Am Ende der Gasse war nichts außer einem grauen Hinterhof mit ein paar Mülltonnen und abgestellten Fahrrädern. Tariq und Dallas hechteten in den Eingang einer Hintertür, dessen Schatten ihnen etwas Schutz bieten würde, vielleicht lange genug, bis Dugan kam. Der Rothaarige war so sehr außer Atem, dass Tariq ihm direkt die Hand vor den Mund hielt, als die vier Typen ebenfalls die Sackgasse erreicht hatten.
„Scheiße, ey, wo sind die Schwuchteln?“, fluchte einer der Männer. Hackfresse hatte Dugan ihn genannt, der mit dem Schnauzer, offenbar sowas wie der Anführer.
„Kommt raus und kämpft wie Kerle, ihr Messdiener!“ Der mit den Cowboystiefeln trat direkt frustriert an eine der Mülltonnen, die scheppernd umfiel.
Dallas und Tariq hielten sich noch immer im Schatten versteckt, aber das würden die Typen bald herausfinden. Sie begannen allen Ernstes mit einer halbwegs koordinierten Suche, indem sie sich aufteilten und zwei von ihnen von beiden Seiten um die Mülltonnen herumgingen, während die anderen zwei den Rückweg versperrten. Dallas versuchte inzwischen zu schätzen, wie viel Zeit vergangen war und ob Dugan bereits auf dem Weg sei. Mit Glück.
„Jetzt kommt schon raus! Wer mir den Schwanz lutscht, der darf als erster gehen!“ Wieder kam das von Hackfresse.
Dallas ballte instinktiv die Faust. Was waren das für Arschlöcher, die sich mit Gewalt holten, was sie angeblich so sehr verabscheuten, dass sie dafür vor Totschlag nicht zurückschreckten?! Dallas wurde direkt schlecht bei dem Gedanken. Wo blieb Dugan? Mit einem Mal blickte der mit den Ringen direkt zu ihnen her. Im Schatten konnte er sie nicht sehen, aber er schien zu begreifen, dass sie nur dort sein konnte. Er grinste gefährlich dämlich und deutete mit dem Kopf in ihre Richtung.
„Ihr Schwuchteln haltet euch wohl für besonders schlau…“, kam es von dem, der noch nichts gesagt hatte.
Dallas hielt es jetzt für das Beste, vorzutreten, bevor sie erkannten, dass Tariq nicht der Mann aus dem Club war. „Bleib cool“, flüsterte er zu Tariq und tat es. Mit nur einem einzigen Schritt zeigte er sich. Der Anführer von diesen Widerlingen leckte sich direkt über die Lippen. Was für Arschkekse!
„Was wollt ihr von uns? Verpisst euch!“
Die Männer lachten. Sie waren sich ihrer Sache sicher.
„Du bist witzig, Roter. Mit dir kann man offensichtlich Spaß haben, nicht wahr, Jungs?“, Hackfresse sprach zu den anderen. „Wie heißt es doch so schön? Rostiges Dach hat `nen feuchten Keller!“
Oh fuck! Als wäre das der Witz des Tages, lachten die Typen jetzt noch mehr. Dallas musste nicht zum ersten Mal widerwärtige, primitive Beschimpfungen ertragen, aber das hier war mehr als das. Das wurde bedrohlich in mehr als einer Hinsicht. Die Männer bildeten einen Halbkreis und kamen näher.
„Warum besorgt ihr es euch nicht einfach selbst oder reihum und lasst uns in Ruhe?!“ Dallas hoffte, noch ein wenig auf Zeit spielen zu können. Wo blieb Dugan?
„Na, weil du und dein geiler Stecher in Gelb es doch viel besser können!“ Hackfresse gab ein Zeichen, auf das der mit den Cowboystiefeln und der Ringträger jetzt Tariq hervorzerrten.
„Verfluchte Scheiße, wo kommt der Halbaffe her?“, rief Hackfresse.
Tariq versuchte sich los zu winden und trat dem Ringträger ans Schienbein. „Das geht euch gar nichts an, ihr homophoben, rassistischen Arschgesichter!“
„Hohoho, jetzt kriegen wir aber richtig Schiss, was, Jungs?“
Wieder lachten sie und nun trat einer von ihnen Dallas von hinten in die Kniekehlen, sodass er zu Boden ging. Er ächzte, mehr vor Schreck als vor Schmerz. In dem Moment ertönte plötzlich zwischen den Häusern, die hierher führten das laute, durchdringende Geheul des Wolfes. Endlich!
„Was war das?“, kam es vom Cowboy.
