Acht
Abermals schließe ich die Augen.
Meine Haut scheint zu pulsieren. In meinem Kopf hämmert es noch immer dumpf. Sehr viel leiser als zuvor, aber es klingt langsam aber sicher ab. Ich fühle mich nicht unwohl. Nicht mit der Situation.
Ganz im Gegenteil.
Nur in mir drin fühle ich mich komisch. Im Unreinen mit mir selbst und meinen wirren Gedanken, als wäre die Anrufverbindung zu mir selbst abgebrochen und ich kann mich nicht mehr erreichen.
Doch ich lasse mich nicht runterziehen, auf gar keinen Fall. Nicht jetzt.
Nicht, wo es mir endlich besser, endlich gut geht.
„Mia?“, sagt Felix wieder meinen Namen.
Ich mag, wie er aus seinem Mund klingt.
„Ja?“
„Möchtest du nach Hause?“, fragt er. „Ich kann dich gerne bringen. Auch nur ein Stück, falls dir das lieber ist.“
Schwer schlucke ich.
„Nein.“
Gar ruckartig öffne ich die Augen, den Kopf von seiner Schulter hebend, obwohl ich seine Nähe sehr genieße.
„Nein!“, wiederhole ich, diesmal schon fast zu energisch, übermotiviert. „Auf keinen Fall.“
Ich will ihm den Abend nicht noch mehr versauen als seine rücksichtslose Ex. Und vor allem will ich mir selbst diesen Abend nicht ruinieren – was auch immer noch auf uns zu kommen mag. Tief durchatmend, schiebe ich die Gedanken mit aller Kraft, die ich aufbringen kann, in die Hintertür meines Hirns.
Vorsichtig lächle ich ihn an.
„Ich war nur kurz müde“, erkläre ich. „Tut mir leid.“
Zwar lächelt er nun auch ein aufrichtiges Lächeln, aber ich kann genau erkennen, dass er es mir nicht abkauft.
„Lass uns irgendwas machen“, schlage ich vor, mich aufrechter hinsetzend.
Statt besorgt blickt er mich wieder interessiert an. Das finde ich gut.
„Ich bin ganz Ohr.“
Grinsend überlege ich.
„Trinkspiel, vielleicht?“
Heute fühle ich mich wirklich wie ein wandelndes Klischee. Und ich mag das sogar.
Egal. Solange wir beide unseren Spaß haben, passt das schon. Den Bruchteil einer Sekunde bin ich besorgt, er könnte doof darauf reagieren oder mich für kindisch halten oder mich auslachen, aber stattdessen grinst er mich nur noch breiter an und zuckt die Schultern.
„Klar, warum nicht?“
„Hmm“, denke ich laut nach, unsicher welches Trinkspiel wir spielen könnten.
Am besten eins, wo wir noch ein bisschen übereinander erfahren, vielleicht?
„Ich habe noch nie?“, schlage ich dann vor.
Er hebt die Augenbrauen, wieder zustimmend grinsend und gibt mir die gleiche Antwort wie zuvor.
„Warum nicht.“
Felix setzt sich direkt vor mich, arrangiert seine langen Beine in einen ziemlich unbequem aussehenden Schneidersitz und schaut mich an. Dann dreht er die Wodkaflasche auf und stellt sie genau zwischen uns.
Er hat sich umgesetzt, damit wir uns direkt ansehen können. Ich tue es ihm gleich.
Unsere Knie berühren sich beinahe.
„Ich habe noch nie jemanden betrogen“, sprudle ich eine der ersten Standardfragen heraus, ohne groß darüber nachzudenken, was ich da überhaupt gerade gesagt habe.
Oh nein.
Glücklicherweise sagt er nichts dazu. Zuerst sieht er ein bisschen ernst aus, beginnt jedoch schnell zu lachen, greift nach der Wodka Flasche und nimmt einen Schluck.
Ungläubig schüttle ich den Kopf, ebenfalls lachend.
„Unfassbar“, sage ich.
„Zu meiner Verteidigung: es ist schon Jahre her“, erklärt er schnell. „Und es war nicht die Ex, die mir mit einem Dutzend Typen fremdgegangen ist.“
Grinsend rolle ich die Augen.
Ich würde ihm gern einen Kommentar drücken, wie: „Das macht es auch nicht besser.“
Ich tue es nicht. Es ist nicht mein Problem. Es hat nichts mit mir zu tun und vor allem ist es nicht mein place to be.
„Was ist mit dir?“, will er von mir wissen.
Schleunigst schüttle ich den Kopf.
„Ich betrüge nicht.“
„Ich auch nicht“, sagt er beschwichtigend. „Nicht mehr und würde ich auch nie wieder tun.“
„Schön“, ich lächle. „Gut für dich.“
Er erwidert es.
