Ich laufe und laufe immer weiter, getrieben von meiner Wut und meiner Rachelust. Immer schneller und schneller laufe ich, meine Glieder werden beweglicher, dehnen sich aus, meine Sprunggelenke werden befähigt, immer grössere Sätze zu machen und schliesslich bewege ich mich auf allen vieren vorwärts. Auf der einsamen Landstrasse vor mir, fährt um diese Zeit kein einziges Auto mehr. Während ich laufe und laufe, mich immer mehr verwandle, öffnet sich vor mir erneut ein, aus wirbelnden Strudeln bestehendes, Portal. Und… ich springe, nun in der Gestalt eines mächtigen Tigers, durch dieses hindurch!
In einem kleinen Wäldchen, nahe meines einstigen Heimatortes, finde ich mich wieder. Ich verlasse den wirbelnden Strudel, mit aussergewöhnlicher Behändigkeit. Mein Körper ist nun wunderbar geschmeidig und wenn auch mein Verstand irgendwie umwölkt ist, nehme ich doch so manch anderes viele intensiver wahr. Mein Geruchssinn ist sehr ausgeprägt, ich rieche alle Düfte um mich herum. Der Geruch der Wald- Erde, die verrottenden Blätter, die ihn bedecken, Bäume, Blüten, Beeren und so vieles mehr. Eine Symphonie von Düften, die ich gierig in mich aufsauge. Sogar einige Wildtiere rieche ich im Dickicht des kleinen Waldes. Dort einen Hasen, dort einen Fuchs und einen Moment lang, sogar ein Reh. Auch mein Gehör ist viel besser und meine Augen sowieso. Ich finde mich deshalb problemlos in der, beinahe undurchdringlichen, Finsternis der Baumschatten zurecht. Meine Schritte sind federnd und voller Eleganz. Es ist wundervoll, ein Tiger zu sein! Vage erinnere ich mich an die Geschichten, über die Göttin Durga. Ihr Reittier war auch ein Tiger gewesen. Nur dass ich jetzt selbst ein Tiger bin. Eine unglaubliche Sache und doch… kommt sie mir in meiner momentanen Verfassung erstaunlich natürlich vor. Ich denke nicht darüber nach, warum ich ein Tiger bin, ich fühle mich einfach als Tiger. Es ist… wie ein Teil von mir, den ich im Augenblick vollkommen annehme, ja sogar liebe.
Doch dann erinnere ich mich wieder an den Grund meines Hierseins. Ich werde mir Amir vorknöpfen. Nie wieder wird er Claudia, oder irgendjemandem anderen, Schaden zufügen. Ich stosse ein wild entschlossenes Brüllen aus und laufe in weiten Sprüngen aus dem Wald hinaus herüber zur Strasse, welche in meine alte Heimatstadt führt…
13. Kapitel
Wieder zurück
Als ich näher an den Stadtrand komme, verwandle ich mich wieder in einen Menschen. Das passiert nur durch meine Gedanken und es fasziniert mich unglaublich. Ich sehe wieder genauso aus, wie ich meine Wohnung in Blossom City verlassen habe. Wie erwartet ist um diese Zeit (es ist nun 2.30 Uhr in der Früh) kein Mensch mehr unterwegs. Das kommt mir zu Gute. Mein Verstand ist nun wieder scharf, dafür sind die anderen Sinne wieder etwas mehr in den Hintergrund gerückt.
Bald komme ich in der kleinen Gasse an, wo Amir wohnt. Alles liegt im Dunkel, vermutlich schläft der Mistkerl jetzt auch. In mir erwacht wieder dieser grenzenlose Zorn, diese wie Flammen lodernde, Rachsucht. Ich schätze die Höhe zu Amirs Appartement, in dem auch ich einst gelebt habe, ab. Es liegt im dritten Stock. Ich gehe in die Hocke und dann… springe ich, als ob ich Stahlfedern an meinen Füssen hätte, hinauf auf den Balkon. Kaum ein Geräusch verursache ich dabei. Ich bin nun vollkommen fokussiert auf mein Ziel, dass sich gleich hinter dieser Balkontür befindet. In der gläsernen, leicht spiegelnden Oberfläche selbiger, spiegeln sich meine Augen, noch immer tanzen Funken darin. Hätte mich jemand so gesehen, ihm wäre das sicher sehr unheimlich gewesen. Ich prüfe erst, ob die Balkontür offen ist und tatsächlich, ich habe Glück, Amir hat sie nicht abgeschlossen. Ich stosse sie leise auf und trete in den, mir doch so bekannten, Wohnraum. Der Wohnraum in dem ich einige der schrecklichsten Stunden meines Lebens erlebt habe.
Ich keuche auf, fühle mich auf einmal wieder unglaublich schwach. Ich sehe jenen Moment vor mir, als ich meine letzten Kleider hier abholen wollte, nachdem ich mich von Amir getrennt hatte. Doch dieser wollte mich natürlich keinesfalls ziehen lassen. Er schlug mich mehrmals und nahm mich dann grob und ohne jegliches Mitgefühl auf dem Sofa. Ich sehe die Szene auf einmal wieder vor mir und das Atmen fällt mir sehr schwer. Auch andere Erinnerungen, schleichen sich auf einmal wieder in mein Bewusstsein. So viel Leid, so viel Schmerz, ist mit diesem Ort verbunden. In meine Hilflosigkeit und Ohnmacht, sage ich das Durga Mantra auf:
Durgayai durga- parayai
Sarayai, sarva- karinyai
Kyhyatayai tatha eva krshnayai
Dhumrayai sa- tatam namah !
Es erscheint mir im Augenblick das einzige was mir helfen kann, um mich wieder mit meiner Kraft zu verbinden, die auf einmal zu schwinden scheint.
Ansonsten sage ich es auf, um die Kräfte der Rachegöttin in mir zu zügeln. Nun aber sage ich es auf, damit ich nicht auf einmal wieder die arme, hilflose Milena werde. Das darf jetzt nicht passieren, nicht jetzt, da ich mich Amir endlich stellen will. Und tatsächlich, die mächtigen Worte helfen mir. Die Schwäche schwindet und wird wieder ersetzt durch die Glut der Wut und der Überzeugung, dass ich mich endlich meinen schlimmsten Dämonen stellen muss. Ich balle meine Fäuste und gehe zur Schlafzimmertür meines einstigen Peinigers. Mit einem heftigen Fusstritt, trete ich die Tür selbiger ein und zünde das Licht an. Amir schreit voller Schrecken auf und starrt mich schlaftrunken und mit schockgeweiteten Augen an. Wie als Schutz hat er die Decke bis zum Hals hochgezogen. Er schläft meistens nackt und zum Glück nur vage, erinnere ich mich daran, dass er das auch von mir einst verlangt hatte. Damit er, wenn ihm in der Nacht danach war, stets ungehindert über mich herfallen konnte. Das hat er auch öfters getan und das war immer schrecklich für mich. Dafür wird er nun auch büssen. Er wird für alles büssen! Dafür würde ich sorgen! Denn ich bin jetzt die Rachegöttin!