Teil von Jelanias Adventskalenderaktion:
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Kalendertürchen des 08.12.2019
Der Kleine Phönix
Nicht mehr, als ein kleiner Funken war es, der zusammen mit unzähligen Schneeflocken zur Erde fiel. Trotz des langen Falls verlief die Landung sanft, denn der Funke traf genau in einen großen Schneehaufen. Es zischte und glühte zwischen dem Schnee, kleines Gefieder schüttelte sich unbeholfen. Je weiter der Neuankömmling sich durchs gefrorene Wasser grub, desto mehr verflüssigte es sich. Bald schon war kaum noch mehr vom großen Schneeberg übrig, als eine traurige Pfütze, auf der einzelne Schneeflocken landeten, um schließlich eins mit ihr zu werden. Inmitten dieser kalten Wasserlache stand ein kleiner Vogel, kaum größer als ein Spatz. Das knallrote Gefieder glühte, wie von Kerzenschein erleuchtet, und zuckte immer wieder, wenn eine frisch geschmolzene Schneeflocke vom Himmel sich auf eine der Federn verirrte. Der rostrote Schnabel glänzte von der Nässe, doch war am sachten Dampf bereits zu erkennen, dass er sehr bald wieder trocknen würde. Neugierig legte der junge Vogel den Kopf schief und besah die weiße Umgebung. Nie zuvor hatte er so etwas gesehen. Andererseits, was hatte er denn bisher gesehen? Seine Erinnerung sagte dem kleinen Vogel, dass er noch nicht lange ein Bewusstsein besaß und vermutlich nicht viel länger, als diese Zeit existieren dürfte. Die schwarzen Knopfaugen auf den Himmel gerichtet, sah das Vögelchen einige Wolken vorüberziehen. Als ein Rudel vorbeigezogen war, reflektierte sich das Sonnenlicht in seinen Augen und ein Heimatgefühl machte sich im Inneren des kleinen Vogels breit. Zwar konnte er noch nicht viel über diese Welt wissen, aber das Grundlegende war ihm instinktiv bekannt. So wusste der kleine Vogel auch, dass es bald Nacht werden würde, denn er sah, dass die Sonne sich allmählich hinter den Bäumen des nahegelegenen Waldes niederließ. Er beschloss, sich einen Unterschlupf zu suchen, also sah er sich in seiner Umgebung um. Inzwischen hatte der kleine Vogel ganz nasse Füße, denn sämtlicher Schnee, der sich in geringer Entfernung zu ihm befand, war seiner Wärme verfallen und hatte sich verflüssigt. Der kleine Vogel piepste voll Unverständnis, war er seines Erachtens doch gar nicht so furchteinflößend, dass der Schnee vor ihm zu fliehen hatte. Dennoch beließ er es dabei, breitete seine Flügel aus und schlug mit ihnen, um loszufliegen. Wenn es nur so einfach wäre. Einige Versuche brauchte der kleine Vogel, ehe er einsah, dass er keine Zeit hatte und das Fliegen ein andermal probieren sollte. So hopste er über die weite Wiese, während der Schnee vor ihm zurückwich. Wieder piepste er, diesmal vor milder Empörung, da er wirklich nicht verstand, wie man solche Angst vor ihm haben konnte. Der Schnee aber antwortete ihm nicht, sondern ging nur weiter frech seinem Rückzug nach. Mit dem würde der kleine Vogel sich wohl nicht anfreunden.
