„Vorgestern ein Haar in der Suppe, gestern der Braten gezuckert anstatt herzhaft gewürzt. Und heute…“, Lord Kingsley schaute seine Gattin Eleonore über den Tisch hinweg erbost an. „… da ist der Pudding versalzen.“ Er schlug mit der Faust auf die Tischplatte. „Gerade mein geliebter Plumpudding!“
Lady Kingsley seufzte nur leise.
„Seit wann ist Mary so nachlässig? Das kenne ich gar nicht von ihr.“
Die Lady wusste seit langem von Marys Handicap. Die alte Dame, die sie wie eine Mutter großgezogen hatte und nun als Köchin im Hause Kingsley ihren Lebensabend verbrachte, sah schon lange Zeit nicht mehr gut. Auch ihr Geschmackssinn ließ zu wünschen übrig. Als Eleonore dies bemerkte, kümmerte sie sich intensiv darum, dass in der Küche kein Malheur passierte. Sie wusste, wie aufgebracht ihr Gatte sein konnte, wenn ihm das Essen nicht schmeckte. Dabei konnte Mary recht gut kochen, was sie die ganzen Jahre Tag für Tag bewies.
In der letzten Zeit fühlte sich Eleonore nicht wohl und hütete sogar das Bett. Was zur Folge hatte, Mary wirtschaftete allein in der Küche.
„Wir sollten uns nach einer Hilfe für Mary umsehen“, gab Eleonore nach langem Nachdenken zu.
Erstaunt blickte der Lord von seinem versalzenen Plumpudding hoch, den er trotz Ekel herunterwürgte. „Das kostet wieder mehr Geld!“, murrte er. „Meinst du, sie ist überfordert?“, fragte er dann.
Eleonore nickte nur. Ungern gab sie zu, dass ihre geliebte Köchin zu alt für Küchenarbeiten wurde und sich lieber zur Ruhe setzen sollte, anstatt in der Küche zu stehen und die Lordschaft zu beköstigen.
„Wie du meinst“, sagte der Lord und rief nach dem Butler, damit dieser Mary herbeiholte.
Wenig später erschien Mary mit hochrotem Kopf. Sie sah und schmeckte zwar nicht mehr so gut, aber die Ohren leisteten ihr immer noch einen guten Dienst.
„Was hast du mir zu sagen?“, schnauzte Kingsley die Köchin an. Die zählte sogleich die Sünden auf, die sie beim Gespräch der Lordschaft erlauscht hatte. „Noch was?“, wollte der Lord wissen. Vorsichtshalber gab Mary alles zu, was in der letzten Zeit in der Küche schiefgelaufen war, bis Lady Eleonore eingriff und dem Ganzen ein Ende setzte, ohne dass es ihr Gatte bemerkte.
„Du wirst eine Hilfe bekommen. Bringe ihr alles bei, was du weißt“, bestimmte Lord Kingsley.
„Aber Sir…“, begann Mary zu stottern. Ängstlich sah sie ihren Dienstherrn an.
„Still Frau!“, schimpfte der. „Es ist beschlossen. Tu, was ich dir sage!“ Damit war für ihn die Unterredung beendet und Mary schlich mit hängenden Schultern zurück in die Küche.
Ein paar Tage später stellte sich eine junge Frau namens Rose vor, die sich auf die Anzeige in der Tageszeitung beworben hatte. Ihre Referenzen waren hervorragend und sie wurde eingestellt. Mary gab ihr Bestes, um ihr alles rund um Küche und Kochen beizubringen. Rose machte sich gut, half Mary wo es ging und schnell hatte sie auch das Wohlwollen der Herrschaft erobert.
Eines Tages jedoch, seine Lordschaft saß beim Dessert…
„Das gibt es wohl doch nicht!“, schimpfte Lord Kingsley aufgebracht und warf die feine Porzellanschüssel samt Plumpudding an die mit zarter Seidentapete bespannte Wand.
„Was erregt dich so ungemein?“, wollte Lady Eleonore wissen.
„Koste mal den Pudding! Er ist…“
„… versalzen“, beendete seine Gattin nach einer Kostprobe den Satz und lachte.
© Milly B. / 08.06.2022