und noch dazu ein brutaler Zeitgenosse zu sein schien. Als ihnen der Befehl übermittelt wurde, in die Schenke einzukehren, und dann auf weitere Anweisungen zu warten, kehrte große Freude in ihre Herzen. Der Wein, der dort in Fässern lagerte, rief in lieblichen Tönen, – kommt, trinkt, bis nichts mehr in Eure Bäuche passt, lasst es Euch gut ergehen! Obwohl die Landsknechte den ganzen Tag marschiert waren, setzten sie sich in Bewegung, und mit jedem Schritt, den sie ausführten, den abgelagertem Wein näher kamen, löste sich ihre Müdigkeit auf. Einem richtigen Mann kann die Müdigkeit nichts ausmachen, wenn zur Belohnung Wein winkt, der auch noch von der Obrigkeit spendiert wurde. Saurer Wein macht lustig und lässt einen süßen Schlaf folgen. Auch die Aussicht eine richtige Hexe zu jagen, zu beobachten wie sie befragt werden soll, hebt schon die Stimmung. Doch die Aussicht nach Wein, der kostenlos ist, hebt die Stimmung noch viel mehr.
Es war eine Kleinstadt und am Rande der Kleinstadt wohnte einmal eine Hexe, die in verborgenen ihrem dunklen Geschäft nachging. Vielen Bürgern war sie ein Dorn im Auge, der schmerzte und sich einfach nicht entfernen ließ. Hinter vorgehaltener Hand hatte man gemunkelt, wie sie mit ihrem Herrn Kontakt aufnahm, wie sie nachts, verborgen von neugierigen Blicken, in ihrer alten Hütte wilde Orgien feierte, sich dem Herrn der Hölle im gierigen Verlangen hingab.
Oft hatte man sie gesehen, lange nach Sonnenuntergang, wie sie in den angrenzenden, dunklen Wald verschwand, und manchmal erst gegen Sonnenaufgang zurückkehrte. Was hatte sie dort wohl getrieben?
Sich mit wilden Wölfen gepaart, oder hatte sie sich selbst in eine Wölfin verwandelt?
Bildlich wurde geflüstert, und die Geschichten wurden immer abscheulicher. Reisende, die von der vorgesehenen Route abgekommen waren, unvorsichtige Wandere, die sich einfach nur verlaufen hatten, sich zitternd neben einen Baum gehockt hatten, um irgendwie der Dunkelheit zu entrinnen, jagte sie, mit unbarmherziger Gier. Wie im Wahn sollte sie dann die Körper, mit ihren an Größe unnatürlichen Reißzähnen, öffnen.
Mit ihren messerscharfen Krallen die Eingeweide herausreißen, um sie schließlich herunterzuschlingen. Bluttriefend soll sie schon am frühen Morgen gesehen worden sein, wie sie sich vor neugierigen Blicken zu ihren schiefen Häuschen geschlichen hatte. Natürlich hatte keiner die alte Dame gesehen, doch irgendwie gewannen die Geschichten an Dynamik, bis sie schließlich als gegeben hingenommen wurden. Am Abend wurden solche Schauergeschichten sogar Kinder, als gute Nachtgeschichte erzählt. Sie endeten meistens mit den Worten;
„Haltet großen Abstand vor der Hexe, sonst wird sie Euch holen, denn das Fleisch von kleinen Kindern, sei besonders lecker, weil es noch zart ist!“
Von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, steigerte sich die Angst, und selbst kräftige Männer wichen der Alten aus, erschraken sich, wenn sie der vermeintlichen Hexe gegenüber standen. Noch unheimlicher war es den wackersten Gesellen, wenn am späten Nachmittag, wenn bereits die Sonne anfing ihre Strahlen kürzer zur Erdoberfläche zu schicken und das alte Weib kreuzte ihnen den Weg. Aus unerfindlichen Grund spürte so mancher, wackerer Geselle, einen kalten Hauch auf ihren Rücken schleichen ließ und dieses Gefühl verstärkte sich ins Unermessliche, ja es konnte so manchen harten Kerl die Knie weich werden lassen. Mit den weichen Knien, kamen dann des Nachts auch noch schreckliche Alpträume hinzu, deren Ursache nur diese alte Kräuterhexe sein konnte. Schon der Blick aus ihren eiskalten fürchterlichen Augen, konnte so manchen Mann zu einem Eisblock verwandeln, wo sich oft auch noch eine unerklärliche Schwäche hinzugesellte, deren Ursache nur zu gut mit der magischen Macht dieser Hexe erklärt wurde.
Was das Absonderlichste daran war, dann wurde auch noch, die Hexe gerufen, weil man unbedingt eine Tinktur, Salbe oder auch einen magischen Spruch benötigte, damit diese unerklärliche Seuche behoben werden konnte.
