„Schatz, das Haus ist wirklich wunderschön. Und das Grundstück erst“, sagte Lara glücklich und blickte sich um. „Das ist eine Überraschung, die dir gelungen ist.“
„Du weißt doch, für dich tue ich alles“, erwiderte Fred. „Ewig wollte ich nicht in dieser Heringsbüchse von Plattenbau leben. Eine richtig schöne Wohnung, in der man sich lange Zeit wohlfühlen kann, ist das nicht. Aber das hier…“, Fred streckte den Arm aus und beschrieb damit einen Halbkreis, „das hat was.“ Das Gelände war groß, von hohen Hecken umgeben. Der Rasen war sehr gepflegt. Es gab einen Pool mit einer weitläufigen Sitzecke, wo die Bewohner ihre Freizeit verbringen konnten. Nur am hinteren Ende direkt an der Rückwand des Wohnhauses ragte eine Felswand in die Höhe, die ein wenig störte, aber ansonsten war nichts auszusetzen.
„Ach Liebling. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Gar nichts. Freue dich einfach“, meinte Fred, zog Lara in seine Arme und küsste ihre Nasenspitze.
„Bist du dir sicher, das Grundstück kaufen zu wollen?“, fragte Lara lieber noch einmal. Sie konnte es nicht glauben, was Fred ihr offenbarte, als sie auf dem Weg hierher waren. Als er sie zu einer Spritztour einlud, ließ er vorerst kein Wort verlauten, wohin die Ausfahrt ging. Nun standen sie hier und Lara wusste nicht, wie sie ihre Gefühle ausdrücken sollte.
„Überleg doch mal. Es wird hier wunderschön, für uns und die Kinder… ein Grundstück mit Haus, groß genug für uns alle. Zwar etwas weg vom Schuss, aber trotzdem gut zu erreichen. Wie ich hörte, wurde die Straße erst vor Kurzem ausgebaut…“ Fred redete und redete.
„Halt, warte…“ rief Lara. „Welche Kinder? Hast du mir etwas zu beichten?“
„Unsere gemeinsamen Kinder natürlich“, erwiderte Fred grinsend. „Es sei denn, du möchtest keine.“
„Können wir das später besprechen? Ich bin gerade total geflasht“, versuchte Lara sich herauszureden. „Ich möchte Kinder mit dir, am besten eine ganze Fußballmannschaft.“
Fred grinste erneut. „Vertagen wir das Thema, einverstanden. Dafür eine andere Frage. Möchtest du das Grundstück hier kaufen? Ich wäre dafür.“
„Da fragst du noch? Natürlich.“
„Sehr schön, dann rufe ich sofort die Maklerin an, sie wartet in der Nähe auf meinen Anruf und wäre in ein paar Minuten hier, um alles zu besprechen“, sagte Fred.
„Dann mach mal, ich bin einverstanden.“
Knapp drei Monate später
Lara und Fred hatten vor ein paar Tagen den Kaufvertrag für das Grundstück und das Haus unterschrieben und nun waren sie bereit, aus der Stadt in ihr neues Haus zu ziehen. Da sie sich schnell mit dem Vorbesitzer einig waren, ging das ganze Prozedere ohne Probleme über die Bühne.
Die Umzugswagen fuhren eben davon. Lara und Fred standen in der Einfahrt ihres Grundstücks und blickten den LKW´s nach, die ihre Möbel und all die anderen Habseligkeiten, die sich in der alten Wohnung angesammelt hatten, in das vor Kurzem gekaufte Haus gebracht hatten. Die Helfer waren schnell und arbeiteten routiniert, die Möbel standen bereits an Ort und Stelle, Kartons waren ausgepackt und deren Inhalt an den richtigen Platz verbracht. Jetzt mussten nur noch die zwei allerletzten Kartons ausgepackt und alles verstaut werden. Doch das eilte nicht.
