Die Vögel zwitscherten als sie glücklich und zufrieden auf dem geschotterten Weg neben wunderschönen Blumenwiesen und einem plätschernden klaren Bächlein radelten. Sie warfen sich verliebte Blicke zu, die fröhlichen Gesichter strahlten mit der Sonne um die Wette. „Schatz, lass uns eine kleine Pause machen, ich muss dich unbedingt knuddeln“. Sie drehte sich zu ihm um, plötzlich konnte sie ihn nicht mehr sehen. Sie stieg von ihrem Fahrrad und rief seinen Namen laut und deutlich. Immer lauter bis ein gellender Schrei zu hören war. Sie griff in ihre Satteltasche, es fühlte sich warm und kuschelig an. Ach, hier war er, ihr Schatz. Sie hielt ihre Hand hoch.
Rot – alles war rot, dunkelrot. Es war Blut, das ganze Rad voller Blut. Sie schrie und schrie und während sie schrie, blickte ihr eine böse Fratze entgegen. Ihr Herz pochte wie wild, sie versuchte wegzurennen. Ihr kompletter Körper zitterte. Doch sie fühlte sich wie gefesselt, war sie angebunden? War sie gefangen?
„Hilfe! Hilfe! so helft mir doch!“
Sie hatte schon wieder einen dieser schlimmen Alpträume gehabt und wachte weinend und schweißgebadet auf. Völlig gerädert und durcheinander suchte Moni den Drücker für den Schwesternnotruf, sah ihr Handy auf dem Beistelltisch und nahm es an sich. Auf dem Display erschien die Meldung, sie hätte eine neue Nachricht. Neugierig wischte sie darüber und öffnete diese moderne Nachrichten- App. Der liebe Dr. Ortner hatte ihr eine Sprachnachricht gesendet. Sie blinzelte die Tränen aus den Augen, um besser zu sehen. Das beruhigte sie für den Moment, sie drückte auf den Pfeil und hörte folgende Meldung von Uwes sanfter und lieb-voller Stimme:
„Hey hallo, meine Lieblingspatientin. Wie geht es dir? Ich hoffe, du kannst gut schlafen? Ich wünsche dir eine ganz gute Nacht und ich, ähm... Es ist völlig verrückt, ich weiß... Ich liege hier im Gästezimmer in Toblach und kann nicht schlafen. Obwohl ich saumüde bin. Wir haben so gut gegessen und einige Gläser Wein getrunken.
Dazwischen hörte Moni ein leises Kichern.
Aber nur Wein, so wie ich es dir versprochen habe... Ich denke die ganze Zeit an dich, was du hier erlebt hast, ganz in der Nähe... so schrecklich... es tut mir so unendlich leid. Und weißt du was, ich vermisse deine Nähe, und ich... ach, egal.
Bis morgen, ja? Ich freue mich auf dich, ähm, fühl dich ganz lieb geknuddelt und gestreichelt, dein Uwe.
Dann hörte sie zum Schluss noch ein kleines Schmatzen, ein Kuss?
Moni musste lächeln, obwohl ihre Wangen tränenüberströmt waren. Mit dem elektrischen Gerät in der Hand schlief sie erschöpft wieder ein.
***
Er schlief bis 10 Uhr, da hörte er das Klappern von Geschirr. Thommy hatte ein kleines Frühstück vorbereitet. Seine Frau war mit den Kindern in die Kirche gegangen. „Ich in so froh, hier zu sein, danke für das schöne Wochenende“. Während des Essens plauderten die Freunde belanglose Dinge und Thommy haute einige echte Männerwitze raus. Zufrieden ging Uwe ins Bad, packte danach seine sieben Sachen zusammen, verstaute alles wieder in seinem Wagen und nahm die Wanderschuhe aus dem Kofferraum. In bester Laune liefen die beiden Männer los und wanderten bis zum Toblacher See, einem wunderschön gelegenen Alpensee im Höhlensteintal auf 1259 m Höhe. Er liegt im Naturpark Fanes-Sennes-Prags und ist immer eine Reise wert. Uwe und Thommy spielten schon als Kinder und Jugendliche hier am Ufer, haben mit ihren Schlauchbooten den See unsicher gemacht und hatten beide nur gute Erinnerungen.
Nach einer Einkehr im bekannten Seerestaurant fuhren sie mit dem Bus zurück nach Toblach. Nach der Verabschiedung, bei der sich die Freunde lange in den Armen lagen, versprach Thommy: „In zwei Wochen besuche ich dich in Innsbruck!“
Uwe nickte, lächelte und fuhr in Richtung Aufkirchen, hier lag der Hof mit der Ferienwohnung von Familie Reinhardt. Die freundliche ältere Dame öffnete die Haustüre und fragte neugierig: „Ja, bitte?“ „Servus, ich bin Dr. Uwe Ortner aus Innsbruck und der Arzt von Frau Moni Häberle. Da ich sowieso hier in Toblach war wollte ich Ihnen Bescheid geben, dass es ihr inzwischen den Umständen entsprechend gut geht. Sie wird wieder gesund werden!“
„Ach, na das ist aber sehr freundlich von Ihnen. Vielen herzlichen Dank. Kommen Sie doch bitte herein.“
„Danke, das ist nett, doch ich werde in der Klinik erwartet.“ Frau Reinhardt bat ihn einen klitzekleinen Moment zu warten und verschwand im Haus. Mit vollen Händen kehrte sie zurück und schenkte dem Arzt einen Birnenschnaps, sechs frische Eier, selbstgemachte Marmelade und ein Glas Südtiroler Alpenhonig. „Bitte, nehmen Sie die Sachen und schenken Sie es Frau Häberle mit einem ganz lieben Gruß von uns. