Nachdem Susi für die nächsten Tage sozusagen außer Betrieb war, wollte sie trotzdem nicht untätig bleiben, sondern die Zeit nutzen, um genauere Recherchen über die afrikanischen Hochzeitsriten zu machen. Mikel wollte ja so schnell wie möglich Ergebnisse sehen. So musste sie wohl oder übel tätig werden. Auch wenn sie jetzt viel lieber etwas faul wäre, am Pool zum Beispiel.
Nach dem Frühstück besuchte Susi statt dessen ihren Halbbruder Ismael in seinem Büro und fragte ihn, ob er eine Idee hätte, wie sie an die nötigen Informationen kommen könnte.
Er überlegte nur kurz, dann meinte er, da könne ihr Crazy Mama garantiert helfen. Sie sei sehr informiert, vor allem, was anstehende Hochzeiten in der Umgebung beträfe.
„Wie kommst du gerade auf Crazy Mama?“, frage Susi ihn. „Wer ist das eigentlich? Ich kann mich gar nicht an sie erinnern.“
„Als du das letzte Mal hier warst, hattest du ja auch andere Dinge im Kopf, als dich um die Tochter des inzwischen verstorbenen Schamanen zu kümmern“, lachte Ismael. „Dabei war es ihre Salbe, die deine Wunden am Po gut verheilen ließen, ohne dass Narben zurück blieben“, dabei schaute Ismael sie breit grinsend an. „Du hast doch da keine Narben zurückbehalten?“, fragte er neugierig.
Susi lachte laut auf, als sie seinen neugierigen Blick bemerkte. „Das würdest du wohl gerne wissen“, foppte sie ihn ein wenig. „Schelm du!“
„Ach menno, da dachte ich, ich bekomme mal den hübschen Arsch meiner Schwester zu Gesicht“, sagte ihr Bruder weinerlich und zog dabei ein Gesicht, als würde er gleich in Tränen ausbrechen wollen. „Aber gut, du brauchst Informationen“, wechselte er das Thema. „Ich werde mich mal auf die Suche nach Crazy Mama machen und euch zusammenbringen.“
„Du bist ein Schatz, Bruderherz“, sagte Susi lächelnd zu ihm und gab ihm einen Kuss.
„Ach hier bist du“, hörte sie auf einmal von der Tür her. Jörg war gekommen. „Ich habe mich schon gewundert, wohin du schon wieder verschwunden bist. Ich dachte schon sonst was.“
„Du dachtest schon sonst was? Was ist sonst was?“, fragte sie schelmisch, wusste sie doch, in welche Richtung seine Gedanken meist gingen.
„Du weißt doch, dass zur Zeit was Bestimmtes tabu ist. Daran halte ich mich auch. Falls doch was passieren sollte, wirst du es garantiert erfahren. So ist unsere Abmachung, an die ich mich immer halten werde“, wies sie Jörg zurecht.
Ismael hörte ihnen interessiert zu. Als er das Wort tabu hörte, wurde er aufmerksam.
„Was ist derzeit tabu bei euch? Sollte ich da was wissen?“
„Nichts interessantes. Du wirst es zeitig genug erfahren“, versuchte Susi abzulenken. In keinem Fall möchte sie ihm jetzt schon Jörgs und ihre Pläne verraten. Gut, von der Hochzeit musste er erfahren, denn da sollte er unbedingt dabei sein. Aber das andere, das ist noch Geheimnis.
„Mebina erzählte was von einer Hochzeit zum Ende des Jahres“, fing Ismael wieder an.
„Ach ja, die Hochzeit. Das kommt auch noch auf uns zu. Davon kannst du ja wissen“, gab Susi zu.
„Ist da noch was?“
Neugierig war dieser Ismael nun gar nicht. Susi lachte wieder. Auch Jörg konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Da ist nichts mehr“, sagte Jörg beschwichtigend. „Und wenn doch, wirst du es als mein Schwager von mir höchstpersönlich erfahren.“
„Du wolltest doch Crazy Mama holen lassen!“, versuchte Susi das Thema wieder zu neutralisieren.
„Ja, ja. Ich merke schon, ihr wollt mir nichts weiter erzählen“, schmollte Ismael ein wenig zu auffällig. „Da gehe ich mal auf die Suche“, sagte er noch und ging los, um Crazy Mama aufzustöbern.
„Hat Ismael was gemerkt?“, fragte Jörg ein wenig besorgt. „Womöglich hat ihm Mebina was erzählt.“
„Das glaube ich eher weniger“, antwortete Susi. „Mebina hält dicht, was die Schwangerschaft angeht.“
***
Etwa eine Stunde später klopfte es an die Tür von Susis Zimmers. Sie ging öffnen. Davor stand eine große, recht beleibte schwarze Frau.
