So nahmen einige ihren ganzen Mut zusammen
- schlichen mit zitternden Knochen zu ihrer Hütte, und riefen sie herbei. Es kam auch vor, dass die vorherrschende Angst es verhinderte, und Verwandte den Mut nicht aufbrachten, die Kräuterhexe um Hilfe zu rufen. Als würde sie es spüren, als hätte sie eine Antenne, wenn eine menschliche Seele ihre Hilfe brauchte, kam sie unvermittelt und klopfte nicht vor Mitternacht an die Tür der betroffenen Familien. Dann war das Erstaunen besonders groß, weil keiner wusste, wie sie nur davon erfahren hatte. Mit ihren zerlumpten Kleidern, wie ein Schatten, der sich aus dem Nichts gebildet hatte, stand sie da, und bat um Einlass. Aber die, noch nicht ahnend, wer vor der Tür stand, sackte sofort das Herz etwas tiefer, und schnell traten sie zurück, so viel Abstand wie möglich zu haben. Anstatt die Tür sofort zuzuschlagen, das Böse draußen zu halten, vergaßen sie allen Eigenschutzes, versuchten nur jeden Kontakt mit der alten Hexe zu vermeiden. Im Haus war es dunkel, die Tür öffnete sich, der hell scheinende Mond stand in seiner vollen Pracht am Firmament, beschien die alte Frau, tauchte sie in den unheimlichsten Schattierungen. Schon trat sie in das Haus, fast so als, ob sie eingeladen wurde.
Doch es hatte sie keiner eingeladen, zu groß war die Angst, die Angst von ihr verhext zu werden. Am nächsten Tag, war der noch am Vorabend todkranke Mensch völlig gesund, und fühlte sich sogar kräftiger als jemals zuvor. Keiner der Bewohner der kleinen Stadt hatte eine Erklärung dafür, weil selbst Ärzte rätselten, die nicht in der Lage gewesen waren, auch nur annähernd das Wunder der Genesung zu erklären.
Trotzdem hatte kaum ein Vertrauen zu diesen angeblich perfekten Ärzten, die mit noch bestialischen Mitteln den Gesundheitszustand der danieder liegenden zu heilen. Im Gegenteil, oft wurde der Patient auch noch körperlich geschwächt, weil ihm die Adern geöffnet wurden, Blut floss in Strömen. Es konnte nur Zauberei mit im Spiel gewesen sein und wenn Zauberei im Spiel gewesen war, was hatte sie noch in dem kurzen Moment ihrem Besuch angerichtet. Hatte die alte Hexe das Haus mit einem geheimen Fluch belegt, der erst später zu seiner vollen Wirkung kommen würde? Würden dann vielleicht alle Bewohner auf mystische Weise an einer schrecklichen Krankheit verenden, mit gierigen Händen, die aus dem gestampften Boden kommen würden, einfach in die Tiefe gerissen werden. Oder einfach nur entstellt, mit grässlichen Warzen, die über den ganzen Körper verteilt auf der Haut wuchsen, das weitere Leben fristen müssen.
Wer konnte nur helfen? –wer war nur in der Lage, Abhilfe zu leisten?
Wie ein Lauffeuer kam die Nachricht in die kleine Stadt, ein berühmter Inquisitor war auf dem Weg, die Stadt zu befreien, natürlich vom Bösen!
Im Innersten war Thomas nicht mit einverstanden gewesen, allein mit dem Inquisitor zu der alten Kräuterhexe zu gehen. Aber er musste gehorchen, die Bilder vom gekreuzigten Christus, wie er mit ihm gesprochen hatte, und ihm den Pfarrer der kleinen Herde aufgefordert hatte, den Mann zu folgen, alles auszuführen, was er von ihm fordern würde. Außerdem hatte der Inquisitor Erfahrung im Umgang mit Hexen, denn er hatte ja ständig mit ihnen zu tun, und hatte auch schon viele Hexen vernichtet.
