Luna
Keine Regung war zu erkennen, Luna stand einfach nur auf der Veranda, sah mit ihren großen Augen in den Nachthimmel, deren Mittelpunkt die silberne Scheibe des Mondes war. Schon immer war Luna vom Anblick des Mondes fasziniert gewesen, vor allem wenn er kugelrund war. Es fing am Rücken an zu kribbeln, sie spürte sogar die feinen Härchen auf ihrer Haut, wie sie sich aufrichteten, Gänsehaut schlich sich danach über den ganzen Körper. Es war nicht das erste Mal gewesen, so zu fühlen, in Verbindung zu treten mit ihrem Gleichgesinnten, der ihr schon oft in der Rundung des Mondes erschienen war. Sie ahnte es nicht nur, sie wusste es, ihrer beider Seelen werden zu einer verschmelzen, es wird der Tag kommen, da werden sie zusammen sein, miteinander verschmelzen. Unruhe kam in ihr hoch, was an diesem Abend geschehen sollte, würde genau ihre Erwartungen einleiten. Nie hätte Luna ihren Eltern etwas angetan, doch sie selbst hatte ihre Eltern ja nicht getötet. Für Luna war es einfach nur eine zwangsläufige Entwicklung, genau wie manche Spinnenarten ihre Mutter zum Schluss verspeisten, sie sicherten einfach nur den Fortbestand ihrer eigenen Brut. Sie war mit dem Wesen verbunden, genauso wie sie beide mit dem Mond in Verbindung standen, und ihre Eltern würden nur den notwendigen Prozess verhindern wollen, sie würden gegen ihr verbrieftes Recht vorgehen, zumindest stellte sie es sich so vor.
Wie eine Projektion hatte sie den Tod ihrer Eltern mit angesehen, da tropfte aus jedem ihrer zwei Augen eine Träne. Für Mutter eine Träne und für Vater eine Träne, die musste genügen, mehr Trauer stand ihnen nicht zu. Bevor sie ihre Augen schließen mussten, hatte sie ihnen noch ein Lächeln geschickt, auch wenn sie nicht wusste, ob das Lächeln bei ihnen angekommen würde, hatte sie die Tränen trotzdem auf die Reise geschickt. Es war ihre Art Abschied zu sagen, sollten sie denken, was sie wollten, schließlich hatte sie noch ein Herz, und bis jetzt hatten sie ja noch für mich gesorgt. Dann fing sie an zu lachen, doch nach den ersten Tönen musste sie sich zusammennehmen, denn Klärchen, die in der Küche war, konnte das Lachen hören, und wenn sie es hören konnte, würde sie kommen, würde nur Fragen stellen. An diesem Abend, als die Sonne von einer Wolke verdeckt wurde, ihr geliebter Mond schon am Firmament zu sehen war, verlor nicht nur Luna ihre Eltern, auch Klärchen hatte ihre Eltern verloren.
Luna fühlte sich befreit, ihr Herz war wie eingeschnürt, sie hatte in den letzten Wochen kaum noch Luft zum Atmen gehabt, weil ihr die ständige Bevormundung.
Natürlich auch die Quengelei ihrer Schwester Klärchen, die ständig alles besser zu wissen schien, mächtig zu schaffen machte. Schon wenn sie am Abend auf die Veranda trat, überkam ihr ein Gefühl, endlich die Freiheit genießen zu können, loszulaufen in den angrenzenden Wald, sich ihrer Kleidung zu entledigen, und einfach nur Luna zu sein. Es war wie ein inneres Bedürfnis, geboren erst vor kurzem, als sie spürte, eine Frau zu werden, und es war ihr, als explodiere sie, wenn sie nicht das tat, wofür sie geboren war. Sie konnte sich noch genau daran erinnern, als sie aus dem Schlaf erwacht war, in ihrem Schoß hatte es heftig gepocht, der Magen hatte sich verkrampft, zwischen ihren Beinen war es klebrig und feucht. Da stand ihre Mutter vor dem Bett, wollte sie beruhigen, und hatte ihr erklärt;
Luna, du bist jetzt eine Frau!