Lara schaute sich um. Sie hatte das Grundstück bereits ausgiebig erkundet und sich alles angesehen. Das Haus gefiel ihr, es verfügte über genügend Platz. Auch der Garten, der direkt an das Haus angrenzte, war groß, fast zu groß. Das Einzige, was Lara nicht so richtig gefiel, war dieser Berg, der gleich hinter dem Haus aufragte. Es schien fast so, als wäre das Gebäude in die Felswand hinein gebaut worden. Doch das war nicht so. Zwischen Wand und Haus befand sich ein etwa zwei Meter breiter Gang, in dem es stockdunkel war. An der Rückseite des Hauses waren keine Fenster, sodass die Nähe des Berges eigentlich nicht störte. Aber trotzdem, irgendetwas Unheimliches ging von diesem Fels aus.
„Es ist gruslig“, meinte Lara einmal, als sie den Garten besichtigten und den finsteren Gang bemerkten.
„Komm schon, sei kein Hasenfuß“, erwiderte Fred lachend. „Geister wird es dort garantiert nicht geben.“
„Ich möchte trotzdem lieber nicht wissen, was sich da drinnen im Laufe der Jahre angesammelt hat“, sagte Lara.
In den nächsten Tagen hatten Lara und Fred alle Hände voll zu tun, um es sich wohnlich einzurichten. Hier und da musste Fred noch seine handwerklichen Fähigkeiten beweisen, aber ansonsten waren keine großen Renovierungsmaßnahmen notwendig. Das Haus war sehr gepflegt und instandgehalten. Die neuen Bewohner hatten vor dem Einzug nur die Wände neu gestrichen, da ihnen die Farben, die die Vorbesitzer benutzt hatten, gar nicht gefielen.
Nun waren nur noch die beiden Kisten mit den Dingen, die sie nicht im Wohnbereich unterbringen wollten, im Keller zu verstauen.
Mit vereinten Kräften hievten die schweren Behältnisse die steile Kellertreppe hinunter. Fred hatte als Erstes die Lampen erneuert, nachdem Lara sich geweigert hatte, ohne ausreichende Beleuchtung den Keller zu betreten. Nun standen die Zwei im Gang und sortierten den Inhalt.
„Hast du dir hier auch schon alles angesehen?“, fragte Fred wie nebenbei.
„Bisher bin ich nur bis an den Fuß der Treppe gekommen“, erwiderte Lara. „Es war mir zu gruslig und zu dunkel hier unten, bevor du die Lampen erneuert hast.“
„Dann komm, es gibt noch zwei weitere Räume, die du dir anschauen solltest. Einen davon könntest du als Waschraum nutzen. Dort gibt es Anschlüsse für Wasser und Strom. Ein Abfluss ist auch vorhanden.“
„Wenn du meinst“, sagte Lara und ging mutig voraus.
Im ersten Raum fand sie nichts vor. Er war leer. „Hier könnten wir einen Hobbyraum einrichten“, schlug Lara vor. „Oder irgendetwas anderes, was dir gefällt.“
„Ja, mal sehen, was mir da einfällt. Einen Abstellraum brauchen wir ja auch, da wir über keinen Dachboden verfügen. Irgendwo müssen wir das ganze Zeugs unterbringen. Der Inhalt der Kisten draußen im Flur könnte erst einmal hier rein. Da steht uns das nicht im Weg herum.“
„Schauen wir uns den anderen Raum an“, sagte Lara und griff nach Freds Hand. Der folgte ihr gerne.
„Hier… Wasser und Abwasser. Ich könnte noch Leinen anbringen, wo du die Wäsche aufhängen kannst“, versuchte Fred seiner Frau die Möglichkeit eines separaten Waschraums schmackhaft zu machen. Die jedoch hielt gar nichts davon, für diese Arbeit in den Keller verbannt zu werden.
„Liebling, wir haben einen Wäschetrockner“, bremste Lara ihn lachend aus. „Außerdem ist oben noch ein Zimmer, das wir nicht nutzen, aber über Anschlüsse und einen Abfluss verfügt. Das könnten wir doch dafür benutzen. Da muss ich mit den Wäschekörben nicht immer die steile Treppe hinab.“ Sie zog die Nase hoch, als würde sie etwas Unangenehmes riechen. „Irgendetwas stinkt hier ganz komisch“, sagte sie und blickte sich um. „Vielleicht ist es der Abfluss, aus dem dieser Gestank kommt. Hoffentlich liegt da keine tote Ratte drin.“
Fred machte sich sofort auf die Suche. Er inspizierte den Abfluss, aber der war in Ordnung. Ein Blick unter das Abflussgitter sagte ihm, da war nichts drin, das Ekel erregend sein könnte. Und trotzdem, es stank erbärmlich. „Mach mal Licht“, forderte er Lara auf. Nachdem Lara es angeknipst hatte, untersuchte Fred die Wände. Doch auch da entdeckte er nichts Aufregendes.
