Auf Medrin stellte man sich die drei wesentlichen kosmischen Grundfragen „Woher, warum und wohin?“ schon lange nicht mehr. Man lebte und überlebte und wenn man der nächsten Generation nach einem etwas mehr hinterlassen konnte, als man selbst zu Beginn besaß, war das schon eine große Sache. Offiziell hieß Medrin, Nunteus, das hatte irgendein Beamtenfutzi des Sphärenhauptamtes nach der Übernahme durch die Kosmische Konstellation mal so festgelegt. Dabei war Medrin viel passender, da es in einem Wort die Welt sehr gut beschrieb. Lila, das war in etwa die Übersetzung in die allgemeine Sprache. Denn lila, so sah das wunderschön glänzende Medrin aus dem Kosmos aus. Bedingt durch einige Mineralien, die ständig aus den großen und zerklüfteten Randwüsten über die ganze Hemisphäre des Himmelsdoms geweht wurden. Außerdem gab es eine besondere Lichtkonstellation, die den Farbeffekt noch verstärkte. Von außen betrachtet war Medrin, also Nunteus eine sonderbar schöne Paradieswelt, auf der Leben möglich war, deshalb wurde sie auch im großen Aufbruch, ganz zum Anfang des Kosmischen Zeitalters mit hoher Priorität besiedelt. Die ersten Siedler hatten bald die nötigen Techniken gemeistert, um Medrin fruchtbar und urbar zu machen. Sogar die ersten Megatech-Städte entstanden entlang der zwei klimatisch gut gelegenen Küstenstreifen. Die großen Industrieanlagen wurden aus technischen-, sowie aus Sicherheitsgründen mehr ins Landesinnere hineingebaut. Direkt an das zentrale Dravmarev Gebirge. Um die Megatech-Städte mit ihren Millionen Arbeitern mit den weitläufigen Industrieanlagen im Inneren des Kontinents zu verbinden, wurden schnelle Transitschwebebahnen auf Magnetschienen installiert. Seit Tausenden Jahren leisten sie ihren Dienst, werden gewartet und verbessert, aber nicht ausgetauscht. Sie haben sich als sicherste Fortbewegungsmethode durch die tödlichen Wüsten etabliert. Es spricht auch nichts dagegen, dass sie noch Tausende weitere Jahre im Einsatz bleiben. So lange jedenfalls, wie es sich lohnt Arbeitskräfte hin und her zu transportieren.
Täglich wurden also hundert Millionen Bewohner von der Küste zur Arbeit und wieder zurücktransportiert. Als dann noch das lilafarbene Mineral gewinnbringend aus der Luft gefiltert und für industrielle Zwecke nutzbar gemacht werden konnte, stand einer rosigen Zukunft Medrins nichts mehr im Wege. Aber so schön lila, wie zu Beginn würde es nie wieder leuchten. Dunkle Wolken hingen mittlerweile überall über Medrin und verdunkelten erheblich die Sicht. Medrin war eine blühende Kolonie gewesen. Reich und selbstständig. Ein Hort vieler Kulturen und Völker. Es gab Konflikte. Die gab es immer, wenn unterschiedliche Völker, dazu noch andere Rassen aufeinandertrafen. Aber nichts davon hätte ausgereicht, sich einem Molochreich, wie der Kosmischen Konstellation zu unterwerfen. Alle Werbungsversuche durch Diplomaten verschiedener Spezies, all die finanziellen Hilfen, die winkten und all der Schutz, der natürlich auch mit einem so gewaltigen Kosmischen Reich zusammenhingen, reichten den damaligen Siedlern trotzdem nicht aus. Diese Siedler waren noch von einem anderen Schlag. Standfest, stoisch und stolz. Ein militärischer Einmarsch durch Konstellationstruppen drohte allerdings nicht. Das hätte sich nicht gelohnt. Die Verluste wären auch erheblich gewesen. Ein anderer Weg musste also her. Ein geheimer, hinterhältiger Weg.