Eine Frau, hatte Luna gedacht, und die ganze Sache kam ihr erst recht peinlich vor. Sollte es jetzt immer so sein, begleitet mit Bauchkrämpfen, und dann der feuchtwarme Dreck, der einfach aus ihrem Körper lief? Auf der anderen Seite durchdrang ihren Körper aber auch eine Sehnsucht, die sie schier innerlich zerreißen wollte. Da fing er an, der Drang, nachts durch den Wald zu streifen, die Düfte in sich aufzunehmen, die sie vorher noch nie gerochen hatte. Sie konnte schon vom Weiten ein Tier wittern, wenn es gejagt wurde, wenn es Angst empfand. Selbst den Tod witterte sie. An Abende wurde der Drang immer unwiderstehlicher, dann wurde Luna noch launiger, als sie schon war, keiner konnte ihr etwas recht machen. Vater, Mutter, und auch Klärchen mieden sie dann, gingen ihr aus dem Weg, wo immer sie konnten. Trotzdem machten sie sich Sorgen um Luna, nur Vater beruhigte dann Maria, die mit allen Erklärungsversuchen nichts mehr anfangen konnte. Sie liebte doch ihre Tochter, sie war doch auch ein Teil ihres Blutes. Obwohl sie die Nähe zu Luna suchte, blieb ihr doch immer nur Klärchen, die sie dann noch enger an sich zog, um danach noch größere Gewissensbisse zu bekommen. Maria lebte nur noch in der Hoffnung, wenn Luna endlich den Prozess der Frauwerdung beendet hatte, würde sie sich wieder wie vorher benehmen, dann würde Luna wieder ihre liebe Tochter sein.
Es tat ihr im Herzen leid, die Zeit bis dahin verstreichen lassen zu müssen.
Wie lange wird es wohl noch dauern?
Betete Maria, bevor sie ins Bett ging, doch an schlafen war dann noch nicht zu denken.
Zu sehr beschäftigte ihr der Zustand Lunas, und wenn sie dann doch eingeschlafen war, wälzte sie sich unruhig neben ihren Mann hin und her.
Erwachte dann schockartig, der Schweiß hatte ihr die Haare verklebt, und unter ihren Augen hatten sich dunkle Ränder gebildet.
Herzen
Das Leben kennt, keine Gnade,
zersprungen ist alles Sehnen
und das eigene Kind,
geht einfach fort,
lässt zurück,
die Eltern!
Hat sich nun ein neues Leben auserkoren,
zersprungen sind alle Hoffnungen,
für das geliebte eigene Kind,
verloren an ein böses Herz,
das Liebe nur vorgespielt,
ein liebendes Herz!
Aus einem sonnigen Leben,
kehrte Nacht ein, auch am Tag,
lachende Augen, weinten Tränen,
und sie waren salzig vor Kummer,
liebende Herzen fallen tief!
Ein dunkles Land ohne Licht!
Aus den Augen – aus dem Sinn,
stört es den Kindern nicht,
sie leben ihr eigenes Leben,
können nicht sehen noch hoffen,
der tägliche Kampf ist Gift,
liebende Herzen sind weit!
Doch es wird kommen eine andere Zeit,
da werden Sie erkennen den Schmerz,
und das verlorene, geliebte Kind,
kehrt reumütig zurück,
im Herzen ist Liebe,
die Eltern aber sind Tod!
Das Leben kennt keine Gnade,
zersprungen ist alles Sehnen,
das Leben ist nicht einfach,
Dunkelheit nimmt das Licht,
die Zeit kennt keine Antwort,
die Kindheit ist vorbei!
Klaus Konty
Klärchen
Es war ein dunkler Tag, die Sonne wollte sich einfach nicht sehen lassen, war verborgen hinter dicken Wolken. Klärchen hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen.
„Sie wollten doch pünktlich zurück sein, es musste ihnen etwas geschehen sein!“
Noch nie waren sie zu spät zurückgekehrt, waren immer vor Sonnenuntergang ins Haus getreten. Jeder im Tal wusste es;
„Durchquere den Wald nicht, wenn es dunkel ist!“
Sie hatten es nicht mehr geschafft, waren zu spät vom Markt gekommen, haben dann in der Stadt übernachtet. - ja so wird es gewesen sein, beruhigte sich Klärchen. Doch warum war sie dann so aufgeregt, warum war alles in erhöhter Alarmbereitschaft? Es musste etwas geschehen sein, etwas, das mein ganzes Leben verändern wird.