„Hallo, mich nennt man Crazy Mama“, sagte sie zu Susi. „Ismael war bei mir und teilte mir mit, hier würde jemand Hilfe benötigen.“
„Ja, stimmt. Aber komm erst einmal herein“, gab Susi ihr die Türe frei und bat sie ins Zimmer.
Crazy Mama schaute sich interessiert um. „Du bist also Ismaels Schwester?“, fragte sie noch, ehe sie sich setzte. „Ihr seid euch gar nicht ähnlich. Ismael ist so schwarzhaarig und du rothaarig.“
„Ja, Ismael ist mein Bruder und Mohammed ebenfalls. Wir haben denselben Vater. Das allerdings jetzt weiter zu erklären, würde den Rahmen sprengen.“
Als Susi Mohammed sagte, bekamen ihre Augen einen leuchtenden Glanz. „Ach, Mohammed“, lispelte sie. „Das ist ein ganz Lieber.“
Crazy Mama ging nicht darauf ein, irgendwie hatte sie die Annahme, dass da mehr ist, als Susi zugeben wollte. Aber dazu wollte sie Mohammed später mal besser selbst befragen.
So setzte sich Susi Crazy Mama gegenüber in einen der Sessel und schaute sie interessiert an. Ihre Statur imponierte ihr mächtig, so stämmige Frauen sieht man doch eher selten.
„Ismael erzählte mir, du würdest Genaueres über Hochzeitsriten wissen wollen“, fing nun Crazy Mama an. Dabei schaute sie Susi an, als hätte sie noch etwas auf dem Herzen.
Susi erinnerte sich, wie Ismael ihr sagte, Bier würde sie ganz besonders gesprächig machen. Für alle Fälle hatte sie welches bringen lassen. Sie griff hinter ihren Sessel und zauberte eine Flasche afrikanisches Bier hervor.
Crazy Mamas Augen wurden noch glänzender, als sie das sah. Schnell griff sie zu, öffnete die Flasche und nahm einen großen Schluck daraus. Ein kleiner, ungenierter Rülpser folgte. Dann schaute sie Susi mit ihren dunklen Augen durchdringend an. „Wir haben vor Jahren schon einmal Kontakt gehabt“, sagte sie. „Ich erinnere mich noch gut, dass hier mal ein rothaariges Mädchen mit ihren Eltern da war. Die Kleine war recht aufmüpfig und tat, was sie wollte, anstatt auf ihre Eltern zu hören. Einmal zog die sich bei einer gewissen Tätigkeit sogar Schnittwunden am Po zu.“
Susi errötete, als Crazy Mama das sagte. „Ja, das war ich“, gab sie zu. Am liebsten wäre Susi in ein Mauseloch gekrochen. Also erinnerte sich Crazy Mama doch daran. Dabei hoffte Susi, sie hätte es längst vergessen. Peinlich, peinlich.
Crazy Mama grinste schelmisch. „Da will ich die Sache mal nicht noch peinlicher machen, als sie schon ist“, lenkte sie ab. „Nun erzähle mal, was du wissen möchtest.“
„Wie du bestimmt schon von meinem Bruder erfahren hast, arbeite ich für ein Magazin. Mein Chef wünscht sich eine Reportage über afrikanische Hochzeitsriten. Wenn da noch was über Sex dazu kommt, umso besser. Ich soll da eine Geschichte dazu schreiben. Ich habe zwar ein sehr breites Allgemeinwissen, aber afrikanische Hochzeitsriten … Nee. Du, Crazy Mama bist sozusagen meine letzte Rettung.“
„Da bist du bei mir genau an der richtigen Stelle. Wie du vielleicht weißt, bin ich die Tochter des Schamanen, der auch diese Lodge hier einst getauft hat.“
„Ja, das weiß ich. Ismael hat es mir gesagt“, erwiderte Susi. „Der Zauber wirkt sogar, wurde mir auch mitgeteilt“, meinte sie dann grinsend.
„Du hast ein kleines Geheimnis“, sagte Crazy Mama plötzlich leise zu ihr, wohl auch, um das Geheimnis auch ein Geheimnis bleiben zu lassen. Sie grinste dabei aber nicht viel weniger, als Susi selbst.
Erschrocken sah Susi sie an. Woher weiß sie davon? Von Mebina? Nein, das glaubte sie nicht.
„Du willst nicht alleine von hier weggehen“, orakelte sie dann auch noch.
„Das weiß ich doch, mein Verlobter Jörg ist doch auch mit hier“, erzählte Susi ihr.