„Okaaay, ich bin dran..“, meint er dann. „Ich habe mich noch nie geprügelt.“
Gespannt mustert er mich.
Peinlich berührt senke ich den Blick, nach der Wodka Flasche greifend: Meine Finger streichen seine Hand, die noch immer um der Flasche liegt.
Als ich die Flasche anhebe und einen Schluck trinke, verziehe ich das Gesicht.
„Igitt.“
Erst dann fällt mir auf, wie er ungläubig den Mund öffnet und mich anschaut wie ein Auto. Ich halte ihm die Flasche entgegen, in der Erwartung, er würde trinken, aber er schüttelt mit dem Kopf.
„Ich nicht.“
Röte schießt mir in den Kopf und ich vergrabe laut lachend das Gesicht in meinen Händen.
„Jetzt brauche ich eine Erklärung“, fordert er, verschmitzt grinsend.
„Ich war in einer Bar“, sage ich beschämt und durch meine Hand gedämpft.
Durch eine kleine Lücke zwischen meinen Fingern sehe ich ihn an.
„Und da war halt so eine Frau und sie hat mir übertrieben eine reingehauen, so richtig aus dem Nichts...und ich war so verblüfft, dass ich einfach zurückgeschlagen habe?“
Die ganze Sache liegt schon einige Zeit in der Vergangenheit. Unangenehm ist sie mir trotzdem immer noch. Seitdem komme ich mir nicht mehr besonders ehrlich vor, wenn ich behaupte, Pazifistin zu sein. Die Erinnerung an das blaue Auge und die blutende Nase, die mir verpasst wurden, sind alles andere schön. Es tat sogar ziemlich weh: Vor allem meine Knöchel.
Ich versuche, es mit einem Lachen zu überspielen, in das Felix – der reichlich entsetzt wirkt – mit einsteigt.
„Ich glaube das nicht!“, lacht er und klatscht in seinem Lachanfall in die Hände.
„Leider stimmt es“, sage ich. „Ich habe jetzt Hausverbot in der Bar...“, murmle ich Augenrollend hinterher.
Immerhin war es eine meiner Lieblingsbars.
Rasch wechsle ich das Thema, indem ich zu meiner nächsten Frage überleite.
„Ich habe betrunken noch nie etwas gemacht, was ich danach bereut habe.“
„Das hat doch jeder schon, oder?“, meint Felix.
Ich ziehe die Schultern hoch.
„Stimmt“, sage ich.
Nacheinander trinken wir einen Schluck.
Wieder verziehe ich das Gesicht, als der Alkohol brennend meine Kehle herunterläuft und ein noch wärmeres Gefühl in meinem Magen auslöst.
Die Flasche wieder abstellend, hebe ich den Blick.
Felix fallen ein paar helle Strähnen seines Haars in die Augen.
Forschend schaut er mich an, neugierig.
Und auf einen Schlag wird die Atmosphäre zwischen uns anders.
Sie kippt. Ist prickelnd. Zwischen uns scheint die Luft so elektrisiert, dass ich Angst habe, einen Schlag zu bekommen, wenn ich jetzt die Hand nach ihm ausstrecken würde.
Felix Miene ist ernster, als er mir auf den Mund schaut.
Ich wage es dennoch, kann nichts dagegen tun, als ich meinen gesamten Oberkörper ein Stück nach vorn beuge und die Finger ausstrecke, um die Strähne fortstreiche. Sie ist weich zwischen meinen Fingerspitzen.
Jetzt sehe ich auch auf seine Lippen.
Als würden wir ein wenig umeinander herumtapsen, sehen wir uns in die Augen und auf die Lippen und ich will ihn küssen, will nichts lieber als das.
Mein Herz schlägt schnell und ungeduldig, als ich meine Hand fortziehe.
Küss mich, denke ich, küss mich, unbedingt.
Doch Felix wendet den Blick ab. Ich beiße mir auf die Innenseite meiner Wange,
Wendet er sich ab, weil er sich nicht traut oder weil er schlichtweg nicht möchte?
„Du bist dran“, sage ich, mit gesenkter Stimme.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen sieht er in meine.
Sie funkeln mir entgegen.
Ich blinzle ein paar Mal, als er dichter an mich heran rutscht. Er beugt sich etwas vor, die Hände auf seinen Schienbeinen. Seine Knie berühren meine Beine.
„Ich habe noch nie eine bildhübsche Fremde geküsst“, wispert er.
Ich spüre seinen warmen Atem. Seine Nasenspitze berührt mich beinahe. Seine Lippen sind nicht mehr weit von meinen entfernt.
Mein Herz macht einen heftigen Satz: Mir bleibt regelrecht der Atem weg.
Küss mich. Bitte.
„Dann solltest du das unbedingt nachholen“, flüstere ich zurück und ich schwöre, mein Herz explodiert in meiner Brust.