Kräutergarten
Cookie stieß den Atem aus und schloss einen Moment die Augen, um die vertrauten Geräusche um sich herum genießen zu können. Endlich wieder Zuhause. Vier Wochen war sie fort gewesen und hatte es in den letzten Tagen kaum abwarten können wieder zurück zu dürfen.
Allerdings hatte sie sich die Gelegenheit, die Heilrezepte anderer Völker zu lernen, unmöglich entgehen lassen können. Prinz Mamek hatte sie für diese Lehrstunden sogar persönlich ins Bohnenland eingeladen. Sie rückte sich den Gürtel zurecht und lächelte. Es war anstrengend gewesen, hatte ihr allerdings ebenso viel Freude bereitet zu reisen und ein neues Königreich zu entdecken. Auch das was man sie gelehrt hatte, war sehr interessant gewesen. Dennoch, zu Hause war es noch immer am schönsten.
Gestern Abend war sie endlich heimgekommen und wollte nun unbedingt nach ihrem Kräutergarten sehen. Cookie sehnte sich nach dem Frieden dort und danach, altvertraute Handgriffe zu tun, bei denen ihr niemand prüfend über die Schulter schaute. Sie schob die alte Tür auf, um vom Duft der Kräuter empfangen zu werden.
Die Tür ließ sich zu Cookies Überraschung nur schwer öffnen. Sie musste sich sogar mit ihrem ganzen Gewicht gegen das Holz stemmen, um sich immerhin durch einen Spalt zwängen zu können. Etwas riss und Stücke irgendwelcher Ranken fielen zu Boden oder rutschen lose an der Tür hinunter. Der Lockenkopf krauste die Nase und schob sich erstaunt die Brille höher. Efeu? Sie hatte nicht gewusst wie schnell dieses Zeug wuchern konnte. Noch erstaunter war sie aber, als sie ihren Garten betrat.
Die Lampions im kleinen Baum waren nicht nur erloschen, sondern zerdrückt, zerfetzt oder ganz heruntergefallen. Zudem war der kleine Pfad zwischen den Beeten von Unkraut überwuchert, ebenso wie die Kräuterfelder und die Zierpflanzenbeete. Die kostbaren Kräuter selbst sahen traurig und mitgenommen aus, die Blumen ließen die Köpfe hängen oder waren schon ganz braun geworden. Es roch weder nach Leben noch nach fruchtbarer Erde wie sonst.
Woran das lag, konnte der Lockenkopf schnell feststellen, als sie sich vor die Beete kniete und die Erde prüfte. Staubtrocken und hart wie Stein. Langsam aber sicher empfand sie echten Zorn. Ihr war doch versprochen worden, dass man sich um ihre Heilkräuter kümmerte. Aber nun war alles verwildert und so gut wie tot. Missgelaunt begann Cookie damit die Erde zu lockern, Unkraut zu rupfen und zu prüfen, ob sie noch Kräuter fand, aus denen sie frische Setzlinge ziehen konnte. Dazu brauchte es zum Glück nicht viel.
Die gewohnte Arbeit tat so gut und ging so leicht von der Hand, dass Cookie ihren Zorn bald vergaß und ganz in ihrer Beschäftigung aufging. Sie hörte das Rauschen und Wispern, das Huschen und Rufen nicht wirklich, das sie bald aus dem Pilzpalast umspülte und immer lauter wurde. Nur am Rande nahm sie die Unruhe wahr und fragte sich, ob die Toads wieder wegen irgendeiner Kleinigkeit in Aufregung versetzt worden waren.
Im nächsten Moment rief eine Stimme und da Cookie glaubte, ihren Namen darin zu hören, senkte sie die Schaufel.
„Ja?“, rief sie vorsichtig zurück. Da sich der Ruf aber nicht wiederholte und niemand in den Garten kam, grub sie weiter, jätete und sammelte Samen. Es wurde lauter und aufgeregter im Schloss und langsam sorgte Cookie sich darum. Das war kein gutes Zeichen, hatte Bowser womöglich wieder etwas angestellt?
„COOKIE“...
Sie sprang auf, denn jetzt war es ganz eindeutig ihr Namen gewesen, viel zu drängend, bittend und bekümmert, um einfach überhört zu werden. Cookie klopfte sich die Erde aus der Hose. Brauchte jemand Hilfe?