Bald erreichte er die ersten Bäume des Waldes. Da er ein gutes Stück zurücklegen musste, um endlich die Wiese zu verlassen, war es inzwischen dunkel geworden. Die Sonne war wohl sehr müde. Wäre das Glimmen seines Gefieders nicht, hätte der Kleine sich wohl nicht zurechtgefunden. So aber hopste er zwischen den Bäumen hindurch, über Wurzeln, drängte sich zwischen Gebüschen durch und sah sich nach einer möglichen Unterkunft um. Ein Bauchgefühl sagte dem kleinen Vogel, dass er sich etwas ganz weit oben suchen sollte. Doch da er weder fliegen, noch hoch springen und vor allem nicht klettern konnte, würde er sich wohl mit einem niedriggelegenen Platz begnügen müssen. So machte er es sich zunächst in einem dichten Gebüsch gemütlich, konnte sich allerdings nicht mit der Tatsache anfreunden, dass die Blätter in seiner nahen Umgebung anfingen, zu qualmen. So verließ er schnell das Gebüsch und suchte weiter. Bald fand er einen hölzernen Hohlraum am Fuße eines Baumes, den der kleine Vogel sogleich freudig pfeifend betrat. Das Plätzchen sah gemütlich aus, also beschloss der Kleine kurzerhand, die Nacht dort zu verbleiben. Vor allem war er begeistert vom rot-orangenen Pelz, der in einer Ecke des Hohlraumes lag und regelrecht dazu einlud, sich dort anzukuscheln und ins Traumland zu reisen. Dieser Einladung ging er sogleich nach: Er streckte seine Flügelchen, legte sie dann wieder an seinen Körper und hopste aufs Fell, um sich dort hinzulegen und die Knopfaugen zu schließen. Es war zwar nicht so warm, wie der Vogel selbst, aber dennoch ein angenehmes Gefühl, dort zu liegen. Vor allem, weil das Fell nicht so kalt war, wie die Welt dort draußen.
Der kleine Vogel befand sich gerade auf dem Übergang zwischen Wachzustand und Schlaf, als sich sein Schlafplatz plötzlich regte. Überrascht über die plötzliche Mobilität seines Bettes sprang der kleine Vogel auf und piepste entsetzt. Beantwortet wurde sein Piepsen von einem Knurren und am Ende des Fellhaufens wurde ein seltsam geformter Kopf sichtbar, welcher sich sogleich halb zum Vogel drehte. Dieser stellte soeben fest, dass er sich offenbar nicht auf einem bloßen Fellhaufen, sondern auf dem Rücken eines anderen Tieres niedergelassen hatte. Wild umherflatternd sprang er vom rot-orangenen Geschöpf und wollte in seiner Panik den Hohlraum verlassen. Das große Tier aber sah dies und versperrte dem Vogel den Weg. Die spitzen Zähne glänzten im Lodern des Gefieders.
Langsam legte der Riese seinen Kopf auf die Tatzen und sprach: "So jemanden wie dich habe ich noch nie gesehen. Wo kommst du komischer Vogel denn her?"
Der Kleine zitterte nervös und sah an dem Wesen hinauf. Er schaute an ihm vorbei, suchte nach einer Lücke, um doch noch aus dem Hohlraum des Baumes zu gelangen.
"Antworte."
Angst spiegelte sich in den Augen des Vogels wider, der Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Maße. Das Gefieder flackerte aufgeregt. "Aus dem Himmel", haspelte es.
"Dem Himmel?" Eines der flauschigen Ohren des Riesen zuckte und der Kopf erhob sich leicht. "Willst du mich für dumm verkaufen? Du bist ein Vogel, natürlich kommst du vom Himmel! Aber woher genau?"
Der Kopf des Kleinen senkte sich. Er hatte darauf keine Antwort.
"Schon gut, das ist nicht wichtig", erklärte das große Tier. "Wichtig ist aber, dass du schnell aus dem Wald verschwindest. Dein Gefieder strahlt kein gutes Omen aus. Also verschwinde, brennender Vogel."
Er verstand nicht so recht. Kaum war er angekommen, sollte er wieder verschwinden? "Aber-"
"Verschwinde, sagte ich!" Die laute Stimme hallte im Hohlraum und ließ den Kleinen erschaudern. "Bevor sich meine Laune verschlechtert." Damit ging der rot-orangene Riese aus dem Weg und machte den Ausgang frei.
Hastig flatternd hopste der Vogel hinaus und gewann an Abstand zu dem Baum. Zwar wusste er nicht, was der Riese meinte, aber sicherlich mochte er Recht haben, so weh es auch tat. Immerhin war er schon länger dort und wusste mehr, als er. Nicht?
Und der Kleine hatte Angst. Er wagte es nicht, sich vorzustellen, was mit ihm passieren würde, wenn er weiter in diesem Wald blieb. Also leistete er den Worten des Größeren Folge und suchte sich seinen Weg durchs Unterholz hinaus - was gar nicht so einfach war. Er hopste über Wurzeln, stahl sich an Gebüschen und Bäumen vorbei, während er möglichst großen Abstand zu ihnen hielt und beobachtete zwischen den tanzenden Baumkronen, wie der Mond mit ihm wanderte. Doch so unermüdlich, wie der Mond war der kleine Vogel nicht. Bald schon spürte er, wie seine Beine nachgaben, wie sein Körper schwerer wurde und auch die Augen sich weigerten, aufzubleiben. Noch während er versuchte, weiterzukommen und endlich den Wald, zusammen mit dem furchterregenden Riesen, hinter sich zu lassen, wurde sein Blickfeld schwarz und er stürzte zu Boden.