„Ich meine damit nicht deinen Jörg, sondern etwas anderes, etwas, das in dir wachsen wird“, klärte sie Susi auf.
Nun war es an Susi, keine Worte mehr zu finden.
„Der Zauber der Lodge wird euer Glück sein“, sagte Crazy Mama weiter. „Aber nun etwas zu den Ritualen“, lenkte sie das Gespräch zum Glück auf den Punkt, weswegen sie hierher gekommen ist.
Sie erzählte Susi, übermorgen solle in der Gegend eine Hochzeit stattfinden, zu der sie gehen wird, auch um eventuell dem Paar prophezeien zu können. Sie könnte da mitkommen, wenn sie will. Da könne sie ja die Riten, zu denen sie schreiben soll, persönlich beobachten. Das wäre besser, als wenn sie Susi das alles erzählen würde.
Dem stimmte Susi gerne zu.
***
Zwei Tage später stand Crazy Mama wie verabredet vor Susis Tür, um sie zu der Hochzeit abzuholen. Sie müssten ein Stück laufen, Susi solle sich bequemes Schuhwerk anziehen, riet sie ihr. Susi schaute ihre Füße an: barfuß. Sicherheitshalber gehorchte sie jedoch. Sie war schnell fertig, so konnte es gleich losgehen.
Sie liefen einige Kilometer durch den Busch. Für Susi waren das Wege, die sie alleine nie zurück finden würde. Aber für Crazy Mama waren sie sehr bekannt. Nicht lange und sie hörten in der Ferne Trommelwirbel, der immer lauter wurde.
Als sie den Kral erreichten, war die Lautstärke inzwischen so groß geworden, dass man kaum das eigene Wort verstehen konnte. Interessiert schaute Susi zu den Männern, die im Takt der Trommel afrikanische Tänze tanzten. Die meisten Tänzer und Trommler waren nur mit Lendenschurzen bekleidet und bunt bemalt. Sie wollte sich die Sache etwas näher betrachten, doch wurde sie von ihrer Begleiterin zurückgehalten, da seien Frauen unerwünscht, sie dürfte da nicht hin. Es würde Unglück bringen.
Sie führte Susi in eine Hütte am Rand des Krals. Dort kam lautes Stimmengewirr heraus, junge Stimmen, aber auch ältere. Crazy Mama zog den Vorhang beiseite und ließ Susi den Vortritt in die Hütte, ehe sie diese selber betrat.
Als sie eingetreten waren, verstummte das Stimmengewirr. Susi schaute sich um und entdeckte im schummrigen Licht mehrere ältere Frauen, die um eine junge Frau herumstanden. Alle Blicke richteten sich nun aber auf die Ankömmlinge. Sie erkannten Crazy Mama, das Sprechgewirr begann wieder. Sie wurden begrüßt. Susi wurde als ihre Begleitung, auch als total Fremde, sofort in den Trubel aufgenommen.
Crazy Mama erklärte den Frauen in ihrem Kauderwelsch Susis Anliegen. Die Frauen hörten gespannt zu, dann erschallte Gelächter. Sie könnten es sich nicht vorstellen, dass Susi über sie in einer Zeitung berichten werde, wurde ihr danach übersetzt. Sie solle sich aber alles genau anschauen, boten sie ihr lachend an.
Die älteren Frauen bildeten schnell wieder einen Kreis um die junge Frau, die völlig nackt war. Ihr Körper glänzte von Schweiß bedeckt. Könnte das Angstschweiß sein, kam Susi der Gedanke. Die Frauen begannen, die junge Frau zu rasieren. Jedes noch so kleine Härchen wurde entfernt. Sogar das Haupthaar musste dran glauben. Etwas unwillig ließ die junge Frau die Prozedur über sich ergehen. Doch sie wusste, es führte kein Weg an diesem Ritual vorbei, wenn sie verheiratet wird. Danach wurde sie mit Ölen eingerieben, dass die Haut noch mehr glänzte. Ein Lendenschurz wurde noch angelegt und um den Hals Schmuck gehängt. Nun war sie für das nächste Ritual bereit.
Der Türvorhang wurde beiseite geschoben. Herein trat ein alter Schwarzer, der Vater des Bräutigams. Er umrundete die Braut und nickte anerkennend mit dem Kopf. Dann nahm er die Braut an der Hand und führte sie hinaus.
Draußen wurden sie von weiteren Männern und Frauen aus der Familie des Bräutigams erwartet. Auch Mitglieder ihrer Familie standen Spalier, als sie aus der Hütte geführt wurde. Der Vater des Mädchens bespuckte sie sogar mit Milch. Andere wieder bewarfen sie mit Kuhdung oder beschmierten sie damit. Doch die Braut verzog keine Miene, sondern ging mit vor Stolz erhobenen Kopf, ohne sich umzublicken, neben ihrem zukünftigen Schwiegervater aus dem Kral ihrer Familie.
