Nicht weitersagen
Luigi warf einen Blick auf die Uhr und nickte seinem großen Bruder anerkennend, aber grinsend, zu. „Sie wird ganz schön staunen, wenn wir diesmal sogar pünktlich sind“, stichelte er feixend und schob die Hände in die Taschen. „Das ist ja sonst ein Privileg, das du nur der Prinzessin selbst zukommen lässt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie gleich prüfen will, ob es dir gut geht.“ Er lachte, als sein großer Bruder sich umdrehte und, dezent rot angelaufen, schnaubte.
Mario rückte sich die Mütze zurecht und winkte ab. „Nun übertreib mal nicht. So oft waren wir auch wieder nicht zu spät dran.“
Luigi verschränkte die Arme und zog die Augenbrauen nach oben. Das konnte doch nicht Marios Ernst sein. „Sie wartet nicht mal mehr am Schlosstor auf uns, wie ganz zu Anfang. Das hat sie aufgegeben, seit sie im Winter jedesmal völlig durchgefroren war, bis wir endlich aufgetaucht sind“, erinnerte er seinen großen Bruder.
Der brummte nur und zuckte mit den Schultern, merkte aber die verlegene Hitze in seinem Gesicht. Was sollte er denn machen? Es dauerte eben immer so lange, bis er seine verstreuten Habseligkeiten zusammengesucht hatte und seine Mütze war irgendwie auch immer woanders. Außerdem waren sie jetzt ja da. Luigi sollte nicht so spotten. Die Brüder betraten das Schloss diesmal durch den Dienstboteneingang, wie immer, wenn sie nicht wegen der Prinzessin hierhergekommen waren. Auch wenn Mario jedes Mal heimlich hoffte, ihr doch ganz zufällig zu begegnen. Mario und Luigi grüßten die Pilzköpfe, die ihnen hier über den Weg liefen freundlich und machten im hinteren Teil des Ganges vor einem Zimmer halt. Pünktlich! Mario warf Luigi einen triumphierenden Blick zu, den der gar nicht beachtete. Ein schöner Gedanke schoss dem großen Bruder gleichzeitig auch noch durch den Kopf und er leckte sich die Lippen. Womöglich hatte Cookie ihnen wieder etwas vom guten Schlossfrühstück aufgehoben. Sie dachte immer so lieb daran. Der Held hob die Hand, um anzuklopfen.
„Bei allen Sternen, sag mal wer bist du denn?“, drang da eine vertraute und überraschte Stimme dumpf hinter der Tür hervor und ließ Mario damit innehalten. Auch Luigi spitzte die Ohren.
„Soso, sieh an. Und was machst du hier? Unter meinem Bett hast du bestimmt nichts verloren“, fuhr Cookie fort und ihre Stimme hatte einen anklagenden, fast empörten, Klang angenommen.
Marios Hand verkrampfte und in sein Gesicht schoss eine wütende Hitze. Luigi neben ihm, runzelte die Stirn und ging ohne es zu merken in Kampfhaltung. Was mussten sie da hören?
Aus dem Zimmer drangen nun sogar schon hastige Schritte und lautes Geraschel, als würde jemand eilig herumlaufen. „Und in meinem Badezimmer erst recht nicht, du. Komm raus da!“
Nun war die Hand des großen Bruders schon zur Faust geballt, während er ungläubig auf die geschlossene Tür starrte, als könnte er damit durch das Holz sehen. Der kleine Bruder war unterdessen so rot angelaufen wie eine Tomate, hatte aber den Blick aufgesetzt, den ausschließlich seine Gegner bei Kartrennen zu sehen bekamen.
Wieder raschelte und rumpelte es hinter der Tür, etwas wurde geworfen und dann klang Cookies aufgeregte Stimme plötzlich ganz zufrieden und ruhig. „Hab ich dich, Schlingel. Sag mal, du warst da aber nicht schon drin, als ich mich umgezogen habe, oder?“
Nun reichte es Mario aber endgültig! Entschlossen packte er den Türknauf, um in das Zimmer zu stürmen und denjenigen, mit dem Cookie sprach, hochkant rauszuwerfen. Am besten aus dem obersten Fenster des höchsten Turmes im ganzen Palast. Das Gesicht des großen Bruders glühte vor Zorn und Empörung, aber auch Verlegenheit über das Gehörte. Wer nahm sich Cookie gegenüber solch eine unfassbare Frechheit heraus und glaubte auch noch ungeschoren damit davon zu kommen?
