Du bist Elred Aramys Nuvian.
Du blinzelst mehrmals und verziehst das Gesicht in dem Versuch, deine Sicht zu klären. Irgendwie ist die ganze Welt verschwommen und wackelig geworden. Du musst erneut aufstoßen und hörst ein dreckiges Kichern von Arthrax.
Durch den Nebel, der deinen Geist umhüllt, dämmert dir, dass du zu viel getrunken hast.
Nicht gut.
Du versuchst, den Schwindel mit reiner Willenskraft zu vertreiben. Mühsam und konzentriert öffnest du den Mund und bewegst deine Zunge. War die schon immer so … labberig und beweglich und irgendwie überall in deinem Mund zugleich?
„Eeess is schooo sss…bäht!“ Ein Teil von dir hört deine Stimme und verzieht innerlich das Gesicht. „Sssseit fürsss … Bätt.“
Du versuchst, aufzustehen. Die Tischplatte schwankt so heftig wie das Deck des Schiffes damals im Graumeer. Es war ein Sturm und ihr musstet auf dem schnellsten Weg von Nordstein nach Tulpenhügel. Allyster kam vor lauter Seekrankheit gar nicht mehr von der Reling fort.
Dich überkommt eine unbändige Liebe zu dieser verrückten Truppe.
„Ihr sseid … die Bääässen …“, lallt dein Mund. Der nüchterne Teil von dir stöhnt gequält auf. „Mi-mit euch … binnich wirklich … gansss …“, stammelt dein trunkenes Ich unaufhaltsam weiter.
„Ich fass es nich!“, staunt Arthrax. „Gleich heult er!“
„Jesss hör dochma sssuu!“ Du willst auf den Tisch hauen, aber verfehlst die sich wiegende Platte. Im letzten Moment kannst du deine rutschenden Finger wenigstens an die Holzkante heften und dich darauf stützen. Auf der anderen Seite bringst du mühsam die Hand nach vorne. Leicht schielend starrst du auf deine Finger – seit wann hast du zehn an jeder Hand? – und sortierst umständlich, bis du den Zeigefinger gereckt hast. Du wedelst damit vor Arthrax‘ Gesichtern herum. „Ich willeuch wasss erssählen … was wichtiges … ich … ich …“
Der Tisch kippt unter dir weg. Ein Stuhl haut dir in die Kniekehle. Die Tavernendecke rollt über dich und dann springt dir der Boden in den Rücken.
Brennas Gelächter hallt durch den Schankraum.
Dein nüchternes Ich, das eben den Kopf in den Händen vergraben wollte, zuckt zusammen.
Brenna lacht. Über dich.
Du hast dich blamiert!
Vor Brenna!
Und wer ist daran schuld? Genau!
Du wälzt dich auf die Seite.
„Eyy, willsu Stress?“ Drohend ballst du zwei deiner vier Hände zu Fäusten und wirfst den Bodendielen einen finsteren Blick zu. Dir einfach so in den Rücken zu fallen, also wirklich! Denen wirst du es zeigen!
Du schlägst zu, aber der Boden weicht aus und klatscht dir mit voller Breitseite ins Gesicht. Plötzlich ist dir kotzübel. In deinen Ohren klingelt es und du kannst nicht einmal mehr das Gelächter vernehmen.
Taub und nahezu blind siehst du dich um. Brenna liegt unter dem Tisch. Dann wurde sie also auch angegriffen? Du musst ihr helfen!
Starke Arme packen dich unter den Achseln und heben dich von deinem Gegner fort.
„Komm, Junge, du verträgst ja gar nichts.“
„Arr … Aaarrssss … Assack“, lallst du. „Aaaa…ssaks … Astakss …“
„Ja, ich bin es.“ Der Krieger klopft dir auf die Schulter. „Sooo, jetzt immer einen Fuß vor den anderen. Da, zur Treppe …“
Du musst kichern. „Du klingsss … lussig …“ Tatsächlich ist Arthrax‘ Stimme merkwürdig verdreht.
Plötzlich kippt der Boden auf dich zu. Dein Mund klappt auf und ein Strahl fließt heraus.