Susi fragte leise Crazy Mama, warum die Braut bespuckt und mit Mist beworfen wurde.
„Das gilt als Test für die Braut, ob sie auch den Anforderungen einer Ehe bestehen wird. Das Bespucken mit Milch bringt Kindersegen, heißt es“, erklärte sie ihr. „Auch darf sich die Braut nicht umdrehen, sonst wird sie zu Stein verwandelt, erzählt eine alte Sage.“
„Das ist ja gruselig“, sagte Susi leise und schüttelte sich insgeheim. Etwas gewöhnungsbedürftig war das schon für sie, aber andere Länder, andere Sitten. So war es nun mal.
Sie folgten dem Tross der Braut in den Kral ihres Bräutigams. Dort war schon alles vorbereitet, auch eine eigene Hütte. Dorthin verzogen sich die Familienmitglieder der Braut, während die Familie des Bräutigams sich im Hof des Krals versammelte.
Der Vater des Bräutigams stand mit der Braut in der Mitte. Sein Sohn, wohl nur wenige Jahre älter als die Braut, trat auf sie zu und reichte ihr die Hand. Sie nahm die dargereichte Hand und er führte sie in die neu gebaute, eigene Hütte. Die Familie verließ diese, während sich einige Mitglieder der Familie des Bräutigams davor versammelten.
Es sei selten, dass der Bräutigam nur wenig älter als die Braut sei, wurde Susi erklärt. „Hier scheint die Liebe im Spiel zu sein“, meinte Crazy Mama leise. „Sonst ist der Mann um vieles älter als die Braut, die oft nicht freiwillig heiratet.“
Die jungen Leute wussten, was nun zu tun ist. In der Hütte war inzwischen alles auf das Kommende vorbereitet. Das Lager wurde mit einem weißen Tuch bedeckt. Die Braut legte sich darauf und harrte der Dinge, die nun folgen sollten.
Stille im Kral, auch Susi gespannt, was nun geschehen soll. Kurz darauf ertönte ein Schrei aus der Hütte. Susi zuckte zusammen.
„Nun sind sie Mann und Frau“, erklärte Crazy Mama lächelnd. „Er hat sie entjungfert.“
Der Vorhang der Hütte wurde wieder geöffnet. Der junge Mann trat heraus, in der Hand das Leinentuch, das nun blutbefleckt ist. Gejohle erschallte, die Menge stürmte in die Hütte, wo noch mehr Geschrei erschallte. Gleich darauf wurde die Braut herausgetragen. In der Mitte des Krals wurde sie herunter gelassen. Frauen mit Krügen voll Wasser kamen aus allen Richtungen und wuschen die junge Frau, die nun mit vor Stolz erhobenen Haupt in der Mitte stand.
Nun erst ging das eigentliche Gelage los. Die Männer versammelten sich um das offene Feuer, über dem schon seit Stunden eine Kuh gegrillt wurde. Die Frauen saßen im Hintergrund unter sich und warteten darauf, dass ihnen von dem Fleisch etwas gereicht wird.
Crazy Mama und Susi saßen in der Runde der Frauen. Auch wenn Susi Gast ist, war es ihr als Frau nicht erlaubt, sich zu den Männern zu gesellen. So musste sie sich wohl oder übel diesem ungeschriebenen Gesetz beugen. Aber auch von hier aus erfuhr sie genug, das sie verarbeiten konnte. Zudem sind Frauen sehr viel redseliger als Männer, die meist doch nur anderes im Kopf haben.
Erst spät am Abend verließ Susi mit Crazy Mama den Kral in Richtung Lodge. Sie ließ die Eindrücke auf sich einwirken und in Gedanken an sich vorbei ziehen. Susi konnte wirklich viele Stichpunkte in ihrem Notizblock aufschreiben, die sie nachher noch verarbeiten würde.
Kurz bevor sie die Lodge erreichten, fragte Susi Crazy Mama noch einmal, ob sie das, was sie ihr letztens prophezeit hat, richtig wäre.
Sie meinte dazu nur, Susi solle einfach dran glauben, dann würde es auch wahr werden. Sie wäre aber wirklich nicht mehr allein, wenn sie nach Hause fahren werde. Bis dahin ist noch eine Woche Zeit, wer weiß, was bis dahin noch geschehen wird. Das Wesentliche, wenn ihr Wunsch Wirklichkeit werden soll, bestimmt.