Plötzlich bemerkte er einen leichten Windstoß. „Hier zieht es“, meinte er und suchte weiter, dachte sich aber nichts dabei. Als er erneut an der gleichen Stelle ankam und diesen Windstoß wieder bemerkte, wurde er stutzig. „Die Fenster sind doch alle geschlossen. Es kann kein Wind hereinkommen“, sagte er und zog sein Feuerzeug aus der Hosentasche. „Na mal sehen, ob ich dem Grund auf die Schliche komme.“
Dort, wo Fred den Windstoß bemerkt hatte, hielt er die Flamme hin. Langsam fuhr er an der Wand hin und her. „Da! Von hier kommt es“, stieß er aus. „Ah, Pfui Deibel… das stinkt wirklich erbärmlich.“ Er wandte sich zu Lara um, die sein Tun interessiert beobachtet hatte. „Komm mal her und schau dir das an.“
„Hier ist ein Riss, direkt in der Ecke, fast unsichtbar“, sagte Lara. Erneut verzog sie angeekelt das Gesicht. „Da kommt auch der Gestank her. Was das wohl sein mag? Vielleicht liegt direkt hinter dem Riss eine tote Ratte oder irgendein anderer Kadaver und müffelt vor sich hin.“
„Das ist kein Leichengeruch“, erwiderte Fred, „das riecht anders.“
„Woher willst du das wissen?“
„Ich habe als Kind mal im Wald eine Leiche gefunden, daher…“, antwortete Fred. Er presste sein Auge in die Ecke, doch ohne Licht konnte er nicht erkennen, was sich hinter dem Riss befand. „Ich sehe nichts“, kommentierte er. „Ich werde die Wand aufstemmen und schauen, was sich dort verbirgt.“
„Bist du verrückt?“, fuhr Lara hoch. „Was ist, wenn das ganze Haus einstürzt, wenn du das tust?“
„Ich mache nur ein kleines Loch, durch das wir hindurchschauen können, mehr nicht.“
„Wie du meinst“, gab Lara klein bei. „Ich gehe schon mal eine Taschenlampe holen.“ Während sie sich umdrehte, fragte sie noch: „Bist du dir sicher, dass das kein Leichengeruch ist?“
„Ja klar“, erwiderte Fred, der sich seiner Sache ganz sicher war.
„Gib mal die Lampe“, sagte Fred, nachdem er schwitzend Hammer und Meißel beiseitegelegt hatte. Er hatte ein etwa kopfgroßes Loch in die Wand geschlagen, durch das er dahinter schauen konnte. „Bah“, schimpfte er. „Das ist ein Gestank.“ Er leuchtete in das Loch. „Na das ist ja ein Ding“, meinte er auf einmal.
„Was ist?“, fragte Lara.
„Da ist ein Gang. Leider reicht das Licht nicht aus, um ihn vollständig auszuleuchten. Ich werde das Loch größer machen müssen, damit ich hineinkriechen kann.“
„Du bist verrückt. Mach das blöde Loch wieder zu und gut ist.“
„Nein, nein. Jetzt habe ich Blut geleckt. Ich muss wissen, was sich dort befindet.“
Sofort machte sich Fred erneut an die Arbeit.
„Oh Mann“, schimpfte Lara. „Worauf lasse ich mich hier nur ein?“
„Willst du nicht wissen, was sich in diesem Gang befindet?“, fragte Fred seine Frau.
„Ja, doch. Aber nicht auf Teufel komm raus. Ich habe Angst, dass das ganze Haus einstürzt, wenn du das Loch noch größer machst“, bekannte Lara.
„Da passiert nichts. Ich mache es nicht zu groß, gerade so, dass ich hindurchkriechen kann“, erklärte Fred und hämmerte weiter wie verrückt auf den Meißel ein. Dass der Mörtel noch recht frisch war, bemerkte er dabei nicht.