Gibt es so etwas wie eine Vorahnung, wo Menschen nicht beisammen sind, und etwas Schlimmes geschehen war, wenn die Liebsten ums Leben gekommen?
Der nächste Tag war genauso trübe, wie der Tag zuvor. Klärchen trat auf die Veranda, sah zum angrenzenden Wald, dabei entwickelte sich auf ihrer Haut ein Prickeln, und das Prickeln hatte nichts Gutes zu bedeuten. Luna kapselt sich immer mehr ab, jedes Mal, wenn sie wie eine Traumwandlerin an ihr vorbeilief, weht ihr eine eigenartige Kälte entgegen. Ein Gefühl von Furcht nistet sich dann in Klärchen ein und wollte einfach nicht verschwinden. Es kam ihr dann so vor, als wandelt sie nicht mehr in dieser Welt, als habe etwas von ihr Besitz ergriffen, hielt sie fest, mit eisernem Griff. Auch ihr Äußeres hatte sich gewandelt, sie legte einfach keinen Wert mehr darauf, sich zu pflegen, ihre Kleidung trägt sie schon tagelang, und an ihrer Haut lässt sie kein Wasser. Um Luna schwebte ständig eine muffige Duftwolke, die ihr persönlich nicht zu stören schien. Immer hatte Klärchen, Luna für ihr schönes, langes, schwarzes Haar bewundert, weil sie selbst nur blondes Haar hatte, das außerdem noch einen roten Schimmer aufwies. Mutter hatte sie immer versucht zu trösten, wie schön ihr Haar im Sonnenschein schimmerte. Am liebsten hätte sie sofort mit Luna getauscht, wenn es möglich gewesen wäre. Möglich war nur es zu bewundern und das tat sie jeden Tag, in dem sie ihre Schwester das Haar kämmte, und Zöpfe geflochten hatte. Jetzt hatten sich silberne Strähnen eingeschlichen und ihre sonst so rosige Gesichtshaut, hatte sich mit einer aschgrauen, blassen Farbe bedeckt, die Klärchen zweifeln ließ, ob Luna noch gesund war. Von Tag zu Tag nahm Luna ab, von ihrer etwas fülligen Figur war nichts mehr zu sehen, dabei verschlang sie alles, was Klärchen ihr an Essen brachte.
Aus Freude, mit Luna zusammen zu sein, wurde Abneigung, ja, sie verspürte sogar Angst vor ihrer Schwester, die sie doch immer so geliebt hatte. Nach dem Ausbleiben der Eltern, hatte sich ihr Leben derart verfinstert, und ihr fehlten plötzlich die liebevollen Umarmungen ihrer Mutter, der sanfte Blick ihres Vaters. Alles fehlte ihr, was doch vorher so selbstverständlich war, und erst da, da es unwiderruflich vergangen war, schmerzte es, tat einfach nur weh, trieb Klärchen nachts Tränen in die Augen. Am Tag konnte sie nicht weinen, wenn sich Luna schon hängen ließ. -scheinbar unendlich leidet, da musste wenigstens sie stark bleiben.
Waren es nur Tage oder doch schon Wochen, da Klärchen und Luna alleine zurechtkommen mussten? Klärchen kam es vor wie Monate und auch sie hatte sich verändert. Es war die Angst, die Klärchen veränderte, sie wusste einfach nicht mehr, wie es mit Luna weitergehen sollte. Wenn die Sonne unterging, schlich sie hinaus, aus dem Haus. Luna blieb auch nicht mehr vor dem Haus, sie lief in die Dunkelheit, und irgendwie ahnte Klärchen böses. Warum verschwindet sie in die Dunkelheit, dort ist doch nur der Wald, im Wald ist es gefährlich, dort mussten doch Vater und Mutter umgekommen sein? Es dauerte dann auch nicht lange, dann hörte Klärchen Wölfe heulen, Schreie wilder Tiere, die unnatürlich in die Finsternis der Nacht hallten. Schnell verschwand Klärchen wieder ins Haus, hastete schnell ins Bett, und verkroch sich unter ihrer Zudecke. Natürlich wusste Klärchen, dass ihre Zudecke kein Schutz gegen wilde Tiere war, aber ihr Herz beruhigte sich etwas schneller. An Schlaf war trotzdem nicht zu denken, es war das Bangen um ihre Schwester, die einfach in die Dunkelheit gelaufen war, obwohl doch auch sie genau wusste, wie gefährlich der Wald im Dunklen war. Vor Angst, Luna könnte genau so etwas zustoßen, wie es Mutter und Vater ergangen war;
„der Gedanke trieb Klärchen fast in den Wahnsinn.“ Wie lange sie so in ihrem Bett kauerte, wusste sie nicht.
