„In dem Labyrinth soll man den Weg zum Lagerfeuer finden“, schimpfte Christel aufgebracht. „Ich frag mich nur, was sich Sabine heute wieder hat einfallen lassen, uns gerade dorthin einzuladen.“ Christel rümpfte die Nase, als sie an die letzte Zusammenkunft dachte, die vollends in die Hose gegangen war.
Sabine, eine ehemalige Pfadfinderin und die Anführerin ihrer Clique, liebte Lagerfeuer. Nichts war für sie schöner, als dort zusammenzusitzen, gemeinsam zu singen und Spaß zu haben. Außerdem fand sie es bombastisch, ihre Mitspielerinnen herauszufordern, so wie heute, wo sie durch das Labyrinth, das sie extra aufgebaut hatte, zu ihr finden sollten.
„Ja, du hast Recht“, erwiderte Ramona. „Sabine fiel nichts anderes ein, als Outdoorkino zu machen. So eine dumme Idee, bei dem Wind damals, in der Nähe des Feuers eine Leinwand aufzustellen. Es wäre wirklich besser gewesen, nur Würstchen zu braten. Und als die Leinwand dann auch noch Feuer fing, blieb uns nichts anderes übrig, als eilig zu löschen. Gut, dass wir noch Lasagne im Tiefkühler hatten. Sonst wären wir alle an diesem Abend hungrig ins Bett gegangen“, echauffierte sich Ramona in Rage.
„Da seid ihr ja endlich“, wurden die beiden freudig von Sabine begrüßt, die sie an ihrer Haustür erwartete.
„Blöde Idee von dir mit dem Labyrinth“, knurrte Ramona ihr entgegen. Sie grollte ihr immer noch ein wenig über den verdorbenen Abend.
„Nun stell dich nicht so an“, erwiderte Sabine und bat die Ankömmlinge herein. Dieses Mal hatte sie ihren Computer eingeschaltet. Zum Glück gab es kein Lagerfeuer, das allen gefährlich werden könnte. Dafür prasselte im Kamin ein Feuerchen.
„Was gibt es denn so Dringendes, dass wir kommen mussten“, fragte Christel, die neugierig auf den Monitor starrte.
„Setzt euch erst einmal und trinkt was. Wir haben eine Mission“, tat Sabine geheimnisvoll. Sie ging zum Kühlschrank und holte den obligatorischen Prosecco heraus.
„Heute gibt es aber keine Lasagne“, frotzelte Ramona, bezugnehmend auf das letzte Treffen.
„Nein, heute nicht“, antwortete Sabine und goss den Prosecco aus. Genüsslich schlürfend sahen sich die Freundinnen an.
„Nun sag schon und spanne uns nicht so auf die Folter“, sagte Christel und blickte wieder zum Monitor, auf dem ein Mann und ein Huhn abgebildet waren.
„Nun gut“, gab Sabine nach. „Fange ich mal von vorne an. Das ist Bauer Langhans und das Huhn neben ihm ist seine beste Legehenne Laura.“
„Was hat das mit uns zu tun?“, wollten Christel und Ramona wissen.
„Das ist unsere nächste Mission“, gab Sabine zu. „Laura wurde letzte Nacht gestohlen. Und da sie Langhansens beste Henne ist, steht ihm ein enormer Verlust bevor, wenn wir sie nicht schnellstens finden. Außerdem hängt er sehr an ihr.“ Sabine schaute ihre Freundinnen an.
„Ja… weiter bitte“, drängelte Ramona, die nun vor Neugier beinahe platzte. Sie ahnte, da war noch mehr als das geklaute Huhn.
„Du wirst es kaum glauben“, sprach Sabine weiter. „Die Frau des Bauern ist schon sehr besorgt um ihn. Daher beauftragte sie uns, die Angelegenheit zu klären. Es geht auch um seine Gesundheit.“ Sabine machte eine kurze Pause und blickten ihre Gefährtinnen in die Augen. „Es ist eine sehr ernste Sache. Seit Laura verschwunden ist, ist Langhans nicht mehr er selbst. Er ist in Lethargie versunken und isst nur noch Lakritze.“
„Na dann wollen wir mal hoffen, dass Legehenne Laura noch nicht über einem Lagerfeuer gegrillt wurde und es dazu auch noch Lasagne gibt“, sprach Christel das aus, was den anderen bereits durch den Kopf ging.
© Milly B. / 04.11.2022