Neun
Die Spannung hängt dick zwischen uns, beinahe greifbar.
Felix hält inne, fast so, als würde er überlegen, was er als Nächstes tun soll. Mein Herz rast in meiner Brust. Meine Fingerspitzen kribbeln. Ich weiß nicht, ob ich mich abwenden soll oder nicht. Ob ich mich vielleicht stattdessen nach vorn beugen sollte, um ihn zu küssen, zu wagen, etwas zu tun, was ich wirklich möchte.
Es sind diese paar prickelnden Sekunden, vor dem allerersten Kuss und sie sind unerträglich – im positiven Sinne.
Mein Gedankengang wird abrupt unterbrochen.
Denn plötzlich, ohne weitere Zurückhaltung, überbrückt Felix den restlichen Abstand zwischen uns. Seine Lippen treffen warm auf meine. Er küsst mich mit offenem Mund. Er schmeckt nach Wodka und nach Zigaretten und nach sich selbst.
Ich erwidere den Kuss. Die Augen schließend, lehne ich mich weiter in seine Richtung. Die geschlossene Flasche zwischen uns kippt um, aber das könnte mich nicht weniger interessieren. Felix Hände finden seinen Weg in mein Haar. Noch fester, noch enger zieht er mich an sich. Fast dringlich schmiegen wir uns aneinander. Nicht als würden wir uns erst seit einer Stunde kennen.
Eine wohlwollende Gänsehaut zieht sich über meinen Rücken, über meine Arme, über meinen gesamten Körper.
Seine Küsse werden leidenschaftlicher und ich erwidere sie genauso gierig. Hitze steigt in mir auf. Mein Herz hämmert heftig in meiner Brust auf und ab. In meinem Kopf schwirrt es: Doch es ist ein gutes Schwirren.
Meine Arme schließen sich um seinen Nacken und ich bin ganz ehrlich: Wenn wir uns nicht in der Öffentlichkeit befinden würden, wäre ich schon längst auf seinen Schoss gerutscht, um ihn näher bei mir zu haben, seinen Körper enger an mir zu spüren.
Unaufhörlich und fordernd suchen unsere Lippen hastig nacheinander.
Auf einen Schlag sind all meine Gedanken wie weggeblasen.
Es ist nicht wichtig, dass er quasi ein Fremder ist.
Ich will ihn küssen, will seine prickelnde, aufregende und doch so beruhigende Nähe spüren, mit jeder Faser meines Körpers.
In dieser Sekunde will ich nur noch ihn.
Und es geht mir gut.
Ich bin tatsächlich in Ordnung. Ich bin sowas von in Ordnung.
Atemlos lassen wir voneinander ab. Felix Augen sehen mir anders, als zuvor entgegen: dunkler, noch interessierter. Ich erwidere seinen Blick, schweige ihn an, weil ich keinen blassen Schimmer habe, was ich sagen soll. Aber ich finde es sehr angenehm.
Bis sich seine Lippen zu einem breiten Lächeln verziehen. Seine Hand liegt noch immer sanft an meinem Hals. Wir sind einander noch immer so nah, dass ich seinen Atem spüre, ihn nochmal küssen könnte, wenn ich mich trauen würde. Sanft streicht er darüber.
Ich lächle ebenfalls. Meine Mundwinkel heben sich ganz von selbst und ich fühle mich so leicht und so dermaßen frei, dass es beinahe befremdlich für mich ist. Weil ich dieses Gefühl so nicht kenne.
Keiner von uns sagt etwas, denn es ist nicht nötig.
Wir brauchen keine Worte. Nicht jetzt.
Leise ausatmend, greife ich nach meinem angefangenen Bier und trinke einen Schluck, nachdem Felix seine Hand zurückzieht.
Seine Augen spüre ich dabei deutlich auf mir liegen. Ich sehe, wie er mich mustert, mit diesem Ausdruck, der mich unwillkürlich dazu bringt, ihn breit anzugrinsen. Er trinkt ebenfalls.
Ich richte mein Haar, dann beginne ich leise zu lachen.
„Was?“, fragt er.
Ich bin dran mit der nächsten Ich – habe - noch – nie – Frage.
„Ich habe noch nie eine fremde Person geküsst, als gäbe es keinen Morgen“, sage ich, den Kopf frech zur Seite neigend und ihm überspitzt zu zwinkernd.
Lautstark lacht er auf. Die Wodkaflasche in die Luft hebend, zwinkert er zurück.
„Darauf trinke ich!“, ruft er überschwänglich aus und tut genau das.
„Ich schätze, ich auch.“, grinse ich.
Nachdem er getrunken hat, reicht er mir die Flasche. Ich trinke einen Schluck. Es brennt weniger als zuvor.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber als er abermals meine Wange berührt und mich ansieht, wandelt sich das Funkeln seiner hübschen Augen. Ich kann nur nicht beschreiben, was sich geändert hat.
„Ich habe eine Idee, wo wir hingehen könnten“, schlage ich mit leiser Stimme vor.
„Du scheinst aber eine ganze Menge im Ärmel zu haben, was?“, fragt Felix, sich auf meinen Vorschlag hin, aufrichtend.
Wir sammeln all unsere Sachen und den Müll zusammen, der hier nicht liegen bleiben soll.
Dann stehen wir direkt voreinander.
„Wenn du nur wüsstest“, necke ich ihn, mysteriös tuend.
Felix streckt sie Hand aus, meine Finger mit seinen verschränkend. Ich lasse es zu.
Mir gefällt seine Nähe. Ich mag das Gefühl sehr, meine Finger mit seinen zu verschränken. Mein Herzschlag wird langsam wieder ruhiger. Wir lächeln einander nochmals an, bevor wir losgehen, den Müll in der nächsten Tonne verschwinden lassen und den Pfand daneben stellen.
Die Nacht ist jung und vor uns liegen noch so viele Möglichkeiten.
Heute Nacht will ich lebendig sein.
Richtig lebendig.
Und ich glaube, Felix möchte das auch.
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hellu, ich melde mich mal hier. ich freue mich riesig, dass diese kurzgeschichte hier so gut ankommt! :) ich habe sie damals (2019) geschrieben und bin gerade dabei, sie zu überarbeiten (war eine eingebung, als ich das erste mal nach 5 jahren wieder im urlaub war und nichts zum schreiben für meine aktuellen werke dabei hatte, außer meinen laptop :D) und auch etwas auszuarbeiten, weil es tatsächlich mal eine dreiteilige kurzgeschichten reihe werden sollte und vielleicht kriege ich es ja auch hin, mal weiterzuschreiben.
noch eine kleine anmerkung: mia gibt nicht sonderlich viel von sich preis, aber glaubt mir, das ist ganz genauso gewollt und nicht nachlässig von mir! :D ich wünsche euch einen wunderbaren abend und hoffe, dieses kapitel gefällt euch! :)