Irgendwann fielen ihr die Augen zu und sie verfiel in wilde Angstträume, in der sie miterleben musste, wie Luna fröhlich durch den Wald streifte.
Plötzlich von blutgierigen Wölfen umzingelt wurde, und sich dann die Bestien auf Luna stürzten, sie mit ihren scharfen Zähnen in Stücke rissen.
Dann erwachte sie, ohne zu wissen, dass sie erwacht war, die Augen fielen ihr dann wieder zu, und ihr abgemagerter Körper warf sich unter Schweißanfällen hin und her. Wie im Fieberwahn erwachte sie am Morgen, manchmal lag sie noch nicht mal im Bett, sondern mitten im Zimmer. Wie sie dort hingekommen war, lag nicht in ihrer Erinnerung, weil ihr die Angst um Luna hinaustrieb, schnell nachzusehen, ob ihr auch nichts geschehen war. Auf Zehenspitzen stehend öffnete Klärchen die Tür zu Lunas Zimmer, dabei versuchte sie kein unnötiges Geräusch zu verursachen. Vielleicht war ja alles in Ordnung und nur ihre eigene Vorstellungskraft hatte ihr wieder ein Trugbild eingeredet. Luna ist immer so gereizt, dachte Klärchen, wenn alles in Ordnung ist, ist es besser, wenn sie nicht wach wird. Die Tür öffnete sie nur einen kleinen Spalt, nur so weit, dass sie ihr Bett sehen konnte. Mit einer schlechten Vorahnung näherte sich ihr Kopf dem Spalt, um endlich ihre innere Unruhe stillen zu können. Vor allem aber die Angst, die in der Nacht durch alptraumartige Träume zusätzliche Nahrung erhalten hatte, in Nichts aufzulösen. Augen, die weit geöffnet waren, starrten in Lunas Zimmer, die aber nicht viel erkennen konnten. Im ersten Augenblick erkannte Klärchen nur schattenhafte Umrisse, weil im Zimmer gedämpftes Licht herrschte. Lunas Fenster war mit einer Decke verhangen und ihre Augen benötigten etwas Zeit, damit sie sich an das dunkle Licht anpassen konnten. Warum hat sie das Fenster mit einer Decke verdeckt? - dachte Klärchen noch, da wurde ihre Aufmerksamkeit auch schon abgelenkt.
Was lag da im Bett? - das kann doch nicht Luna sein. Im Bett lag etwas Haariges und es hatte keine Ähnlichkeit mit ihrer Schwester, zumindest sah es so aus. Die Zudecke lag zerknüllt auf dem Boden, im Bett lag kein Mensch, vielleicht etwas Menschenähnliches, aber auf keinen Fall ihre Schwester Luna. Wuschelige Haare bedeckten den Kopf, der schon lange nicht mehr gekämmt worden waren. Das Gesicht hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Hund, Schnauze und Nase waren weit vorgeschoben, und aus der geöffneten Schnauze ragten lange, weiße Zähne hervor, die einem Wolf mehr ähnelte als mit einem Menschen, wenn die komplette Behaarung nicht gewesen wäre. Hände und Füße waren zwar normal ausgeprägt, aber sie zogen sich schmal in die Länge. Statt Fußnägel sah Klärchen lange, dolchartige Klauen, die widerlich gekrümmt waren. Ein Schrei konnte Klärchen gerade noch verhindern, weil ihre Hände krampfartig zum Mund schnellten, und sie mit Gewalt zuhielten. Wo ist Luna nur abgeblieben, wo kam nur dieses Wesen her, das so selbstverständlich in Lunas Bett schlief? Ein fürchterlicher Gedanke schnellte wie aus dem Nichts herbei. Luna ist gestern Abend in den Wald gegangen, vielleicht war mein Traum gar kein Traum gewesen, sondern eine Manifestation in meinem Kopf, und ich hatte Einblick in ein wirkliches Geschehen gehabt. Hatte ich alles im Kopf miterlebt? - als Luna plötzlich von Wölfen eingekreist wurde. Was war wirklich geschehen? - wurde Luna gezwungen, ihnen ein Weg in unsere Welt zu eröffnen. Chaotisch wirbelten ihre Gedanken durcheinander, doch was wirklich geschehen war, war für Klärchen ein großes Rätsel. Ein Wolfswesen, das noch dazu etwas Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte, lag in Lunas Bett, und schlief. Noch immer stand Klärchen wie erstarrt an der Tür zu Lunas Zimmer, da ertönte ein tiefes Grollen, um nach wenigen Augenblicken wieder zu verstummen. Dann drehte sich das unheimliche Wesen um und fing darauf, leicht an zu schnarchen.