Stück für Stück der Wand fiel seinen harten Schlägen zum Opfer. Neben ihm hatte sich bereits eine beträchtliche Menge Schutt angesammelt. „Das müsste reichen“, sagte er und legte sein Werkzeug beiseite. Fred kroch durch das Loch in den Gang. „Reich mir mal die Taschenlampe“, rief er Lara zu. „Willst du nicht mitkommen?“, fragte er sie sofort, nachdem sie ihm die Lampe gegeben hatte.
„Na gut, nur ungern. Aber allein hier auf dich warten, will ich auch nicht. Da beiße ich lieber in den sauren Apfel und zwänge mich hier hindurch“, erwiderte sie und schlängelte sich auch durch die Öffnung in der Wand. „Mein Gott, wie das stinkt. Fürchterlich.“ Angeekelt rümpfte sie sich die Nase und hielt sich ihr Tempo davor. „Das kann nur eine Leiche sein“, brachte sie ihre Vermutung nochmals zum Ausdruck.
„Ach was, glaube ich nicht. Und nun komm“, meinte Fred und ging voran.
Vorsichtig tasteten sich Fred und Lara den engen Gang entlang. Er war schlüpfrig, es tropfte von der Decke. An den Wänden hatte sich Moos gebildet. Es war stockdunkel, aber weiter hinten im Gang war ein Lichtschimmer zu sehen.
„Da scheint etwas zu sein“, machte Fred seine Frau auf den Lichtschein aufmerksam.
„Wie schön“, erwiderte sie ein wenig genervt. Es gefiel ihr nicht, hier im Dunkeln herumzukriechen und sich dreckig zu machen. Doch allein warten, das wollte sie auch nicht.
Plötzlich begann die Taschenlampe zu flackern, dann erlosch sie gänzlich.
„Auch das noch“, schimpfte Fred.
„Was machen wir nun?“, fragte Lara ihn.
„Weitergehen, was sonst? Wir sind gleich da, es ist nicht mehr weit“, antwortete er, nahm Laras Hand und tastete sich im Dunkeln weiter in Richtung Licht. Der Gang wurde etwas breiter, der Luftzug verstärkte sich. Schneller als gedacht, waren die beiden am Ziel.
Vor Lara und Fred tat sich eine kleine Höhle auf. Sie schien natürlich zu sein, doch sicher waren sie sich nicht. Genau konnten sie nicht schauen, denn die Taschenlampe weigerte sich weiterhin, ihren Dienst zu tun. Allerdings kam durch eine Öffnung in der Decke genügend Licht herein, sodass sie sich orientieren konnten. Trotzdem lagen einige Ecken der Höhle im Dunkeln. Der Gestank hatte sich noch mehr verstärkt.
„Ich muss mich gleich übergeben“, sagte Lara und presste ihr Tempotaschentuch noch fester auf die Nase.
„Bleib hier stehen, ich sehe mal zu, was ich finde. Ganz geheuer ist mir die Sache inzwischen auch nicht mehr“, erwiderte Fred und tastete sich an den Wänden entlang. Lara hörte ihn schimpfen.
„Was ist los?“, wollte sie wissen.
„Ich habe mich an einem Stein gestoßen. Das schmerzt wie verrückt. Mein Zeh wird bestimmt blau“, rief Fred zurück. „Oh mein Gott“, schimpfte er auf einmal. „Hier stinkt es noch mehr. Und wir haben kein Licht.“
„Pass lieber auf“, warnte Lara. „Ja, ja“, hörte sie darauf nur.
„Lara!“, brüllte Fred plötzlich erschrocken.
„Was ist?“, fragte sie, über Freds erschrockenen Ausdruck erstaunt. „Soll ich dir helfen?“
„Nein, bleib wo du bist. Das willst du nicht sehen!“
„Sag endlich, was du gefunden hast!“, forderte Lara.
„Eine Leiche!“, rief Fred, „Du hattest Recht!“
„Was?!“
„Hier liegt eine Leiche!“, wiederholte Fred seine Aussage.