So nahmen einige ihren ganzen Mut zusammen, schlichen mit zitternden Knochen zu ihrer Hütte, und riefen sie herbei. Es kam auch vor, dass die vorherrschende Angst es verhinderte, und Verwandte den Mut nicht aufbrachten, die Kräuterhexe um Hilfe zu rufen. Als würde sie es spüren, als hätte sie eine Antenne, wenn eine menschliche Seele ihre Hilfe brauchte, kam sie unvermittelt und klopfte nicht vor Mitternacht an die Tür der betroffenen Familien. Dann war das Erstaunen besonders groß, weil keiner wusste, wie sie nur davon erfahren hatte. Mit ihren zerlumpten Kleidern, wie ein Schatten, der sich aus dem Nichts gebildet hatte, stand sie da, und bat um Einlass. Aber die, noch nicht ahnend, wer vor der Tür stand, sackte sofort das Herz etwas tiefer, und schnell traten sie zurück, so viel Abstand wie möglich zu haben. Anstatt die Tür sofort zuzuschlagen, das Böse draußen zu halten, vergaßen sie allen Eigenschutzes, versuchten nur jeden Kontakt mit der alten Hexe zu vermeiden. Im Haus war es dunkel, die Tür öffnete sich, der hell scheinende Mond stand in seiner vollen Pracht am Firmament, beschien die alte Frau, tauchte sie in den unheimlichsten Schattierungen. Schon trat sie in das Haus, fast so als, ob sie eingeladen wurde.
Doch es hatte sie keiner eingeladen, zu groß war die Angst, die Angst von ihr verhext zu werden. Am nächsten Tag, war der noch am Vorabend todkranke Mensch völlig gesund, und fühlte sich sogar kräftiger als jemals zuvor. Keiner der Bewohner der kleinen Stadt hatte eine Erklärung dafür, weil selbst Ärzte rätselten, die nicht in der Lage gewesen waren, auch nur annähernd das Wunder der Genesung zu erklären.
Trotzdem hatte kaum ein Vertrauen zu diesen angeblich perfekten Ärzten, die mit noch bestialischen Mitteln den Gesundheitszustand der danieder liegenden zu heilen. Im Gegenteil, oft wurde der Patient auch noch körperlich geschwächt, weil ihm die Adern geöffnet wurden, Blut floss in Strömen. Es konnte nur Zauberei mit im Spiel gewesen sein und wenn Zauberei im Spiel gewesen war, was hatte sie noch in dem kurzen Moment ihrem Besuch angerichtet. Hatte die alte Hexe das Haus mit einem geheimen Fluch belegt, der erst später zu seiner vollen Wirkung kommen würde? Würden dann vielleicht alle Bewohner auf mystische Weise an einer schrecklichen Krankheit verenden, mit gierigen Händen, die aus dem gestampften Boden kommen würden, einfach in die Tiefe gerissen werden. Oder einfach nur entstellt, mit grässlichen Warzen, die über den ganzen Körper verteilt auf der Haut wuchsen, das weitere Leben fristen müssen.
Wer konnte nur helfen? –wer war nur in der Lage, Abhilfe zu leisten?
Wie ein Lauffeuer kam die Nachricht in die kleine Stadt, ein berühmter Inquisitor war auf dem Weg, die Stadt zu befreien, natürlich vom Bösen!
Im Innersten war Thomas nicht mit einverstanden gewesen, allein mit dem Inquisitor zu der alten Kräuterhexe zu gehen. Aber er musste gehorchen, die Bilder vom gekreuzigten Christus, wie er mit ihm gesprochen hatte, und ihm den Pfarrer der kleinen Herde aufgefordert hatte, den Mann zu folgen, alles auszuführen, was er von ihm fordern würde. Außerdem hatte der Inquisitor Erfahrung im Umgang mit Hexen, denn er hatte ja ständig mit ihnen zu tun, und hatte auch schon viele Hexen vernichtet.