Ich muss noch schlafen, dachte Klärchen, wahrscheinlich liege ich noch in meinem Bett, träume noch immer die fürchterlichsten Träume. Anstatt einfach aufzuwachen, schlafe ich einfach weiter, nur um zu hoffen dem Alptraum zu entfliehen.
„Ich stehe doch aber hier vor der Tür, ich kann fühlen, wie mein Herz pocht, und meine Augen habe ich geöffnet.“ - es muss ein Tor zur Hölle geöffnet worden sein, dem ich entfliehen muss, gegen das ich ankämpfen muss!
Schnell handeln, aber was kann ich nur machen?
Klärchen hatte nicht gemerkt, wie das Schnarchen aufgehört hatte, zu verwirrt war sie, alles in ihr war blockiert, und dass sie etwas unternehmen musste, lag ihr bewusst im Denken.
„Doch Klärchen hatte nicht die geringste Ahnung, was sie unternehmen konnte, schon gar nicht, womit sie es hier zu tun hatte.“
Alles in ihr schrie, aber sie bekam keinen Ton mehr heraus, und das Schnarchen hatte aufgehört. Selbst die plötzliche Ruhe vernahm sie nicht mehr, eine gefährliche Ruhe. Klärchen zappelte in einem Spinnennetz, versuchte sich zu befreien, konnte sich aber nicht mehr lösen, weil die klebrigen Fäden des Netzes sie festhielten. Der Jäger lauerte bereits, beobachtet seine Beute, ergötzt sich am Überlebenskampf.
Luna
Luna, die jetzt selbst zu einer Bestie geworden war, tat so, als würde sie schlafen, und gerade eben hatte sie ja auch noch geschlafen, bis, ja bis der köstliche Duft in ihre Nase geströmt war. Gerade eben hatte sie noch davon geträumt, wie sie am Vorabend aus dem Haus gelaufen war. Ein innerer Drang hatte sie dazu getrieben, hatte ihr schon den ganzen Tag unruhig im Haus umherwandeln lassen.
Als die Sonne untergegangen war, ihr Freund am Himmel erschienen war, da wurde die innere Unruhe immer mehr, schien in ihrem Kopf kleine Explosionen auszulösen.
Da musste sie einfach laufen, hinaus aus dem Haus, welches ihr nun wie ein Verlies vorkam. Beim Laufen rief ihr schon der Wald entgegen;
„Komm kleine Luna, komm nach Hause!“ - und ihre Beine wurden immer schneller, nur um den Wald zu erreichen, so schnell wie möglich.
Am Körper zog es, dann drückte es, um sich wenig später zu dehnen. Mein Mund öffnete sich, ich spürte, wie er nach vorne wuchs, dabei vereinnahmte der Mund das Kinn, und ich roch plötzlich Aromen, die ich vorher nie gekannt hatte, geschweige im Entferntesten wahrgenommen hatte. Eine regelrechte Geruchsexplosion durchzog meine Nase, dabei hatte ich meinen Mund geöffnet, um noch mehr Gerüche einzufangen. Noch hatte ich den Wald nicht erreicht und ich hatte mich schon vollkommen verändert. Alle Kleidung fiel von mir ab, weil sie durch den Wuchs meines Körpers weggesprengt worden waren. Die ersten Einrisse in den Stoff meiner Kleidung, hallten schier nach, und dann löste sich der Stoff Stück für Stück. Immer schneller konnte ich laufen, bis ich nach vorn abkippte, und zum Laufen meine Arme mitbenutzte. Ich war nackt, fühlte mich aber frei, losgelöst von allen Zwängen, die mir immer andere aufgebürdet hatten, um schließlich im Alltag eingezwängt zu empfinden.