Er musste wissen, wie gefährlich es ist, ohne Bewaffnete, ohne Schutz, und allein zu einer Hexe zu gehen. Schon immer hatte Thomas sein Leben unterwürfig eingerichtet, hatte lieber mehr Abstand eingehalten, um nicht zu nahe am Geschehen zu sein. Wer sich in Gefahr begibt, wird durch Gefahr umkommen, und wer nicht vorsichtig handelt, könnte sein Leben verwirken. Als er noch ein kleiner Junge war, gab es sofort mit einer Weidenrute Streiche, sorgfältig gezielt, je nachdem wo sein Vater gerade gestanden hatte, auf den Rücken, den Po, manchmal sogar auf die Hände, oder ins Gesicht. Sein Vater starb schon früh an einer geheimnisvollen Krankheit, die ihm für kurze Zeit glücklich machte. Aber die Ablösung stand schon bereit und irgendwie hatte er das Gefühl gehabt, eine besondere Beziehung mit einer Weidenrute zu haben, denn die blieb ihm erhalten. In seinen Träumen hatte er sich schon regelrecht verfolgt gefühlt, immer wieder tauchte die Weidenrute auf, selbst wenn er alles richtig gemacht hatte. Und bevor er sich umgedreht hatte, schlug sie unbarmherzig wieder zu, genau wie es sein Vater getan hatte, gerade so wie er mit der Weidenrute zu ihm gestanden hatte. Nun betreute er seine kleine Herde und bis jetzt hatte er auch nicht schlecht dabei gelebt. So manche Büßerin, hatte er ihr Seelenheil zurückgegeben, dafür bekam er etwas Seelenheil für seinen Unterkörper zurück, und alle waren glücklich. Doch jetzt beschlich ihn die Angst, alles verlieren zu können, dabei spielte sein Leben die Hauptrolle. Der Großinquisitor machte ihm Angst, auch wenn Jesus etwas anderes zu ihm gesagt hatte. Eines spürte er ganz deutlich, da war noch etwas, er konnte es nur nicht richtig definieren, es schwebte vor ihm in der Luft, aber wenn er es greifen wollte, war es verschwunden.
Hatte es mit dem Großinquisitor zu tun?
Thomas konnte dem Mann einfach nicht entfliehen, dabei spürte er ein Kribbeln in seinen Füßen, ich kenne das Kribbeln, es bedeutet Gefahr, und am liebsten wäre er losgelaufen. Egal, dachte er noch, ich laufe jetzt einfach fort, – auch wenn damit meine Anwesenheit in der Stadt, und in der Kirche beendet sein wird. Es ging einfach nicht, seine Beine gehorchten ihm einfach nicht, so als, ob sie seinem Willen nicht mehr unterworfen waren. Also ging er weiter, neben den Großinquisitor, der ihm einfach unheimlich war.
Am Nachmittag war der Großinquisitor mit seinen Landsknechten im Städtchen eingetroffen. Obwohl es Hochsommer war, ging die Sonne aus unerklärlichem Grund schon früh unter.
Der Vollmond mit seiner silbernen Scheibe stand fast gleichberechtigt mit der Sonne am Himmel, nur schienen sie sich nicht leiden zu können, denn sie hielten beträchtlichen Abstand voneinander.
Doch als die Gottesmänner, die doch so verschieden waren, am Haus der Kräuterhexe ankamen, war die Sonne verschwunden. Waren es die Bäume des angrenzenden Waldes, die zu hoch im Wuchs waren, und den Schein der Sonne vom alten Haus der Kräuterhexe abhielten. Oder zählten hier an diesem Ort andere Gesetze, Gesetze, die aus einer anderen Welt gesandt wurden, und mit dem Wesen der Kreatur, das in diesem alten Haus wohnte, zu tun hatte.
Todesangst überkam den kleinen dicken Pfaffen und alles, selbst die Luft, die er hier atmete, verstärkte in ihm den Weltuntergang. Ja, so dachte Thomas, so hatte er sich schon immer den Weltuntergang vorgestellt, der plötzlich, ohne Vorwarnung über die Erde fegt, und alles Leben für immer, wie in einem unbarmherzigen Maul verschluckt.
Dann herrscht die Dunkelheit und in der Dunkelheit kämpfen Monster aus der Hölle um die Vorherrschaft. Aber sind wir Menschen, die sich die Krone der Schöpfung nennen, nicht auch Monster, da jeder einzelne Mensch, ob groß oder klein, in einem ständigen Kampf um die Vorherrschaft kämpfen. Da sind die Bauern, ein jeder kämpft um sein überleben, und wenn sie die Möglichkeit haben, würden sie auch einander töten. Da sind die Bürger, die mit Intrigen um mehr Einfluss streiten, und auch bei ihnen ist Gewalt nicht ausgeschlossen. Jede Sprosse höher der Hierarchie, nimmt der Wille Gewalt anzuwenden weiter zu, und gehört schließlich zum Alltag. Sein Vater war ja auch ein Monster, sein Rücken erzählt noch immer von den Schmerzen der Weidenrute, die unbarmherzig seinen Körper gepeinigt hatte.
Oh, wie bedauerte sich Thomas plötzlich, sein jämmerliches Leben in dieser verruchten Welt fristen zu müssen, doch mit seinem Bedauern schmolz auch ein wenig die Angst, jetzt sein Leben beenden zu müssen. Was kann schon kommen, dachte Thomas plötzlich verbittert, diese Welt ist doch schon die Hölle, und im schlimmsten Falle, wechseln nur die Monster, die um die Vorherrschaft kämpfen.