Es war ein schrilles Kreischen von oben, das ihn erweckte. Als er hinaufsah, erblickte er einen schwarzen Vogel auf einem Baumstamm sitzen und wild umherflattern. "Feuer! Feuer, es breitet sich aus!", rief er. Dann flog er davon, während die anderen Waldbewohner zu dieser späten Stunde aus ihrem Schlaf gerissen wurden und wild durcheinanderredeten.
Müde und verdutzt sah der glühende Vogel sich um. Feuer? Wo? Sein Blick schweifte umher, suchte nach der Quelle des Schreckens, das sich Feuer nannte. Er konnte außer seinem eigenen Gefieder, das dem schwachen, silbrigen Mondschein sein Leuchten entgegenbrachte, nichts ausmachen.
Wobei ... wenn er den Blicken der anderen folgte, dann ...
Erst jetzt fiel ihm ein seltsamer Geruch auf, der zuvor nicht da war. Der Geruch von Rauch. Hastig stand er auf, schüttelte sich die Müdigkeit vom Leib und sah sich genauer um. Doch selbst mit zusammengekniffenen Augen konnte er nichts erkennen. Erst, als ein Flackern am unteren Ende seines Blickfeldes nach seiner Aufmerksamkeit verlangte, schaute der glühende Vogel zu seinen Füßen. Der Schein blendete den roten Vogel. Die Flammen arbeiteten sich vom wärmegetrockneten Laub an seinen Füßen hoch und setzten sich wild lodernd an seinem Bauchgefieder fest, als wollten sie es verschlingen. Erschrocken breitete der Vogel seine Flügel aus und flatterte den Flammen entgegen, doch provozierte dies das Feuer nur und so ließ es erst recht nicht von ihm ab. Die anderen Tiere waren inzwischen von der Bildfläche verschwunden. Nur er war noch übrig geblieben und lief panisch flatternd los. Weiterhin suchte er nach dem Ende des Waldes, einem Ausgang, der ihn aus diesem engen Terrain, das ihm vom Riesen verboten wurde, befreien mochte. Er sprang über Wurzeln und wanderte zwischen einigen Bäumen hindurch. Waren sie kleiner geworden? So schien es ihm. Der Geruch von Rauch verdichtete sich.
Bald lichteten sich die Bäume. Das Ende des Waldes wurde erreicht. Hilfesuchend pfiff der leuchtende Vogel, als er auf eine weitere schneebedeckte Wiese trat. Möge das Weiß wenigstens jetzt Gnade haben und nicht vor ihm zurückweichen ... dessen Kälte würde den Zorn des Feuers doch sicherlich lindern können!
Doch sein Hilfegesuch wurde abgelehnt. Auch diesmal wich man dem Vogel aus, der inzwischen gänzlich in Flammen stand. Zu seiner Überraschung allerdings stellte er kurz darauf fest, dass sie ihm nicht wehtaten, keineswegs. Dennoch erschien es ihm falsch, in Flammen zu stehen. Immerhin schienen die anderen eine ungeheure Angst vor den Flammen zu empfinden. Das musste doch einen Grund haben? Auf jeden Fall musste er sie loswerden, aber wie?