„Hey! Vorsichtig!“ Ein Schuh, der verdächtig nach Arthrax‘ Stiefelspitze aussieht, springt aus deinem Sichtfeld, ehe ein bräunlicher Kotzfleck sich auf den Dielen ausbreitet.
Ha! Jetzt hast du es dem Boden gezeigt! Ein triumphierendes Lächeln kriecht über dein Gesicht.
„Allyster!“, ruft Arthrax klagend. „Hilf mir doch mal!“
Seine Stimme ist etwas deutlicher geworden. Offenbar lässt der Effekt des Alkohols nach.
„Auf keinen Fall!“, antwortet der Magier. „Jetzt siehst du mal, was wir immer erdulden müssen, wenn du und Brenna euch besauft!“
Du stößt Arthrax‘ Arm weg. „Ich kann lauf’n!“
Du machst zwei Schritte. Die Treppe stürzt auf dich zu, ehe ein scharfer Ruck an deinem Hemd dich bremst.
„Immer schön langsam“, knurrt Arthrax und richtet dich wieder auf. „Einen Fuß vor den anderen. Nein, höher, Elred. Höher.“ Kurze Pause. „Das ist eine Stufe.“
°°°
Als du wieder zu dir kommst, brennt dir der Schädel. Als würde eine Armee winziger Wesen in deiner Stirn Erze abbauen. Du blinzelst und das bestialischste Licht, das du je erlebt hast, bohrt sich durch deine Augäpfel, spießt dein Hirn auf und tritt vermutlich am Hinterkopf wieder aus. Du stöhnst gequält und zuckst im nächsten Moment zusammen.
Was ist das in deinem Mund?! Du willst es ausspucken, aber es hängt fest. Genau da, wo deine Zunge war, aber deutlich pelziger und es schmeckt nach Erbrochenem! Deine Versuche, es loszuwerden, gibst du aber schnell wieder auf. Jede Bewegung fühlt sich an, als würde dein Körper in Flammen stehen und dein Magen protestiert schon wieder.
„Raus aus den Federn, Prinzessin“, brüllt Arthrax in einer Lautstärke wie eine niederwalzende Lawine. „Es ist schon Nachmittag!“
„Neeee“, wimmerst du, tastet nach dem Kissen und ziehst es über deinen Kopf.
Mittag?, wundert sich ein Teil von dir. Die Sonne scheint doch mit voller Kraft ins Zimmer, und ihre Strahlen dringen auf der Ostseite nur morgens durch die geschlossenen Holzläden …
„Komm schon, Elred!“ Unbarmherzig reißt Arthrax dir das Kissen weg. „Wir bekommen heute hohen Besuch.“
Ach verdammt …
Du wälzt dich aus dem Bett und würgst. Arthrax schiebt dir mit dem Fuß einen Eimer vor die Nase, aber du kannst deinen Mageninhalt bei dir behalten.
„Ich sterbe …“, stöhnst du.
„Jepp“, sagt Arthrax. „Nicht mal ihr Spitzohren seid davor sicher.“
Du wimmerst leise.
„Einfach tief atmen und keine hastigen Bewegungen“, rät Arthrax dir. „Und am besten nicht der königlichen Hoheit auf die Stiefel kotzen.“ Er scheint kurz zu überlegen. „Ja, das ist eigentlich alles, was du wissen musst. Bist du dann so weit?“
Du atmest tief durch und tatsächlich weicht deine Übelkeit etwas. Langsam steht du auf und nickst dann zuversichtlich. „In Ordnung, das schaffe ich.“
Bis zu eurem Treffen mit der Krone schaffst du es, in deine Kleider zu klettern und dein Gesicht zu waschen, bis du tatsächlich vorzeigbar aussiehst. Du schlägst dich ganz gut mit deinem ersten Kater, wie du findest. Aber als plötzlich klar wird, dass ihr wieder in die Jenseitslande müsst, dreht sich dir doch der Magen um.
Zum Glück bemerkt niemand dein Würgen, denn Aji zieht mit seiner Antwort alle Aufmerksamkeit auf sich …
Er sagt:
- „Wir werden es schon schaffen!“ Lies weiter bei Kapitel 2.