Kurze Zeit später entstand dann ein nicht unerheblicher Aufstand der Insektoiden und Xenoloiden Völker, die etwa die Hälfte der gesamten Einwohnerzahl Medrins stellten. Der Bürgerkrieg drohte all das zu zerstören, was die Siedler über hunderte Jahre aufgebaut hatten. Aus Mangel an Alternativen baten die Siedlungsräte die Kosmische Konstellation um Hilfe. Diese wurde unverzüglich, unbürokratisch und gerne gewährt. Konstellationstruppen marschierten umgehend auf Medrin ein und besetzten Kerngebiete und Schlüsselpositionen, als hätten sie nur darauf gewartet. Der Bürgerkrieg wurde beendet, die Insektoiden unter Kontrolle gebracht und die Xenoloiden wurden kurzerhand von Medrin verbannt. Viele Siedler waren froh und angetan von der schnellen Lösung, die die Kosmische Konstellation mit sich brachte. Also bildete sich eine Mehrheit im Rat, die um eine stufenweise Aufnahme in die Konstellation verhandelte. Es kam, wie es kommen musste. Freiheit wurde gegen Sicherheit getauscht. Und nur die Wenigsten fragten skeptisch nach, wie der Bürgerkrieg überhaupt entstehen konnte, dazu noch in solch zeitlicher Nähe zu den vergeblichen Werbungsversuchen etlicher Konstellations-Diplomaten.
Die Minderheit im Siedlerrat, die der ganzen Sache skeptisch gegenüberstand, beschloss ein Gremium entscheidender Persönlichkeiten zu bilden, dass trotz der Übernahme durch die Konstellation, dafür sorgen wollte, dass die ursprünglichen Werte und Ziele und auch das zukünftige Wohlergehen der Siedler Medrins gesichert blieben. Der neu ernannte Gouverneur, ein altes Siedlungsratsmitglied war damit einverstanden. Die wertvollen Rohstoffe Medrins wanderten fortan in den Rachen des größten, den Kosmos umspannenden Vielvölkerreiches, dass sich je gebildet hatte. Dennoch gab es weiterhin mehr Freiheit für alle Einwohner Medrins, als andernorts üblich. Auch die Sklaverei konnte erfolgreich ferngehalten werden. Dafür sorgte das Gremium der Siedler, deren Mitglieder sich nur noch Siedler nannten.
Allerdings ereignete sich etwas so Unerwartetes, dass niemand es kommen sah. Die Machtübernahme durch die übernatürlich begabten Metawesen wurde Medrin und allen anderen Welten der Konstellation zum Verhängnis. Sehr schnell wurden neue Machtstrukturen etabliert, um die neuen Verhältnisse möglichst zeitnah zu klären. Der vorherige Gouverneur, der von den Siedlern abgesegnet wurde, wurde kurzerhand durch einen Regimetreuen Emporkömmling ausgetauscht und in Superior umbenannt. Vorbei war die relative Selbstbestimmung. Die Zentralisierung aller Dinge wurde stattdessen eilig vorangetrieben. Die Sektoradministration übernahm fortan die Ernennung und Absetzung der verschiedenen Superioris. Somit war Medrin der anfänglichen Wahlfreiheit und der guten Bedingungen der Arbeiter, samt seiner verheißungsvollen Zukunft der letzten Jahrhunderte prompt beraubt worden. Alle gewinnbringenden Unternehmungen und Industriezweige wurden anteilig der Kosmischen Konstellation einverleibt und ebenfalls zentralisiert. Der Reichtum war weg, der Wohlstand folgte alsbald und der klägliche Rest Freiheit verschwand auch von Generation zu Generation. Natürlich gab es hier und da kleine Feuer des Widerstands und des Aufbäumens, doch die wurden brutal und äußerst medienwirksam niedergeschlagen. Das Gremium der Siedler wurde offiziell für Anathema erklärt und deren Mitglieder wurden größtenteils getötet. Einige konnten entkommen und gingen in den Untergrund.
Die allgemein einsetzende Lethargie der überwiegend armen Bevölkerung führte allerdings dazu, dass schon innerhalb von wenigen Generationen der Name Medrin und alles, wofür er einst stand in Vergessenheit geriet. Nur noch eine kleine Gruppe von sogenannten Rebellen halten den Namen Medrin und die anfänglichen Hoffnungen der ersten Siedler weiter hoch. Mal im Geheimen, mal öffentlich, mal durch zivilen Ungehorsam und mittlerweile aus purer Verzweiflung sogar durch Terrorismus. Weltweit sind sie als Siedler Medrins bekannt, kurz die Siedler.