Barachiel warf seinen Rucksack in eine Ecke der Wolke, die er gemeinsam mit Gabriel bewohnte. Auch Gabriel, der seine Arbeit beendet hatte, kam dazu.
„Endlich ist dieses Weihnachten vorbei“, rief Gabriel Barachiel freudig zu. Er fläzte sich auf sein himmlisch weiches Wolkenbett und streckte wohlig die Beine aus. „Jetzt nur noch faulenzen“, seufzte er erleichtert und rieb sich die müden Glieder. Ihm schmerzte nach der anstrengenden Arbeit jeder Knochen im Leib.
„Du wirst doch wohl nicht auf der faulen Haut herumliegen wollen bis der Osterhase kommt. Du weißt doch, unser Oberboss mag es nicht, wenn wir Müßiggang üben“, empörte sich sein geflügelter Freund, der wie immer voller Tatendrang war. Trotz der vergangenen aufregenden Weihnachtstage und Unmengen von Arbeit strotzte er vor Energie.
Gabriel grinste neckisch. „Natürlich! Am besten in der Südsee auf einer einsamen Insel. Dort sich den warmen Südwind um die Nase wehen lassen, oder auf der höchsten Welle surfen.“ Sehnsüchtig schaute er in die Ferne und stellte sich vor, dort könne er bereits die einsame Insel sehen.
„Aber du bist doch gar kein Surfer!“ Barachiel tat erstaunt. Er hatte nicht einmal geahnt, dass Gabriel sich für das Surfen interessierte, geschweige denn, dass er es konnte.
„Ist doch egal, wenn ich es nicht beherrsche! Das kann man lernen“, erklärte Gabriel. „So schwer wird das schon nicht sein.“
„Alleine auf so einer Südseeinsel fernab von den Freunden kann bestimmt sehr langweilig werden“, stellte Barachiel nüchtern fest. Er konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, wochenlang nur allein auf einer einsamen Insel zu verbringen, abzuhängen und untätig zu bleiben.
„Dann kommst du eben einfach mit. Zu zweit macht das Surfen garantiert sehr viel mehr Spaß als allein. Stell dir vor, riesige Wellen und wir mittendrin“, sagte Gabriel freudig erregt. „Wir könnten auch noch andere von den Engeln mitnehmen und dort eine richtige Fete feiern. Es werden sich ganz bestimmt mehrere finden, die sich mal anderen Wind um die Nase wehen lassen wollen. Was meinst du?“ Gabriel schaute Barachiel schmachtend an. Eine ausgelassene Feier hatten sie schon lange nicht mehr. Hier im Himmel machte ihnen der Boss meist einen Strich durch die Rechnung. Auf der Südseeinsel wären sie aus seinem Machtbereich und könnten tun und lassen was sie wollten. „Aber nicht zu viele“, hing er vorsichtshalber noch hintenan. Er kannte Barachiel gut genug, um zu wissen, dass dieser gerne viele, am liebsten all seine Freunde auf einmal um sich hatte.
Angestrengt überlegte Barachiel eine Weile, nickte dann aber zustimmend. Eigentlich könnte er auch ein paar ruhige Tage gebrauchen. Warum die nicht mit Gabriel verbringen.
Als hätten sie einen Komplott geahnt, schwebten die Engel Michael, Rafael, Uriel und Jeremiel herbei. „Was tut ihr so geheimnisvoll?“, flöteten die vier wie aus einem Munde. Aufgeregt flatterten sie mit ihren Flügelchen.
„Gabriel will in der Südsee Urlaub machen“, platzte Barachiel die Neuigkeit heraus.
„Ich komme mit“, rief Michael erfreut. Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er zu seiner Wolke, um seinen Rucksack zu packen.
„Warte auf mich, ich will auch“, schrie Rafael ihm aufgeregt nach und flog dem Kameraden hinterher.
Nur Uriel und Jeremiel überlegten. „Meinst du, wir könnten auch mitkommen“, fragten sie ganz schüchtern. Das Rot ihrer Apfelbäckchen wurde noch dunkler.
„Das hast du nun davon!“, schimpfte Gabriel mit seinem Wolkenfreund Barachiel. „Jetzt sind wir schon zu sechst. Aus und vorbei ist es mit der Ruhe und der Erholung. Schreie nur noch mehr herum. Dann haben wir gleich alle Engel am Hals!“
„Krieg dich wieder ein“, konterte Barachiel charmant und klimperte verzückt mit seinen langen Wimpern. „Es macht sehr viel mehr Spaß, wenn wir so viele sind.“ Er überlegte kurz, dann feixte er verschmitzt. „Denk doch nach! Wir könnten auf der Insel auch deine geile Party steigen lassen, vielleicht finden wir dort sogar noch ein paar hübsche Mädchen.“
Uriel und Jeremiel horchten auf. „Hübsche Mädchen? Da bekommen wir garantiert Schimpfe von unserem Chef. Salami und Bananen wären uns lieber.“ Sie mochten zwar Mädchen, aber kein Gezeter.
„Gibt es auch Kekse?“, wollte Uriel nach einer Weile noch wissen. Er fuhr ab auf Kekse wie kein anderer. Dafür verriet er sein Vaterland.
„Ich mag eigentlich auch lieber Kekse“, gab Barachiel verschämt zu. „Hübsche Mädchen allerdings ebenfalls.“
„Meinetwegen auch Kekse“, erwiderte Gabriel genervt. Er sah ein, es brachte nichts mehr, sich gegen seine Engelsfreunde zu wehren. Hatten sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, waren sie davon nicht mehr abzubringen. So musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen und ihnen erlauben, mit ihm in den Urlaub zu fahren. „Dafür müssen Mädchen unbedingt dabei sein“, lenkte er noch ein, worauf die anderen notgedrungen zustimmten.
„Au ja, wie fein“, stieß Uriel aus und hüpfte freudestrahlend auf einem Bein von Wolke zu Wolke. „Und nach der Fete gehen wir alle in der Südsee baden“, rief er den anderen von Weitem zu.
„Ich habe aber gar keinen Badeanzug“, sträubte sich Gabriel dagegen. Vom Baden ohne Badeanzug hielt er nämlich gar nichts.
„Macht nichts. Wir anderen haben auch keine Badeanzüge. Nur unsere Engelsflatterhemden. Da gehen wir halt einfach alle nackig ins Wasser“, entgegnete Uriel schmunzelnd und hielt sich vor Lachen den Bauch. Ausgelassen schwenkte er dabei seinen Rucksack hin und her. Dann rief er nach Jeremiel, der ihm schnellstens zu ihrer gemeinsamen Wolke folgte. Sie mussten geschwind packen, ehe es sich Engel Gabriel noch anders überlegte.
Gabriel jedoch gab endgültig auf und beugte sich der Überzahl.
© Milly B. / 03.01.2019