„Wirklich?“
„Ja, wenn ich es doch sage!“
„Oh nein!“, jammerte Lara. „Das kann doch nicht sein. Wie kommt die hierher?“ Sie blickte sich um, doch die Öffnung in der Decke war der einzige Zugang.
„Was weiß ich, wie die hierherkommt“, antwortete Fred. „Wir sollten zurückgehen und die Polizei rufen. Der Leichnam muss noch nicht sehr lange an dieser Stelle sein.“
„Denkst du? Das ist fürchterlich. Warum nur muss uns das passieren?“
„Das ist jetzt egal, wir müssen zurück und telefonieren“, meinte Fred, der zwar vom Fund mitgenommen, aber seine Gedanken besser ordnen konnte als Lara.
„Ich denke nicht, dass die Leiche durch die Öffnung in der Decke in die Höhle geworfen wurde“, erklärte Lara auf dem Rückweg.
„Hm“, murmelte Fred nur. „Vielleicht hat der Mörder sie auf dem gleichen Weg in die Höhle gebracht, wie wir hineingekommen sind.“
„Das sollte die Polizei herausfinden und nicht wir“, erwiderte Lara.
„Es geht mir trotzdem nicht aus dem Kopf. Die Höhle scheint natürlich zu sein, aber der Gang dorthin nicht. Der wurde gegraben und zwar von Menschen. Vielleicht sogar vor langer Zeit. Die Vorbesitzer, oder, frag mich nicht, wer sonst noch, wollten etwas loswerden, in diesem Fall die Leiche, haben den Gang verschlossen und so getan, als hätten sie nichts davon gewusst. Sie erzählten beim Gespräch jedenfalls nichts davon. Sehr lange scheint der Leichnam allerdings noch nicht hier zu liegen.“ Fred trat näher heran, schreckte aber sofort wieder zurück. Der Gestank, der von dem verwesenden Körper ausging, war unerträglich.
„Vielleicht wissen sie wirklich von nichts“, antwortete Lara.
„Das glaube ich nicht“, meinte ihr Mann.
„Aber warum gibt es hier einen Gang?“
„Was weiß ich. Die Leute, die vor, wahrscheinlich vielen Jahren, hier lebten, haben diese natürliche Höhle vielleicht als Keller genutzt. Kalt genug ist es darin, um etwas länger frisch zu halten. Ich erinnere mich, mal etwas über solch eine Möglichkeit der Lagerung gelesen zu haben. Warum also sollte dort nicht eine Leiche versteckt werden, in der Hoffnung, dass diese nicht entdeckt wird.“
„Das ist nun ja voll in die Hose gegangen“, meinte Lara sarkastisch.
„Allerdings.“
Etwa eine Stunde später war das Haus von Lara und Fred voll von Polizisten. Alles wurde genau unter die Lupe genommen, Fingerabdrücke wurden gesichert, Lara und Fred verhört. Ein herbeigerufener Maurer hatte das Loch in der Wand vergrößert und es so gesichert, dass nichts einstürzen konnte. Die Mordermittler waren eben dabei, den Tatort zu sichern und den Leichnam zu begutachten. Keine besonders angenehme Aufgabe bei dem widerwärtigen Gestank in der Höhle.
Zum wiederholten Male sagte Fred zum Kommissar, sie wären erst vor ein paar Tagen in dieses Haus gezogen und sie wüssten nicht, wie die Tote in die Höhle hinter dem Haus gekommen war. Inzwischen war sicher, der Leichnam war eine Frau.
Der Kommissar schritt aufgeregt im Wohnzimmer hin und her und raufte sich die Haare. Er konnte es nicht glauben, dass jemand eine Leiche einfach übersehen konnte.
„Zum letzten Mal“, echauffierte sich Fred. „Wir leben erst seit ein paar Tagen hier. Das Haus haben wir vor knapp einem Monat gekauft und bei der Besichtigung vor dem Kauf ist uns nichts aufgefallen. Damals roch es auch noch nicht im Keller. Uns fiel der Gestank erst heute auf, als wir einige Kisten in den Keller gebracht haben. Außerdem sah die Wand nicht so aus, als wäre sie erst frisch gemauert und verputzt worden.“ Er überlegte kurz. „Obwohl, bei den damaligen Lichtverhältnissen hätten wir den frischen Putz auch gut übersehen können.“
„Der Leichnam muss erst ein paar Tage dort gelegen haben. Die Verwesung ist noch nicht sehr weit vorangeschritten, meinte der Arzt, der die erste Leichenschau vorgenommen hat“, erklärte der Kommissar.