„Ich bin hier, im Garten“, rief sie zurück und wartet ab.
Noch immer regte sich nichts, das Gewisper wurde nur immer lauter und wuchs zu Rufen an, zu Gekreisch. War das nicht ein Weinen? Das Herz des Lockenkopfes klopfte und sie entschloss sich nachzusehen. Auf halben Weg durch den Garten, flog die Tür von alleine auf und schlug krachend gegen die Wand.
„COOKIE, BITTE!“, fuhr eine Stimme aus der Dunkelheit dahinter.
Flehend, angstvoll und jetzt hörte sie auch eindeutig das Schluchzen. Sie kannte beides.
„Hier, hier bin ich doch“, rief Cookie laut und rannte durch die Tür voller Angst.
Es musste etwas passiert sein. Sie hastete in den Schlossgang und stürzte unter einem überraschten Seufzen in die bodenlose Schwärze zu ihren Füßen...
Cookie schnappte nach Luft und riss die Augen auf. Sofort wurde sie von einem grellen, gleißenden Licht geblendet, das ihr schmerzhaft in den Augen brannte. Schützen hob sie eine Hand vor das Gesicht. Eine einfache Geste, die aber sofort eine Welle aus Schmerz und Übelkeit durch ihren Körper fluten ließ. Cookie seufzte gequält und versuchte den Würgereiz zu unterdrücken, der sie überkam. Ihr Schädel hämmerte und eine Stelle an ihrem Hinterkopf fühlte sich scheußlich klebrig an. Unwillkürlich griff sie danach, doch fast im gleichen Moment wurde ihre Hand sanft zurück gehalten und warm geborgen.
„Nein, nicht. Lass, ich... ich habe das im Griff“, meinte eine warme Stimme und ein vertrauter Schatten schirmte das schmerzhafte Licht ab.
„Mario?“, fragte der Lockenkopf und war erstaunt darüber wie schwach und zitternd sie klang. „Was ist passiert?“
Ihre Frage war kaum verständlich und der Schmerz machte die Sache nicht einfacher. Erst jetzt merkte sie, dass sich jemand schon die ganze Zeit über an ihren anderen Arm klammerte und ihre Hand streichelte. Cookie fuhr dem kleinen Bruder sanft über die verweinten Wangen und versuchte sich an einem Lächeln, woran sie kläglich scheiterte. Warum weinte er so? Wie sie das hasste. Mario sah keine Spur erfreuter aus, als er ihr einige Haare aus der Stirn wischte und den Kopf schüttelte.
„Ein Hinterhalt mitten auf dem Weg aus Lakitus mit Stachelkugeln. Diese elenden Feiglinge haben auch auf dich gefeuert, obwohl du gar nicht am Kampf beteiligt warst“, erklärte er und schluckte. „Eine davon hat dich am Kopf getroffen. Du bist einfach zusammengebrochen und nicht mehr aufgestanden...“
Er unterbrach sich kurz, um die Fassung zu behalten. Luigi schluchzte auf und fuhr sich mit dem verschmierten Ärmel über das Gesicht. Er hätte gern so viel gesagt, bekam aber kein sinnvolles Wort heraus. Cookie verstand auch so und wollte nicken, doch das schmerzte nur noch mehr. Der große Bruder erhob sich so behutsam er konnte und sorgte dafür, dass Cookie sich noch besser an seine Brust lehnen konnte.
„Wir bringen dich jetzt nach Hause, alles wird gut“, versprach er und küsste tröstend ihre Stirn. Alles Andere konnte warten, jeder Andere.
Cookie lehnte ihren dröhnenden Kopf an, lauschte dem sinnlosen Gemurmel der Brüder, um nicht einzuschlafen und wurde dabei sicher gehalten von Luigis Hand, die ihre keinen Moment losließ.
„Deshalb war der Garten so verwildert, es hat sich danach nie mehr jemand darum gekümmert“, murmelte sie.
Mario besorgte sie mit diesem Geschwätz offenbar noch mehr, denn er verstärkte seinen Griff und beschleunigte seine Schritt. Vermutlich vor Sorge, dass sie schon fantasierte oder gleich erneut das Bewusstsein verlor. Der treue Kräutergarten würde auch für sie Heilung bereithalten.