Mit rasender Geschwindigkeit wuchs mir ein Fell und auf meiner Haut hatte es gekitzelt, ließ mich noch ausgelassener umherspringen, dann blieb ich stehen, schaute nach oben.
Mein Freund, der Mond, mit seiner silbernen Scheibe lächelte mir zu, da kam ein neuerlicher Drang in mir auf, und ich sang ihm ein Lied, ein Lied, wie es schon vorher von allen Wesen meiner Art gesungen wurde. Meine Stimme erklang hell und rein, zog wie ein ewiges Ritual durch den Wald, mein Herz fühlte die Sehnsucht, das Glück aus unendlicher Zeit erklang, es schrie aus meiner Brust. Neue Gerüche erreichten mich, Gerüche die ich liebe, es zog mich unweigerlich zum Ursprung. Der Ursprung nährte sich von ganz allein, kam näher und näher. Zu meinem Gesang ertönte neuer Gesang, aus mehrere Kehlen, die von ganz dicht vorne kamen. Es waren Gleichgesinnte, die sich meinem Gesang angeschlossen hatten. Ein Chor aus Liebe ertönte und alle sangen zu dem, der da oben mit seiner silbernen Scheibe seine Bahnen zog. Mit stolzer Brust stand ich nun da, der Gesang war beendet, doch die mit mir gesungen hatten, standen noch immer da. Blitzende Augen, Augen voller Schönheit musterten mich, befanden auch mich für schön, umringten mich, und ihre Nasen gingen zu meinem Fell, beschnupperten mich. Der Größte, Stolze, stand vor mir, in seinen Augen war ich gefangen, keine Wege führten mehr fort, kein Weg zurück. Jetzt war ich da, da wo ich hingehörte, war ein Teil von ihnen, gehörte dazu. Da war ich aufgenommen, gehörte zu Ihnen, und der Größte, Stolze, der war jedoch mein Mann. Es waren Gleichgesinnte, die sich meinem Gesang angeschlossen hatten. Ein Chor aus Liebe ertönte und alle sangen zu ihm, der da oben mit seiner silbernen Scheibe seine Bahnen zog. Mal sprang ich über ihm, dann war es umgekehrt, und unsere Beine liefen schnell, wie wild, wir sind die Herren dieses Waldes. Unbeabsichtigt kreuzte ein Reh unserem Weg, ich noch in der Luft, biss blitzschnell zu. Meine Zähne, noch recht ungeübt in dem Handwerk, schlugen ein von oben, im Hals des Rehs. Durch das Fell, durch die Haut des Tiers, drangen sie durch, und ohne Mühe, durchtrennten sie die Wirbelsäule. Meine Zähne ließen nicht locker und als das Reh auf den Boden fiel, war es bereits tot.
Alles in mir war wie im Rausch, der niemals enden dürfte. Das frische Blut, noch warm, ergoss sich in meinem Maul, die Köstlichkeit auf meiner Zunge, schmecke ich noch immer.
Meine Augen noch zu vom Schlaf, ein Duft, so fein und rein, strömt durch meine Nase. Unwiderstehlich, so köstlich und rein, genau wie das Blut, als es noch warm mein Maul durchstreifte. Noch etwas wittere ich, es ist Angst, panische Angst, und die Angst weckt mein Jagdtrieb, lässt zittern meine Krallen. Ohne es zu wollen, öffne ich meine Augen, und da steht Klärchen, die noch gestern meine Schwester war. Keine Liebe mehr vorhanden, nur noch Beute sehend, ein Opfer meiner Gier nach Blut. Versteckt, unauffindbar, ist die Schwesternliebe. Nun zählen nur noch, die Art der Verwandlung, die ich vollzogen hatte, und die Liebe meines Mannes.