„Irgendein Köter!“, meinte Hackfresse.
Wieder das Geheul, lauter und es kam schnell näher.
„Das klingt nicht nach `nem Hund!?“
„Das ist auch kein Hund, ihr Wichser!“, brachte Dallas heraus. „Ihr könnt ja nochmal raten. Nur so als Tipp: es ist größer und tödlicher!“
Völlig unerwartet trat Hackfresse ihm in den Magen, sodass Dallas die Luft zum Aufschrei wegblieb und er sich die Magengrube hielt.
„Ihr Arschlöcher, lasst ihn in Ruhe!“, rief Tariq und versuchte, sich los zu zerren.
Und dann sah man ihn plötzlich auf der Gasse. Den riesigen, schwarzen Wolf. Die Augen blitzten im Schein der Straßenlaternen auf und der Schatten, den er warf war so lang, dass er den Hinterhof schon fast erreicht hatte. Er heulte nicht mehr, sondern knurrte angriffslustig und fletschte laut die Zähne, die ebenfalls bedrohlich aufblitzten. Jetzt, wo die Typen ihn gesehen hatten, hatte es der Wolf nicht mehr eilig. Er kam langsam, aber umso furchteinflößender näher.
„Scheiße!“
„Das gibt’s doch nicht!“
„Brat mir einer `n Storch!“
„Fuck, was soll das?“
„Was ist das für ein Vieh?“
„Das kann doch kein Wolf sein?! Hier?“
„Shit, weg hier!“
„Spinnst du, da müssen wir an ihm vorbei!“
„Willst du warten, bis er hier ist?“
„Werfen wir ihm `ne Schwuchtel vor!“
Bei den letzten Worten reichte es dem Wolf. Er sprang mit einem mächtigen Satz nach vorne und heulte erneut auf und zeigte die Zähne. Die Ohren waren nach hinten gestellt, die Rute bedrohlich zwischen den Hinterläufen. Die zwei, die Tariq hielten, schoben ihn vor sich.
„Ihr seid echt solche Arschlöcher!“, fand der Pakistani und schnitt eine Grimasse.
Dallas rappelte sich auf und entschied, den Typen eine kleine Show zu bieten. Zielstrebig ging er zu dem Wolf, ließ ihn kurz an der Hand schnuppern, dann strich er ihm liebkosend über die Ohren und zeigte schließlich auf die Männer. „Such dir einen von denen aus und schnapp dir seine Eier!“
Der Wolf verharrte einen Augenblick vollkommen ruhig, so als würde er einen der Männer aussuchen. Die jedoch gerieten jetzt in Panik und bildeten eine verängstigte Gruppe um ihren Anführer. Das Lachen war ihnen vergangen.
„Scheiße, du Schwuchtel, halt das Vieh zurück!“, brüllte Hackfresse.
Dugan kam jetzt vor und begann, mit gefletschten Zähnen und bedrohlichem Knurren um die Gruppe herum zu streifen.
„Hörst du schwer?!“
Dallas genoss die Angst der Männer, sie hatten es mehr als verdient. Er grinste sie böse an. „Tut mir echt leid für euch, aber der Wolf da hört nicht, wenn man mich Schwuchtel nennt.“
Dugan legte jetzt noch eins drauf, sprang vor und schnappte sich Hackfresse am Hosenbein und riss ihn um. Vollkommen panisch packte der den Schweiger am Bein und riss den auch mit um. Die anderen schrien und Dugan war kräftig genug, um beide Kerle ein Stück zu schleifen. Er zerrte sie zwischen die Mülltonnen, wo sie zappelten und um sich schlugen, sodass eine Tonne umfiel und beide Männer mit Müll überschüttete. Sie blieben dort winselnd liegen, während Dugan zurücksprang und die anderen zwei anknurrte.
„Fuck, Mann, halt uns dieses Vieh vom Leib!“, bettelte der Ringträger.
„Hier, nimm meine Kohle, aber halt diese Bestie zurück!“, schlug der Cowboy eilig vor.
Dugan knurrte noch zorniger, so, als hätte er das mit der Bestie genau verstanden. Er schnappte ein paarmal in Richtung der zappelnden Männer, dann horchte er auf. Was jetzt? Und dann hörten Dallas und Tariq es auch. Polizeisirene. Robert hatte den nächsten Teil des Plans erfolgreich umgesetzt und die Polizei war auf dem Weg hierher.
„Er sollte jetzt verschwinden“, sagte Tariq und meinte Dugan.
