Überraschung
Der Wecker klingelte nur gedämpft unter dem dicken Federkissen und wurde schon nach Augenblicken durch eine Hand mit weißem Handschuh zum schweigen gebracht. Mario erhob sich noch völlig verschlafen aus dem weichen, warmen Decken. Dabei wer er selbst es gewesen, der sich das lärmende Ding unter das Kopfkissen gesteckt hatte. Der Held streckte sich gähnend, rieb sich murmelnd die Augen und erinnerte sich an den Grund für diese eigenartige Handlung. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und er beugte sich leise ein Stück über die Kante, um in das untere Bett sehen zu können.
Luigi lag auf dem Rücken, alle Viere von sich gestreckt, in den Kissen und schnarchte noch in tiefem Schlaf. Sehr gut.
Mario schälte sich aus den Decken und kletterte so leise wie möglich die schmale Leiter hinunter. Stumpfsockig schlich er dann am Doppelstockbett vorbei, damit Luigi nicht doch noch erwachte. Doch der brummelte nur zufrieden vor sich hin und sah so friedlich dabei aus. Nun hielt Mario doch einen Moment inne, er konnte einfach nicht anders, und zog die Decke zurecht, die seinen kleinen Bruder nur noch halb einhüllte. So warm war es morgens schließlich doch noch nicht. Dann endlich gelangte der Held auf Zehenspitzen unbemerkt und glücklich zur Tür. Als er sie in seinem Rücken schloss, atmete Mario erst einmal erleichtert durch und begab sich dann ein Stockwerk tiefer. In Luigis kleine, ordentlich aufgeräumte und blitzblank geputzte Küche.
Mario rieb sich den Nacken und streifte die Schränke mit einem unsicheren Blick. Sehr oft hielt er sich hier nun wirklich nicht auf und er hoffte alles zu finden, was er brauchte. Eier und Milch fand Mario, wie erwartet, im Kühlschrank, Zucker und Mehl in einem der Oberschränke. Nur das Backpulver war schwerer auszumachen und er hatte keine Ahnung was Vanillin sein sollte. Besser er ließ es weg. Jetzt fehlten nur noch Schüsseln und Töpfe.
***
Völlig mehlbestäubt angelte Mario nach der Pfanne, an der er sich fast die Finger verbrannte, um sie vom Herd zu zerren. Das Rührei darin schmurgelte verdächtigt. Nur eine armlänge neben ihm wirbelte der Mixer und spuckte einen großen Klecks Fruchtmix einfach an die Wand. Der Deckel lag noch neben der vollen Spüle. Fluchend riss der Held des Pilzkönigreiches den Stecker aus der Dose und das Monster verstummte. Dafür zeigte nun das Waffeleisen mit wild blinkenden Lichtern wie dringend das Gebäckstück daraus befreit werden musste. Hektisch griff Mario nach einer Gabel und stocherte die verflixte Waffel von der heißen Fläche. Natürlich klebte sie auch diesmal.
Mario seufzte und sah wieder einmal mit klopfendem Herzen auf die Uhr. Gleich würde Luigi aufstehen, ihm blieb kaum noch Zeit das Frühstück fertig zu machen, geschweige denn aufzuräumen. Überall standen teigverschmierte Schüsseln und Löffel von denen er herunter tropfte. Ein Milchsee breitete sich neben einer kleinen Zuckerwüste aus und das Mehl war auch heruntergefallen und hatte alles zart bepudert. Die Küchentücher waren fast alle verbraucht und die Eierschalen hatten schrecklich gekrümelt, dazwischen überall noch Kerngehäuse von Früchten und Schalenreste.
Mario schüttelte den Kopf und versuchte nicht daran zu denken. Später, das konnte er später alles wegmachen. In aller Hast suchte er saubere Teller und türmte das Rührei darauf. Daneben kamen die paar lausigen Waffeln, die er zustande gebracht hatte. Egal, mit Sirup würden auch die schmecken. Dazu den Fruchtmix, der immerhin noch ein Glas füllte. Noch immer strumpfsockig trug der Held das kleine Frühstück nach oben in das Schlafzimmer. Bevor er eintrat, schielte er heimlich durch einen Spalt in der Tür und sah, dass Luigi noch immer schlummerte. Geschafft.
„Guten Morgen, Luigi, Herzlichen Glückwunsch, kleiner Bruder“, rief Mario aus volle Halse und polterte lautstark durch die Tür.
Wie zu erwarten, fuhr Luigi erschreckt aus dem Schlaf auf und sah sich verwirrt um, die Decke schützend an sich gerafft. Begrüßt wurde er vom breiten Lächeln seines großen Bruders. Der schob Luigi ein Frühstückstablett auf den Schoß, um seinen kleinen Bruder dann herzlich an sich zu drücken. Erwartungsfroh setzte Mario sich zu ihm an die Bettkante.