Was wird mir der Tag bringen, dachte die alte Frau, was wird mir die Zukunft bringen?
Genau da, wo sie den Kontakt verloren hatte, sie aus seinem Kopf gezogen wurde, in dem nur Dunkelheit geherrscht hatte, fühlte sie auf ihrer Haut ein Jucken. Was hatte das Jucken nun wieder zu bedeuten?
Immer, wenn ihre Haut juckte, stand unmittelbar etwas bevor. Ob es für ihre Zukunft angenehm war, wusste sie nicht, es konnte wirklich alles bedeuten.
Hatte es mit der Ankunft des Fremden begonnen?
Doch irgendwie fühlte sie auch etwas, das zu ihr gehörte, ja sogar von ihr stammen musste. Nein, schüttelte sie unbewusst den Kopf, denn sie konnte es sich nicht vorstellen, was das wohl sein könnte. Trotzdem fühlte sie sich weiter hingezogen, die Leere in seinem Kopf stimmte genau mit ihrer eigenen Leere überein, als ob sie in sich selbst hineingesehen hatte.
Oder war alles nur ein Trugbild, um mich zu täuschen? Wenn die Macht so groß war, dann war besonders viel Vorsicht geboten.
Wie alt bin ich eigentlich?
Doch so sehr sie überlegte, sie konnte sich einfach nicht mehr erinnern, wie alt sie war.
Die Menschen werden geboren, kommen als kleine Würmer zur Welt, doch auch an eine Kindheit konnte sie sich nicht erinnern. Als ob ich schon immer da gewesen war oder, einfach plötzlich dagewesen war.
Alles, was sie konnte, hatte sie nie erlernt, sie konnte es einfach, und am besten konnte sie in die Köpfe von Menschen schlüpfen, so deren Gedanken lesen, die sie sogar mit Zaubersprüche verändern konnte. Unruhe durchzuckte ihre alten Glieder und fast hörte sie schon Töne, die nicht vorhanden sein durften. Laut pochte es an der Tür, die den Druck der Schläge kaum imstande war zu widerstehen. Bei mir hatte doch noch nie jemand angeklopft, keiner wagte es zu ihr, alle hatten Panik nur in die Nähe ihrer, fast einsturzgefährdeten, alten Hütte zu kommen.
Bum, bum, bum, tönte es schon wieder.
Wer steht da wohl vor meiner Tür? - dachte sie und sie versuchte sich zu konzentrieren, doch wieder empfing sie nur Leere.
Da war doch etwas, dachte sie, und nun steigerte sie ihre Konzentration bis ins Unerträgliche. Es war nicht der, da klopfte, dachte sie, es war sein Begleiter, und der stand ein Stück hinter dem, der da klopfte. Bum, bum, bum, die Tür sprang mit einem Knall auf, und schepperte so weit auf, dass sie mit einem noch lauteren Knall gegen die Innenwand prallte. Sofort weiteten sich die Augen der Alten, die sich eben noch konzentriert hatte, wer da wohl vor ihrer Tür stand, und jetzt durch den Ausgang aus ihrem Haus starrte.
Ein schwarz gekleideter Mann, hochgewachsen, stand da, und blickte zu ihr. Als ob tausend Jahre an ihr vorüberziehen würden, das hatte sie noch nie erlebt, doch als sich beider Augen trafen, da fingen beide Körper an, kleine Funken zu sprühen, die die dunkle Hütte in ein warmes Licht tauchten.
Ein feines Knistern durchströmte den kleinen Raum, der karg eingerichtet war. Die Funken, die sich von ihren Körpern lösten, stiegen in die Höhe, flogen aufeinander zu, um sich tanzend miteinander zu vereinigen. Damit hatte keiner der Beiden gerechnet, doch weder er noch sie konnten dagegen etwas tun.
Im Gegenteil, es gefiel beiden, und die Wohltat des Momentes hätte eine Ewigkeit dauern können. Jeder fühlte die Verbundenheit, jeder von ihnen wusste jedoch genau, was geschehen war, sie hatten sich gefunden. Schon immer hatte Melisto geahnt, er ist nur auf der Suche, und irgendwann wird er finden.
Das, was er suchte. Auch wenn er nicht gewusst hatte, wo nach er sucht, so hatte ihm doch eine Sehnsucht getrieben, deren Ursprung er nicht deuten konnte.
Doch er hatte immer gewusst, der Tag wird kommen, da wird die geheimnisvolle Sehnsucht, die ihm immer in Bewegung hielt, gefunden sein. Inzwischen war der Moment gekommen, es war als, ob er neu geboren wurde, es gehörte zu einem alten Plan, der nun in Erfüllung ging.