„Ja und… was können wir dafür? Wollen sie uns jetzt verdächtigen, diese Person umgebracht zu haben?“
„Das habe ich nicht gesagt!“
„Aber gedacht“, sprach Lara das aus, was ihrem Gatten darauf in den Sinn kam.
„Gute Frau!“, fuhr der Kommissar Lara an. „Ich tue auch nur meine Arbeit. Also halten sie sich lieber zurück, ehe ich sie noch verhaften lasse.“
„Jetzt machen sie aber mal halblang“, mischte sich Fred empört ein. „Wir haben nun bereits mehrmals alles erklärt und sie glauben uns immer noch nicht. Sehen wir vielleicht aus wie Mörder?“
„Einen Mörder erkennt man nicht immer am Aussehen“, konterte der Ermittler und setzte seinen Weg im Wohnzimmer fort. Angestrengt nachdenkend lief er hin und her.
„Chef, ich habe Nachricht von der Spurensicherung“, unterbrach einer der Polizisten den Weg des Kommissars. Der sah hoch.
„Was kam raus?“, wollte er wissen.
„Die Kollegen haben die Abdrücke durch den Computer abgleichen lassen. Die Fingerabdrücke im Haus gehören alle zu den beiden neuen Besitzern“, erklärte der Beamte. „Sonst sind nur welche gefunden worden, die wir nicht in der Datei haben.“
„Das war doch klar“, mischte sich Fred ein. „Es gibt hier nichts mehr vom Vorbesitzer, auf dem Fingerabdrücke von ihm gefunden werden könnten. Die anderen werden alle von den Umzugshelfern sein. Das werden sie wohl hoffentlich abklären können.“ Er entnahm aus einer Schublade eine Rechnung und reichte sie dem Ermittler. „Hier, das ist die Firma, die den Umzug organisiert hat. Die werden ihnen bestimmt weiterhelfen.“
„Vielen Dank“, erwiderte der Kommissar. „Kennen sie die Vorbesitzer dieses Hauses?“, wollte er dann von Fred und Lara wissen.
„Nur den Ehemann“, sagte Fred.
„Und die Frau? Wie ich weiß, gehörte das Haus einem Ehepaar.“
„Die Frau kennen wir nicht. Zur Unterschrift im Notariat erschien ein einzelner Herr, der sich als Besitzer dieses Anwesens auswies“, erklärte Lara.
„Und die Gattin? Normalerweise müssen bei einem Hausverkauf beide Eigentümer unterschreiben, wenn beide im Grundbuch stehen. Laut Auskunft war das Paar zu gleichen Teilen Besitzer “, meinte der Polizist, worauf alle Anwesenden zustimmend nickten.
„Da ist noch etwas“, sagte Fred auf einmal. „Ich erinnere mich, dass der Herr eine Vollmacht vorlegte, unterschrieben von seiner Ehefrau. Er zeigte auch deren Personalausweis. Daraufhin war das persönliche Erscheinen der Gattin nicht mehr vonnöten. Nach dem Termin erwartete ihn eine Frau, die aber nicht seine war. Die Maklerin meinte, sie würde seine Ehefrau kennen, da diese ihre Freundin wäre. Die andere wäre definitiv nicht ihre Freundin gewesen. Das letzte Mal hätte sie diese kurz vor dem Notartermin gesehen.“
„Leider beantwortet das immer noch nicht, wer die tote Frau ist, die sie gefunden haben und wer diese umgebracht hat“, meinte der Ermittler. „Vielleicht sagen uns die Vermisstenmeldungen etwas. Das wäre jetzt mein nächster Weg.“ Er wandte sich an Lara und Fred. „Sie sind erst einmal entlassen. Halten sie sich aber zur Verfügung.“
Im Kommissariat wurde der Ermittler von einer aufgebrachten Maklerin und einer jungen Frau erwartet. „Sie ermitteln in einem Fall, der etwas mit dem Grundstück zu tun hat, das ich vor Kurzem verkauft habe“, wurde er von der älteren der Frauen angesprochen.