Luigi betrachtete erst Mario sprachlos, dann das, was er da serviert bekam. „Mario...“, murmelte er und schon glänzten seine Augen verdächtig.
Doch Mario schob ihm schnell eine Gabel in die Hand und klopfte Luigi die Schulter. Der lachte und griff zu. Mit großem Appetit schob er sich eine ordentliche Portion Rührei in den Mund und kaute genüsslich. Doch fast sofort knirschte es verdächtig und trocken. Luigi hielt inne, schluckte aber alles hinunter. Mario musterte ihn besorgt und fragend.
„Mit Zwiebeln und gut durch“, stellte Luigi fest und lächelte schräg.
Der rote Held runzelte die Stirn, da stimmte doch etwas nicht. Misstrauisch griff er über den Teller und rührte die gelbweiße Masse noch einmal um. Fast sofort offenbarte sie ihm ihre vollkommen verbrannte Unterseite in schwarz und braun. Die Zwiebeln waren Kohlestücke. „Mama mia, völlig verbrannt“, seufzte Mario.
Luigi nahm mutig einen weiteren Happen, nur für Mario, wie der genau wusste. „Das geht schon“, behauptete der kleine Bruder glatt.
Doch Mario schüttelte nur den Kopf und nahm ihm den Teller wieder ab. „Dann eben Waffeln. Die sind zwar nicht schön, aber sicher auch nicht verbrannt“, lachte er und schob Luigi die zerfetzten Dinger unter die Nase.
Der nickte, kippte sich eine Menge goldenen Sirups darüber und schob sich gleich eine ganze Waffel in den Mund. Schon nach zwei Bissen gab Luigi ein seltsames Geräusch von sich und sah aus, als stände er kurz davor alles wieder auszuspucken. Marios Hoffnungen stürzten in sich zusammen und fühlte sein Herz ganz schwer werden. „Ich habe doch extra viel Zucker genommen“, murmelte er und probierte selber ein Stück. Seine Zunge brannte und entlockte ihm eine Grimasse. Mario erkannte seinen Fehler sofort. „Salz! Ich Trottel."
„Ach, mit viel Sirup ist das gut“, winkte Luigi tapfer ab und wollte sich tatsächlich eine weitere Waffel antun.
Mario nahm ihm auch diese ab. „Hör auf, das ist doch scheußlich.“ Seufzend räumte der große Bruder auch diese Katastrophe beiseite.
Luigi schenkte ihm einen bekümmerten Blick und griff schnell nach dem Fruchtmix. „Dann eben erst ein gesundes Frühstück und nachher essen wir zusammen ein paar Brötchen“, rief er aufmundernd und nahm einen kräftigen Schluck. Ein tiefer Schauer jagte durch Luigis ganzen Körper und die Tränen traten ihm in die Augen. „Mit Zitrone?“, ächzte er und zog eine unterdrückte Grimasse.
Mario nickte stolz. „Sogar mit einer frisch ausgepressten. Sehr gesund.“
Luigi nickte mühsam. „Gesund“, schnaufte er und wollte einen weiteren Schluck nehmen.
Doch wieder war der große Bruder schneller und kostete selbst. Würgend streckte Mario die Mixtur von sich und kniff mit den Augen. „Das ist nicht mehr gesund, das ist schon Medizin, so sauer wie das schmeckt.“ Erstaunlich schweigsam und das Gesicht im Schatten seiner Mütze verborgen, stellte Mario auch dieses Unglück zu Seite und wandte Luigi dann den Rücken zu. Die Schultern hängend und zutiefst beschämt. Mario fühlte sich grässlich und wie ein elender Versager. „Entschuldige, Luigi. Ich wollte dir eine Freude bereiten und dich nicht vergiften. Das ist wohl kein sehr schöner Geburtstagsmorgen“, seufzte er und knetete seine Finger. Vor allem, wenn Luigi auch noch das Chaos in der Küche zu sehen bekam. Marios Augen brannten.
Die alten Bettfedern ächzten und nur einen Moment später fand Mario sich in einer herzlichen Umarmung Luigis wieder, der ihn an sich drückte und sein Gesicht an das seines Bruders schmiegte. „Danke, großer Bruder“, nuschelte Luigi innig. „Danke für diese wunderbare Geburtstagsüberraschung. Ich habe einfach den besten Bruder der Welt.“
Einen Moment konnte der große Held des Pilzkönigreiches weder etwas sagen, noch etwas tun. Doch dann erwiederte er die liebevolle Geste, vergrub sein Gesicht mit den feuchten Augen an Luigis Schulter und schüttelte den Kopf. „Stimmt nicht, den habe immer noch ich.“