„Einen Moment noch“, gab Dallas zurück, der sah, dass der Wolf jetzt die Männer langsam umkreiste. Sie wurden mit einem Mal still. Sogleich sprang der Wolf zwischen die Mülltonnen, wo die beiden anderen erst aufschrien und dann ebenfalls seltsam verstummten. Dann kam der Schwarze zurück, nickte Dallas und Tariq zu und mit einem enormen Satz lief er zurück zu der Gasse, aus der jetzt das Sirenengeheul immer lauter wurde. Die Blinklichter der Einsatzwagen tauchten die grauen Hauswände in blau und reflektierten blitzend auf den Fensterscheiben. In einigen Fenstern ging Licht an und die Silhouetten von Anwohnern wurden sichtbar. Noch einmal ertönte das Wolfsheulen, lauter noch als die Sirenen, dann war Dugan verschwunden und zwei Polizeiwagen bremsten quietschend im Hinterhof. Tariq und Dallas hakten sich ein und sahen erleichtert, dass Polizisten und Robert ausstiegen. „Da sind sie!“, rief der sogleich voller Erleichterung und wollte gerade auf die zwei zustürmen, als ein Polizist ihn zurückhielt.
„Nehmen sie die Hände hoch und hinter den Kopf!“, rief einer von den anderen.
Im ersten Moment glaubte Dallas, dass er und Tariq vielleicht gemeint seien, doch dann kamen drei Polizisten an ihnen vorbei und als sie sich umdrehten sah man, wie die Männer im Hof und bei den Mülltonnen ihre Hände erhoben. Einer von denen schluchzte. Ein anderer spuckte aus.
„Gut, dass sie kommen, Officer, da war ein riesiger Hund“, stammelte Hackfresse.
Tariq sah Dallas fragend an. „Ein Hund?“, flüsterte er, „ist der so blind?“
Dallas musste ein wenig grinsen. „Ist einer von Dugans Tricks. Erklär ich dir später.“
Die vier Typen wurden in Handschellen gelegt und Robert und der Polizist, der ihn zurückgehalten hatte, kamen jetzt zu ihnen.
„Laddys, gut euch zu sehen!“
„Ihr kommt gerade recht“, fand Dallas und ließ sich von Robert in den Arm nehmen. Dann war Tariq dran.
Der Polizist wartete kurz, dann fragte er, was passiert sei. Dallas hielt sich nun wieder die Magengrube und seine Jeans war an den Knien schmutzig, wo man ihn zu Boden geworfen hatte.
„Die vier da sind uns vom Rainbow Warrior Club hierher gefolgt und haben uns bedroht, festgehalten und geschlagen.“
„Da war ein riesiger Köter!“, rief Hackfresse dazwischen, aber ein Polizist blickte ihn so streng an, dass er verstummte.
„Ja, stimmt“, ergänzte Tariq. „Der Hund muss zwischen den Mülltonnen geschlafen haben, aber die haben ihn geweckt. Da war er wütend.“
„Keine Ahnung, wo der jetzt ist“, meinte Dallas. „Der ist abgehauen, als die Sirenen kamen.“
„Ziemlich großer Collie, glaube ich.“ Tariq kam in Fahrt. „So einer wie Lassie, aber in böse.“
Robert sah aus, als müsste er gleich lachen.
„Gut, gut. Dann fahren wir mal für ihre Aussagen auf’s Revier und da kann sie ein Arzt untersuchen.“ Einer der Polizisten hatte hier ganz offensichtlich das Sagen.
Dallas nickte. „Nichts lieber als das.“
Dugan lag zusammengekrümmt und geduckt auf dem Rücksitz des Landrovers, als die Polizeiwagen mit Blaulicht an ihm vorbeifuhren. Er lachte, trotz der immer noch nachklingenden Schmerzen, denn ihm war klar, dass Dallas und Tariq in Sicherheit waren. Jetzt müsste er nur noch Geduld haben, dann wären sie wieder zusammen und wenn auch nicht alles gut wäre, dann hätten sie den Tod ihres Gefährten doch auf ihre Art und Weise gerächt und das fühlte sich verdammt gut an. Ein fieses Kribbeln stieg in seine Nase, dann musste er niesen. Oh, bitte keine Erkältung! Das war wohl ein blinder Fleck in ihrem Plan, dass sie keine warmen Kleider für ihn im Auto hatten. Das Flash T-Shirt war nur noch ein Fetzen, die Jeans nicht viel mehr, aber das war sie auch vorher kaum gewesen. Zum Glück hatte Tariq ihm seine Jacke dagelassen. Dugan zog sie über und rollte sich auf dem Rücksitz zusammen.