„Es kommt darauf an, welchen Fall sie meinen“, erwiderte der Kommissar.
„Da, wo die Tote in dieser Höhle gefunden wurde.“ Sie nannte noch die dazugehörige Adresse.
Der Kommissar nickte zustimmend. „Aber was wollen sie von mir und was gehen sie die Ermittlungen an?“, wollte er wissen.
Die Maklerin trat beiseite und zeigte auf ihre Begleiterin. „Das ist die Tochter der Vorbesitzer. Sie vermisst seit einiger Zeit ihre Mutter. Der Vater könne keine Aussage über den Verbleib seiner Frau machen. Angeblich hätten sie sich getrennt“, erklärte sie.
„Ja, genau. Meine Mutter hätte mir gesagt, wenn sie sich von Vater getrennt hätte. Aber so ist sie vor knapp einem Monat plötzlich spurlos verschwunden. Mein Vater verkauft das Haus und hat eine neue Freundin. Da stimmt doch etwas nicht.“ Die junge Frau schaute den Kommissar an.
„Sind sie sich sicher, dass die Frau die neue Freundin ihres Vaters ist?“, fragte der Ermittler.
„Er hat sie mir vorgestellt“, erwiderte die junge Frau. „Sie waren auch recht vertraut, als würden sie sich schon länger kennen. Außerdem wäre es nicht die Art meiner Mutter, einfach ohne ein Wort zu verschwinden.“ Sie überlegte kurz, doch ehe der Kommissar etwas sagen konnte, fuhr sie fort: „Und sagen sie jetzt bitte nicht, meine Mutter wäre eine erwachsene Frau, die tun und lassen könne, was sie will, auch einfach verschwinden. Das glaube ich nicht!“
„Hm, wenn sie das so sagen. Sie kennen ihre Mutter besser als ich“, antwortete der Kommissar und überlegte, ob er über den Leichenfund erzählen sollte. Aber dann entschied er sich dafür. „Die neuen Besitzer haben in einer Höhle hinter dem Haus eine weibliche Tote gefunden. Sie wurde erdrosselt, wie unser Pathologe inzwischen feststellte.“
„Hinter dem Haus gibt es eine Höhle?“, fragte die junge Frau. „Davon wusste ich gar nichts.“
„Die neuen Besitzer haben diese durch einen Zufall entdeckt. Aber derjenige, der die Tote dorthin verbracht hat, musste davon wissen. Es gibt zwar einen anderen Weg hinein, es ist aber eher unwahrscheinlich, dass der Leichnam auf diesem dorthin verbracht wurde.“
„Können wir die Tote sehen?“, kam es synchron von der Maklerin und ihrer Begleiterin.
„Wenn sie möchten, gerne. Vielleicht hilft uns das weiter“, antwortete der Kommissar und führte die beiden Frauen in die Pathologie. Die folgten ihm aufgeregt und mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend.
Wenig später war die Identität der Verstorbenen geklärt. Es war die Mutter der jungen Frau. Nun war nur noch zu klären, wer sie ermordet hatte.
Einige Wochen später lagen alle Untersuchungsergebnisse vor. Die Tote im Felsenkeller war die Ehefrau des untergetauchten Grundstückverkäufers. Die Pathologen fanden unter den Fingernägeln der Leiche Hautfetzen. Ein DNA-Abgleich ergab, der Mörder war der Vater der Tochter der Ermordeten.
Der Ehemann wurde zur Fahndung ausgeschrieben und wenig später in Begleitung seiner Freundin in Belgien festgenommen. Er stritt die Tat nicht einmal ab und meinte nur, er wäre froh, dass es nun endlich zu Ende wäre. Er hätte es satt, sich ständig verstecken zu müssen.
Als Tatmotiv gab er an, er hätte eine andere Frau kennengelernt und sich die Scheidung sparen wollen. Dass die Sache nach hinten losging, er überführt wurde und er nun die nächsten Jahre hinter Gittern verbringen muss, war wohl mehr als gerecht.
© Milly B. / 11.03.2023