Dann kam ihm eine Idee. Stramm stellte er sich hin, spannte die Flügel zu voller Länge auf - er war wirklich gewachsen - und schlug mehrmals mit ihnen aus. Von ihm geschaffener Wind fegte übers Feld, ließ den Schnee flockenweise umherwirbeln und in der erwärmten Luft schmelzen. Ein wenig musste der Leuchtvogel sich gedulden, dann spürte er, wie die Beine an Standfestigkeit verloren. Unbeholfen strampelten sie in der Leere, der Blick des Vogels ging unter sich. Der Boden entfernte sich von ihm, immer weiter und weiter. Seine Flügel hörten nicht auf, zu flattern und so stieg er höher in die Lüfte. Die Welt um ihn herum wurde immer kleiner. Bald schon hatte sie beängstigende Ausmaße eingenommen, denn die Bäume, deren Kronen ihm sonst so unerreichbar weit oben erschienen, zogen an ihm vorbei. Als dieser Punkt überschritten war, machte sich erneut Panik in ihm breit. Die Flügelschläge wurden unregelmäßiger, der bisher so stete Aufschwung wandelte sich in ein unsicheres umherpendeln in der Luft, während an Höhe eingebüßt wurde. Der Vogel mit dem brennenden Gefieder stürzte langsam, aber sicher ab. Zwar versuchte er noch, dagegenzulenken, doch ungeübt, wie er war, halfen seine Versuche wenig. So landete er bald schon mit dem Kopf voran in einem Schneehaufen. Der Schnee verflüssigte sich und floss in einer Pfütze davon, als der Vogel sich aufrappelte und sein pulsierend glühender Brustkorb sich hob und senkte. Wenigstens das Feuer war nun weg. Einen erneuten Flugversuch würde er von nun an aber wohl nicht mehr starten. Fliegen war gruselig. Benommen schüttelte er Kopf und Gefieder, um das allmählich dunstende Wasser loszuwerden. So stapfte er aus dem Haufen hinaus und sah zum Himmel. Der Schein des Mondes hatte etwas Beruhigendes. Er schien ihm wie ein weit entfernter Freund, der ihm zusicherte, dass alles gutwerden würde. So fasste der feurig schimmernde Vogel neuen Mut und sah sich nach seinem nächsten Ziel um. Immerhin saß ihm die Müdigkeit weiterhin in den hohlen Knochen und er wollte nicht auf offener Fläche schlafen.
Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sich hinter ihm der Wald befand, aus dem der rot-orange Riese ihn verbannt hatte. Das Rauschen und Knacken verriet ihn.
Vor ihm war immer noch die weite, weiße Wiese, die mit einem Hügel endete. Mit verschneiten Hügeln hatte der glühende Vogel ja schon Erfahrung. Hilfreich waren sie nicht.
Zu seiner Rechten stand ein großer Abhang, der mit dem Wald verschmolz und von der Position des Vogels aus so hoch war, dass er fliegen müsste, um dort hinaufzugelangen. So stark war seine Neugier nun nicht, dass er es versuchen wollte. Also blieb ihm nur der linke Weg.
Links von ihm ging es ein wenig bergab, soweit sah er schonmal. Als er näher an die Absenkung gelangte und einen besseren Blick auf diese hatte, konnte er in der Ferne einzelne kleine Lichter sehen. Sie schienen ihn regelrecht einzuladen.
Den Blick stets auf die rötlichen Sterne gerichtet, die in ihm ein warmes Heimgefühl auslösten, hopste er den Abhang hinab. Er vergaß dabei den Schnee, der schmolz und das Gras unter seinen Füßen somit nass und rutschig machte.
Diese Tatsache wurde ihm erst gewahr, als die Tücke der Schwerkraft spürbar wurde und er zusah, wie der Boden ungemütlich nahe an sein Gesicht kam. Erschrocken breitete er die Flügel aus, doch erfolgte sein Versuch der Gegenlenkung so spät, wie vergebens. In ganzer Länge schlitterte er den Abhang hinab und kreischte dabei erschrocken. Bis er mit einem Stein kollidierte.
Er fühlte sich ganz klein. Es war dunkel. Wo war er? Wo waren diese schönen Lichter hin? Sind sie erloschen? Was war passiert?
Er kämpfte gegen die Dunkelheit an, die ihn umgab, wollte sich irgendwie aus ihr befreien. Je mehr er sich dabei zu bewegen versuchte, desto lauter wurde das Zischen, das er vernahm. Zu Beginn war es noch unscheinbar, fast unhörbar gewesen, aber bereits nach kurzer Zeit hüllte es den Vogel vollständig ein.
Er öffnete seine Augen und sah an sich herab. Dunkelgrauer Staub zu seinen Füßen ... nein, nicht zu seinen Füßen. Er hatte keine. Wo waren sie hin? Das Zischen dröhnte in seinen Ohren. Moment. Allmählich spürte er seine Füße wieder, sie ... stiegen aus dem Staub empor. Dann verstummte das Zischen. Der kleine Vogel schüttelte sich und nieste einen letzten Rest schwarzen Staubes hervor. Der Boden war nun wieder näher, als vor dem Sturz. Was war überhaupt passiert? Verwirrt sah der kleine Vogel sich um. Inzwischen war es wieder Tag geworden. Das Leuchten, welches er von der Wiese am oberen Fuße des Abhangs gesehen hatte, war nun nicht mehr zu erkennen. Falls es noch da war, so verbarg der Schein der Sonne es. Statt der bunten Lichter sah er nun einige bunte Punkte umherwandern. Das musste er sich näher ansehen.