Er musste wissen, wie gefährlich es ist, ohne Bewaffnete, ohne Schutz, und allein zu einer Hexe zu gehen. Schon immer hatte Thomas sein Leben unterwürfig eingerichtet, hatte lieber mehr Abstand eingehalten, um nicht zu nahe am Geschehen zu sein. Wer sich in Gefahr begibt, wird durch Gefahr umkommen, und wer nicht vorsichtig handelt, könnte sein Leben verwirken. Als er noch ein kleiner Junge war, gab es sofort mit einer Weidenrute Streiche, sorgfältig gezielt, je nachdem wo sein Vater gerade gestanden hatte, auf den Rücken, den Po, manchmal sogar auf die Hände, oder ins Gesicht. Sein Vater starb schon früh an einer geheimnisvollen Krankheit, die ihm für kurze Zeit glücklich machte. Aber die Ablösung stand schon bereit und irgendwie hatte er das Gefühl gehabt, eine besondere Beziehung mit einer Weidenrute zu haben, denn die blieb ihm erhalten. In seinen Träumen hatte er sich schon regelrecht verfolgt gefühlt, immer wieder tauchte die Weidenrute auf, selbst wenn er alles richtig gemacht hatte. Und bevor er sich umgedreht hatte, schlug sie unbarmherzig wieder zu, genau wie es sein Vater getan hatte, gerade so wie er mit der Weidenrute zu ihm gestanden hatte. Nun betreute er seine kleine Herde und bis jetzt hatte er auch nicht schlecht dabei gelebt. So manche Büßerin, hatte er ihr Seelenheil zurückgegeben, dafür bekam er etwas Seelenheil für seinen Unterkörper zurück, und alle waren glücklich. Doch jetzt beschlich ihn die Angst, alles verlieren zu können, dabei spielte sein Leben die Hauptrolle. Der Großinquisitor machte ihm Angst, auch wenn Jesus etwas anderes zu ihm gesagt hatte. Eines spürte er ganz deutlich, da war noch etwas, er konnte es nur nicht richtig definieren, es schwebte vor ihm in der Luft, aber wenn er es greifen wollte, war es verschwunden.
Hatte es mit dem Großinquisitor zu tun?
Thomas konnte dem Mann einfach nicht entfliehen, dabei spürte er ein Kribbeln in seinen Füßen, ich kenne das Kribbeln, es bedeutet Gefahr, und am liebsten wäre er losgelaufen. Egal, dachte er noch, ich laufe jetzt einfach fort, – auch wenn damit meine Anwesenheit in der Stadt, und in der Kirche beendet sein wird. Es ging einfach nicht, seine Beine gehorchten ihm einfach nicht, so als, ob sie seinem Willen nicht mehr unterworfen waren. Also ging er weiter, neben den Großinquisitor, der ihm einfach unheimlich war.
Am Nachmittag war der Großinquisitor mit seinen Landsknechten im Städtchen eingetroffen. Obwohl es Hochsommer war, ging die Sonne aus unerklärlichem Grund schon früh unter.
Der Vollmond mit seiner silbernen Scheibe stand fast gleichberechtigt mit der Sonne am Himmel, nur schienen sie sich nicht leiden zu können, denn sie hielten beträchtlichen Abstand voneinander.
Doch als die Gottesmänner, die doch so verschieden waren, am Haus der Kräuterhexe ankamen, war die Sonne verschwunden. Waren es die Bäume des angrenzenden Waldes, die zu hoch im Wuchs waren, und den Schein der Sonne vom alten Haus der Kräuterhexe abhielten. Oder zählten hier an diesem Ort andere Gesetze, Gesetze, die aus einer anderen Welt gesandt wurden, und mit dem Wesen der Kreatur, das in diesem alten Haus wohnte, zu tun hatte.
Todesangst überkam den kleinen dicken Pfaffen und alles, selbst die Luft, die er hier atmete, verstärkte in ihm den Weltuntergang. Ja, so dachte Thomas, so hatte er sich schon immer den Weltuntergang vorgestellt, der plötzlich, ohne Vorwarnung über die Erde fegt, und alles Leben für immer, wie in einem unbarmherzigen Maul verschluckt.
Dann herrscht die Dunkelheit und in der Dunkelheit kämpfen Monster aus der Hölle um die Vorherrschaft. Aber sind wir Menschen, die sich die Krone der Schöpfung nennen, nicht auch Monster, da jeder einzelne Mensch, ob groß oder klein, in einem ständigen Kampf um die Vorherrschaft kämpfen. Da sind die Bauern, ein jeder kämpft um sein überleben, und wenn sie die Möglichkeit haben, würden sie auch einander töten. Da sind die Bürger, die mit Intrigen um mehr Einfluss streiten, und auch bei ihnen ist Gewalt nicht ausgeschlossen. Jede Sprosse höher der Hierarchie, nimmt der Wille Gewalt anzuwenden weiter zu, und gehört schließlich zum Alltag. Sein Vater war ja auch ein Monster, sein Rücken erzählt noch immer von den Schmerzen der Weidenrute, die unbarmherzig seinen Körper gepeinigt hatte.
Oh, wie bedauerte sich Thomas plötzlich, sein jämmerliches Leben in dieser verruchten Welt fristen zu müssen, doch mit seinem Bedauern schmolz auch ein wenig die Angst, jetzt sein Leben beenden zu müssen. Was kann schon kommen, dachte Thomas plötzlich verbittert, diese Welt ist doch schon die Hölle, und im schlimmsten Falle, wechseln nur die Monster, die um die Vorherrschaft kämpfen.