„Ich frage mich, welcher elende Drecksack hier schon wieder seinen Hausmüll abgeladen hat!“, schimpfte Anton laut, als der volle schwarze Sack, der am Wegesrand im Stadtpark stand, in sein Blickfeld geriet. Der Sack quoll über, einiges lag schon daneben.
Anton war bekannt dafür, sich um alles zu kümmern, das eigentlich gar nicht seine Angelegenheit war. Überall hing er sich hinein, gab seinen Senf dazu. Nichts entging ihm. Vor allem die heimliche Müllentsorgung im Park hatte es ihm angetan. „Das muss auf Kosten der Steuerzahler entsorgt werden“, wetterte er ein ums andere Mal, wenn er wieder einmal einen übervollen Müllbehälter im Park entdeckte. Nicht nur einmal gab er seinen Unmut darüber lautstark kund. Sogar vor Handgreiflichkeiten schreckte er nicht zurück. Daher hatte er schon mehrmals Besuch von der Polizei, bei der er bereits bekannt war wie ein bunter Hund. Einige Anzeigen wegen tätlichen Übergriffen gingen schon auf sein Konto. Doch er ließ sich nicht davon abbringen, seiner angeblich bürgerlichen Pflicht nachzugehen.
Die Leute in der Umgebung kannten ihn. Oft lachten sie über diesen sehr eigenartigen und eigensinnigen Kerl, der sich überall hineinhängte und seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen. Schnüffler war im Laufe der Zeit zu seinem Spitznamen geworden. Doch auch weitaus bösere Namen hingen ihm an.
So auch heute. Anton hatte etwas entdeckt, das nicht seinen Werten entsprach. Auf seinem Morgenspaziergang durch den Park bemerkte er am Wegesrand einen schwarzen Sack, der dort nicht hingehörte. „Das muss ich melden“, murrte Anton grimmig und ging näher. Neugierig öffnete er den Sack und spähte hinein. Es stank erbärmlich. Schmeißfliegen tummelten sich über einem undefinierbaren Stück, das aussah wie verdorbenes Fleisch. Angeekelt spie Anton aus.
„Oh mein Gott“, wetterte er über den Unrat. Anton erhob sich wieder und sah sich um. Aber kein einziger Spaziergänger, dem er die Tat anhängen konnte, war zu sehen. Also machte sich der Mann auf die Suche und tat das, was er in seinen Augen am besten konnte – nämlich schnüffeln.
Wenig später entdeckte Anton einen Obdachlosen, der es sich auf einer Wiese abseits der Wege bequem gemacht hatte. Hinter dem Mann begann bereits der Stadtwald, in dem Anton weitere zwielichtige Gestalten vermutete und wo er lieber nicht spazieren ging.
„He du!“, sprach Anton den Obdachlosen an. „Was machst du hier? Campen ist im Park verboten!“, wies er den Mann zurecht, der sein kleines Zelt aufgebaut und sich heimisch eingerichtet hatte.
„Was geht es dich an?“, fragte der Obdachlose. „Mach, dass du hier wegkommst und lass mich in Ruhe!“
„Campen ist im Park verboten“, beharrte Anton auf seiner Meinung und stellte sich breitbeinig mit in die Hüften gestützten Händen hin.
„Wer sagt das?“
„Das steht in der Stadtverordnung“, erklärte Anton. „Außerdem hast du hier eine Menge Müll, den du nicht hierlassen solltest.“
„Das werde ich auch nicht tun“, erklärte der angeblich überführte Umweltverschmutzer.
„Ach ja… und was ist mit den großen Müllsack da hinten? Der ist garantiert auch von dir“, knurrte Anton.
„Ist er nicht“, erwiderte der Obdachlose und stand auf. „Jetzt lass mich in Ruhe, du Querulant. Ich habe noch zu tun.“
„Ach, was denn? Heimlich Müll entsorgen, zum Beispiel“, Anton lachte hämisch.
„Verschwinde endlich du blöder Arsch!“, ließ sich der Obdachlose nun zu einer nicht allzu guten Kinderstube hinreißen.
„Ja, ja… damit du die Müllkübel hier mit deinem Unrat besudeln kannst!“ Anton war nicht mehr zu bremsen. Er griff nun nach dem Arm seines angeblichen Müllsünders und wollte diesen festhalten.
„Lass mich los“, forderte der. „Sonst…“
„Sonst was? Willst du mich schlagen?“
„Könnte ich, tu ich aber nicht. Ich mach mir doch nicht die Pfoten dreckig an so einem Blödmann wie dir.“
„Hört, hört… große Worte schwingen. Außerdem musst du dir die Finger nicht schmutzig machen. Die sind es schon, du Dreckskerl.“
„Sagt wer?“, fragte der Obdachlose, der wahrlich nicht besonders reinlich war. Aber er wollte sich keinesfalls nachsagen lassen, er wäre ein Dreckskerl. Er mochte zwar ohne Wohnsitz sein, aber ein Dreckskerl war er nicht. Nie hatte er sich etwas zuschulden kommen lassen, auch keine unrechtmäßige Müllentsorgung.
So flogen recht unflätige Worte hin und her. Es wurde immer lauter, Anton noch aufgebrachter. Plötzlich hatte Anton einen Knüppel. Woher er ihn auf einmal hatte, wusste er nicht. Wie aus heiterem Himmel war er in seinen Händen. Ohne nachzudenken schlug Anton zu. Einmal, zweimal, auch ein drittes und viertes Mal.
Anfangs wehrte sich der Obdachlose gegen die Angriffe. Doch als er hart am Kopf getroffen wurde, sank er wie ein nasser Sack zu Boden und blieb reglos liegen. Blut rann aus einer Stirnwunde, ein Auge verfärbte sich blau. Sein Atem ging schwach, doch er lebte.
„Ach du lieber Himmel! Was habe ich getan?“ Anton stand starr vor Schreck vor seinem Opfer. „Hee, du… werde wach!“, er rüttelte am Arm des Mannes. „Hoffentlich ist der nicht tot“, jammerte Anton, nachdem er bemerkte, der Obdachlose erwachte nicht. „Was soll ich nur tun? Die Polizei rufen? Den Notarzt? Die nehmen mich gleich mit und sperren mich ein.“ Anton überlegte. „Ja, das ist es!“, fuhr er hoch und blickte sich um. „Hat uns jemand gesehen?“
Anton wusste, etwas weiter hinten gab es einen Platz. Die Stadt hatte dort große Container aufgestellt, in denen sie den Müll aus dem Park sammelte, ehe sie ihn abtransportierte. Dorthin würde er den Kerl bringen. „Ja, dieser Abschaum gehört in den Müll. Kriegt eh nichts mehr mit“, meinte Anton und machte sich an die Arbeit. Dabei dachte er immer wieder: „Niemand hat´s gesehen.“ Des Öfteren vergewisserte er sich, damit ihn auch wirklich niemand sehen und ihn der Tat bezichtigen konnte.
Am Wochenende stand im Stadtanzeiger: „Schwer verletzter und verwirrter Obdachloser am Müllsammelplatz im Park gefunden. Der Mann konnte sich an nichts erinnern. Zeugenhinweise nimmt die Polizeidienststelle entgegen.“
Doch niemand hatte was gesehen – außer Anton. Der aber schwieg wie ein Grab.
© Milly B. / 28.02.2023