Als er sich den Farbflecken näherte, wurden ihre Silhouetten deutlicher. Seltsame Gestalten mit vier Beinen, von denen nur zwei die Füße mit dem Rest des Körpers verbanden. Die anderen beiden Beine hingen schlaff an den Seiten und hatten statt Füße jeweils ein seltsames Gebilde aus ... was war das? Nie zuvor hatte er sowas gesehen und auch sein Instinkt wusste ihm keinerlei Antwort zu geben. Generell schienen diese Figuren fehl am Platz. Je länger er sie anstarrte, desto stärker wurde dieses Gefühl.
Inzwischen sahen einige, immer mehr werdende, helle, wie dunkle Augenpaare zu ihm herüber. Zwei Kleinere kamen zu ihm gelaufen. Zuerst hopste der glimmende Vogel überrascht einige Schritte von ihnen weg, doch als sie sich zu ihm hinhockten, hielt er inne. Er legte den Kopf schief und musterte die zwei. Die Mundwinkel der beiden hatten sich nach oben gezogen, als einer von ihnen seine ... seltsam geformte Tatze nach ihm ausstreckte? Er wusste nicht, was dieses fünfgliedrige Ding sein sollte. Und bevor der Fremde ihn berühren konnte, machte der kleine Vogel einen Satz nach hinten und wich dem aus. Er piepste angespannt, während sein Gefieder sich aufplusterte. Was wollten sie von ihm? Er verstand es nicht.
Plötzlich hörte er in der Ferne einen Aufschrei. Eine größere der seltsamen Gestalten hielt ihr fünfgliedriges Körperteil vor sich in die Höhe. Einige folgten mit ihren Blicken dem Deut und schauten zum Wald am Rande des Abhangs. Nun sah es auch der kleine Vogel. Der Wald brannte. Trotz der Forderung des rot-orangenen Riesen, von dort zu verschwinden, war er nicht schnell genug gewesen und nun ... hatten einige ihr Zuhause und vielleicht sogar ihr Leben verloren. Seine Innereien verkrampften bei dem Anblick. Sofort rannte der Kleine hinfort, hörte nicht auf die eigenartigen Laute, die die Gestalten hinter ihm von sich gaben und die er ohnehin nicht verstehen konnte. Er wollte weg von dort. Wollte einen Platz, an dem er nichts in Brand setzen konnte. Diese Flammen, sein Gefieder ... es war gefährlich.
Er wusste nicht, wie lange er gerannt war, aber endlich hatte er eine kleine Kuhle erreicht, in der er sich verbarg. Dort ließ er sich nieder und ignorierte den Geruch verkohlender Erde, der immer intensiver wurde. Zu müde war er, zu verängstigt über sein eigenes Dasein, als dass er sich noch weiter bewegen wollte. So legte er sich hin und schloss die Augen.
Als er seine Lider wieder öffnete, schien der Mond nur gebrochen in die kleine Kuhle des Bodens. Davor schoben sich zwei Schemen, die er nicht zuordnen konnte. Es dauerte eine Weile, ehe seine Augen sich soweit an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dass er die beiden als jene erkennen konnte, die ihm zuvor so nahe gekommen waren. Einer von ihnen hielt einen Ast umklammert und stupste den glühenden Vogel an. Es zischte und er flatterte aufgeregt mit den Flügeln. Was wollten sie hier? Sie sollten besser verschwinden! Aufgeregt kreischte der Vogel, doch die beiden Gestalten sahen sich nur an und tauschten merkwürdige Laute aus. Dann wandten sie sich ab und gingen.
Allmählich beruhigte der glühende Vogel sich wieder und konnte nach einer guten Weile weiterschlafen. Der Geruch des Rauchs war allgegenwärtig.
