Das zweite Gedicht ist Quellen zufolge eines der frühesten Liebesgedichte in deutscher Sprache und ist Teil der sog. Tegernseer Briefsammlung (31). Es ist der Epoche des Hochmittelalters zuzuschreiben, ungefähr in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts (32). Es befindet sich am Ende eines in lateinischer Sprache formulierten Briefes einer weiblichen Verfasserin, deren Name jedoch nicht bekannt ist. Auch ihre Identität und die Umstände, die dieses Gedicht begleiten, sind umstritten. Es könnte von einer Nonne stammen (33), oder aber auch von einer höher gestellten Dame, die sich an ihren Lehrer, welcher wiederum ein Geistlicher war (34). In den darauffolgenden Briefen wirbt er um sie, wird jedoch klar von ihr zurückgewiesen, was auf eine platonische Bedeutung dieses Liebesgedichtes hinweisen könnte. Auch dieses ist in mittelhochdeutscher Sprache, ist aber auch für Leser der heutigen Zeit gut zu verstehen. Die Zirkumflexe über den Buchstaben u und i sollen kennzeichnen, dass diese Vokale lang gesprochen werden (35), wie bei dem Wort 'Fibel' oder 'Duden' Das Gedicht lautet wie folgt:
Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn;
dû bist beslozzen
in mînem herzen,
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost och immer darinne sîn (36).
In der Originalschrift jedoch sieht es ein wenig anders aus:
Du þist min ih bindin · des solt du gewis sin · du bist beslossen
in minem herzen · verlorn ist daz sluzzellin · du muost och immer
dar inne sin ·· (37)
2.5. Aufbau und Thematik
Dieses Werk ist sehr simpel gehalten. Es besteht aus einer einzelnen Strophe mit sechs Versen. Die ersten beiden und letzten beiden Verse schließen den mittleren ein, der sich im Unterschied zu den übrigen, die ihn „einklammern“ nicht reimt (38). Ferner lässt es sich in drei Teile zu je zwei Zeilen einteilen und welche von Doppelpunkten getrennt werden (39). Im ersten Abschnitt findet sich gleich im ersten Vers ein Chiasmus, eine überkreuzte Stellung der Satzglieder. Im zweiten Vers wird von dem Liebespartner Besitz ergriffen(40) und in eine Verpflichtung gestellt, weil sie ja „einander gehören“. Im zweiten Abschnitt, welcher sich genau in der Mitte befindet, schließt das lyrische Ich den Geliebten in sein Herz ein, welches auch ein zentraler Punkt im Körper ist und auch hier wieder eine bildliche Bedeutung bekommt, ebenso wie das verlorene „slüzzelin“ in Vers fünf, ohne das sich ein Schloss nicht öffnen lässt, folglich auch nicht das des Herzens. Nun ließe sich interpretieren, dass ein gewisser Zwang hinter der Liebe stünde und die Verliebten ihre Freiheit dabei verlören oder gar nur der Partner, da das lyrische Ich Besitz von ihm ergreift. Doch Heckmanns Aussage zufolge, das Gedicht könnte eher platonisch gemeint sein (41), erweckt es eher den Anschein, als wolle die Dame ihrem Lehrer mitteilen, dass er ihr wichtig sei und sie ihn nie aus ihrem Herzen lassen würde.
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31 Vgl. Larbing, Thorsten: http://herrlarbig.de/2009/01/19/anonym-du-bist-min/, zuletzt recherchiert am 9.01.2017.
32 Vgl. Klaas, Katharina. https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/du-bist-min-ich-bin-din-100.html, zuletzt recherchiert am 9.01.2017.
33 Vgl. Larbig, Thorsten: http://herrlarbig.de/2009/01/19/anonym-du-bist-min/, zuletzt recherchiert am 9.01.2017.
34 Vgl. Heckmann, Jens Walter: https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/dubistmin.html, zuletzt recherchiert am 10.01.2017.
35 Vgl. Prof. Dr. Büntig, Karl-Dieter: von Kopf bis Fuß – mit Herz und Hand – Redewendungen, sprichwörtliche Redensarten zu Körperteilen, Lexikon der Zitate und Redensarten, Königswinter, Tandem Verlag, S. 144.
36 Heckmann, Jens Walter: https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/dubistmin.html, zuletzt recherchiert am 10.01.2017.
37 Ebd
38 Vgl. Höcker, Jana: www.lyrikschadchen.de/Interpretation___Du_bist_min_.pdf.
39 Vgl. Ebd.
40 Vgl. Ebd.
41 Vgl. Heckmann, Jens Walter: https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/dubistmin.html, 10.01.2017.