Im gleichen Moment, als der Held kochend zugriff, wurde die Tür schon von Innen geöffnet und der Lockenkopf trat zu den Brüdern auf den Flur. In ihren grünen Augen lag deutliche Überraschung darüber, sie jetzt schon hier zu sehen. „Mario, Luigi, ihr seid ja schon da“, freute sich Cookie und lächelte ihnen fröhlich zu.
Keine Spur von Verlegenheit oder gar Furcht vor ihrem Bedränger. Da stimmte doch etwas nicht. Die Brüder waren dagegen schließlich noch immer aufgebracht und verlegen. Luigi beugte sich vor, um mit grimmigem Blick jeden Winkel von Cookies Zimmer zu inspizieren, in dem sich jemand hätte verstecken können. Gerne hätte er jetzt seinen schweren Hammer griffbereit gehabt.
Mario packte Cookie sogar an den Armen, um sie schützend in seinen Rücken zu schieben, wo niemand an sie herankam. „Wo ist der Kerl? Mit wem hast du gesprochen? “, fragte er sie fast ein wenig zu harsch.
Cookie hielt ihm als Antwort nur die zusammengelegten Hände unter die Nase und lachte. „Mit meinem kleinen Freund hier. Er scheint sich irgendwie in mein Zimmer verirrt zu haben.“ Als der Lockenkopf die Hände vorsichtig öffnete, saß auf ihren Handflächen eine kleine, braune Maus mit schwarzen Knopfaugen und zitternder Nase. Cookie kraulte ihr den Kopf. „Ist sie nicht niedlich?“
Ein wilder, gellender Aufschrei hallte durch den Gang, Arme wurde voller Entsetzen emporgerissen und nur einen Moment später war Mario mit einem großen Satz schutzsuchend in die Arme des kleinen Bruders gesprungen. Die behandschuhten Hände in die grünen Schultern geklammert, starrte der Held des Pilzkönigreiches mit aufgerissenen, blauen Augen auf die kleine Maus hinunter. Sein Gesicht war zu einer Maske des Grauens und Ekels verzogen.
Stille beherrschte nun Zimmer und Flur für eine ganze Weile, in der Luigi seinen großen Bruder sicher hielt und beruhigend auf ihn einmurmelte.
„Bei allen Sternen“, schnappte Cookie nach ein paar weiteren Herzschlägen und war zum Glück viel zu überrumpelt, um auch nur daran denken können zu lachen. Zudem hätte sie Mario so eine Schmach niemals angetan. Der große Bruder sah schon elend genug aus in seiner Angst und der Scham, die sich nun immer mehr auf seinem Gesicht breit machte. „Entschuldige, das konnte ich ja nicht ahnen.“ Der Lockenkopf trat sogar einen Schritt zurück, barg die Maus wieder in beiden Händen und sah die Helden beschämt an.
Luigi drückte Mario schützend noch ein wenig enger an sich, warf Cookie aber einen milden Blick zu und wiegte beschwichtigend den Kopf. Woher auch?
„Ich bring das Mäuslein besser schnell hier raus“, entschied Cookie hastig, um Mario nicht noch länger zu ängstigen und eilte im gleichen Moment auch schon den Gang entlang Richtung Schlossgarten. Dorthin, wo die Rosenbüsche so üppig blühten, Bäume rauschten und es grüne Rasenflecken gab, die zum Verweilen einluden. Auf solch Einer setzte Cookie die kleine Maus behutsam ab. „Geh schon, kleiner Freund, hier fühlst du dich bestimmt wohler und kannst nicht versehentlich noch jemanden erschrecken“, brummelte sie und sah der Maus hinterher, als die mit huschenden Schritten im Grün verschwand.
Nachdenklich fuhr sich Cookie durch die roten Strähnen und kam nicht umhin doch an den durch und durch ängstlichen Mario zu denken. Wenn das Bowser wüsste. Ihr schoss das verrückte Bild einer Schergenarmee ganz und gar bestehend aus Buu Huus und Mäusen durch den Kopf. Cookie zog eine verwirrte Grimasse. Nicht sonderlich beeindruckend, aber dafür umso effektiver. Nun musste sie doch heimlich auflachen, entschied sich aber dazu sich besser um den armen Erschreckten zu kümmern.
Mario lag bestimmt schwer im Magen, was Cookie da gerade mit angesehen hatte und nun von einer geheimen Angst wusste. Der Lockenkopf lächelte. Zum Glück kannte sie auch dagegen das beste Mittel. Limonade prickelnd und frisch, Blutorange. Etwas, das erstaunlicherweise auch längst zum festen Inhalt des Heilebeutels gehörte. Neben Waldmeister, einer Geschmacksrichtung, die von anderer Seite gerne zur Trostverstärkung angenommen wurde.