Er wusste nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. Immer wieder hatte er von seiner verkohlten Kuhle aus die Umgebung betrachtet und den Geräuschen gelauscht, die sich in der Ferne abspielten. Tags, wie auch nachts hatte er dort gelegen und das Wabern des Rauches, wie auch seinen Geruch wahrgenommen. Das Brennen und Glühen war allgegenwärtig. Immer wieder waren die beiden Gestalten zu ihm gekommen, hatten sich vor der Kuhle niedergelassen und den kleinen Vogel betrachtet. Mit der Zeit wurde ihm klar, dass sie nichts Böses wollten. Sogar ein paar Körner boten sie ihm an, doch verzichtete er jedes Mal auf sie. Die beiden Gestalten konnten nur ihre Köpfe schütteln und irgendwelche Laute von sich geben, ehe sie wieder von dannen zogen und den Kleinen in Ruhe ließen. Der wiederum wurde durch seinen Verzicht auf das regelmäßige Nahrungsangebot immer dünner und dürrer. Aber das störte ihn nicht, denn er hoffte, dass durch seine zunehmende Schwäche die Intensität seiner Flamme abnahm. Doch statt zu erleben, wie sie erlosch, verschwamm ihm eines Tages nur die Sicht und ihm wurde schwarz vor Augen. Er verlor das Bewusstsein.
Als er aufwachte, entstieg er wieder diesem grauen Staub. Seine Gestalt war nun genauso, wie beim letzten Mal. Die Nacht, in der dies geschah, ließ sein Gefieder umso heller erstrahlen. Er legte sich wieder hin, schloss die Augen und hoffte, dass es bald kälter um ihn herum wurde. Doch der erneut aufkeimende Geruch des erdigen Rauchs widersprach seiner stummen Bitte. Die Flocken zerflossen und rannen in die Kuhle, um eine kleine Pfütze zu seinen Füßen zu bilden. Diesmal schneite es sogar stärker und so füllte sich die Mulde schnell mit Wasser. Doch dies störte den Kleinen nicht.
Erst, als er knirschende Schritte hörte, blickte er auf. Wieder diese beiden. Sie sahen auf ihn hinab und einer von ihnen hielt etwas umschlossen. Erst, als er es auf dem Boden absetzte, konnte der Kleine erkennen, was es war. Ein Steingebilde, das so gemeißelt und bemalt war, dass es ungefähr dieselbe Form annahm, wie er selbst. Die beiden Gestalten stellten es direkt vor die Kuhle, sodass die schwarzen Knopfaugen zum glimmenden Vogel schauten, welcher inzwischen mit dem ganzen Bauch im Wasser lag. Verwirrt blickte er zwischen den Gestalten und der Statue hin und her. Die beiden setzten sich nun und holten einen Behälter aus miteinander verwobenem Stroh hervor, aus dem sie wieder einige Körner holten. Wie gewohnt verstreuten sie diese vor der Mulde. Statt es aber dabei zu belassen, kramten sie ebenfalls etwas anderes hervor. Der kleine Vogel konnte diese Dinge nicht definieren, aber er merkte schnell, dass es sich hierbei ebenfalls um etwas zu Essen handeln musste. So saßen sie da und verspeisten allerlei Dinge, die der Kleine noch nie zuvor gesehen hatte. Nicht minder verwirrt blickte er zwischen den beiden Gestalten, der Statue und den Körnern hin und her und hin und her.
Dann wurde es ihm klar.
Er trat aus der verkohlten Mulde und ging zögerlich zu den Körnern am Boden. Tränen rannen sein Gesicht hinab und lösten sich sogleich zischend in Dampf auf. Sie wollten ihm Gesellschaft leisten. Trotz allem wollten sie ihm Gesellschaft leisten ...
Gierig pickte er die Körner auf und verspeiste sie. Die beiden Gestalten ließen ihn dabei in Frieden und gingen ihren eigenen Mahlzeiten nach. So saßen sie beieinander und genossen den verschneiten Abend. Ab und zu gab der ein oder andere von ihnen undefinierbare Laute von sich. Der kleine Vogel hörte zwar zu, konnte sich aber keinen Reim daraus machen. Dennoch versuchte er bald, diese Laute nachzuahmen, was in bloßes Krächzen und Piepsen mündete. Die Gestalten gackerten und ihre Mundwinkel zogen sich nach oben.
Eine ganze Weile saßen sie noch dort und genossen die gegenseitige Gesellschaft. Erst, als die Sonne allmählich ihren Weg zurück zum Horizont fand, verabschiedeten sie sich von Kleinen. Dieser zwitscherte ihnen zu. In seinen Augen, welche wie zwei Kerzen wirkten, spiegelte sich Dankbarkeit. Er wusste, sie würden bald wiederkommen.