Thomas, der ein wenig hinter Melisto stand, konnte nicht glauben, was direkt vor ihm geschah. Schon kurz vorher, als sie die alte Hütte erblickt hatten, ahnte er, es wird etwas geschehen, und das, was geschehen wird, verändert alles. Alles in ihm war auf Flucht eingestellt, doch so sehr er sich auch mühte, eine Flucht war einfach nicht möglich. Er klebte förmlich an dem Mann, der noch gestern ein Wunsch war, er möge doch bald kommen. Damit sah er einen tiefen Wunsch erfüllt, die Kräuterhexe loszuwerden, damit wieder Ruhe in seine kleine Gemeinde kommt. Und wer weiß, hatte er noch gedacht, da fällt nicht nur für ihm etwas zu, es ist vielleicht auch möglich, noch andere Unwillkommene loszuwerden, die seinem Treiben im Weg standen. Da war der Bürgermeister, mit deren Frau er intimer geworden war, und sie nun nicht mehr loswurde. Sie hatte ihm doch tatsächlich gedroht, alles ihren Mann zu erzählen, wenn er ihr nicht mehr zu Willen sei. Am Anfang gab er sich mit ihr in völliger Ekstase hin, doch schnell wurde ihm das Treiben zu viel. Sie schien ihm völlig auszusaugen, seine Kräfte ließen von Woche zu Woche nach, bis der Tag kam, es aus tiefster Seele zu bereuen. Obwohl sein Glauben nur aufgesetzt war, fing er an zu beten, er fürchtete sogar um sein Seelenheil, und fast hätte er sogar angefangen sich zu geißeln, aber als die Kunde vom nahen Eintreffen eines Inquisitors eintraf, schöpfte er wieder Hoffnung. Indessen hatte sein Leben wieder einen Sinn, er musste nur auf den Inquisitor warten, dann die Hexen loswerden, und er hätte wieder Ruhe. Jeden Tag kletterte er auf den Kirchturm, hielt Ausschau, als ob er dann schneller kommen würde. Als er dann endlich da war, jubelte sein Herz, auch wenn der Inquisitor eine recht unheimliche Erscheinung darstellte. Doch ein Inquisitor musste wohl so eine Erscheinung haben, wie sollte er sich auch den Respekt der Leute verdienen, zumindest bildete er es sich ein. In seiner kleinen Kapelle veränderte sich sein Denken erneut, da sprach doch wirklich der Heiland mit ihm, gab ihm sogar eine Aufgabe, die er auch wirklich erfüllen wollte. Wenn Jesus mit ihm sprach, dann war ja alles wahr, dann gab es auch all die Heiligen, und dann gab es auch Gott.
Wie konnte er nur so lange gezweifelt haben, war einer seiner ersten Gedanken gewesen, da war er glücklich darüber, nun den wahren Glauben wiedergefunden zu haben. Aber schon auf dem Weg zur alten Kräuterhexe, kamen ihm Zweifel, die er aber nicht deuten konnte. Auf der einen Seite war die unheimliche Ausstrahlung des Inquisitors, aber auf der anderen Seite war sein neu gefundener Glauben.
Wie sollte er sich jedoch gegen die Frau des Bürgermeisters verhalten?
Er wollte sie doch auch brennen sehen? Da war noch die Angst vor der Hexe, denn er glaubte tatsächlich, dass es eine Hexe sei. Doch jetzt geschehen wieder Wunder und das genau vor seinen Augen.
Welche Wunderkräfte besitzt noch der Inquisitor?
Der, wie er jetzt wirklich glaubt, ein Heiliger sein musste.
Er sah, wie er die Tür aufschlug, und dann hatte er den Inquisitor regelrecht angestarrt, dabei festgestellt, wie standhaft er zu Werke ging. Stolz durchdrang Thomas, dazuzugehören, ein Teil der festen, göttlichen Inquisition zu sein. Mit einem Mal hatte er Achtung vor dem Mann, der keine Grenzen kannte, und um dem eine feierliche Note zu geben, kniete Thomas nieder, und er fing an in brünstig zu beten. Kniend hockte er seitlich hinter dem Inquisitor, der Hände haltend, genau wie er es gelernt hatte, und seine Augen nahmen dabei einen verklärten Ausdruck an. Thomas betete so konzentriert, dass er schier seinen Körper nicht mehr spürte, sodass sein Geist losgetrennt schweben würde, und in seinem Geist kehrte eine Glückseligkeit ein, die er vorher noch nie so erlebte.
Es fiel Thomas auch nicht auf, wie aus den Körpern vor ihm Funken traten, sie sich tanzend fortbewegten, und ein angenehmes, warmes Licht aufflackerte. Selbst wie sie sich vereinigten, an Größe gewannen, und kleinen Sternen glichen, verarbeitete er nicht mehr.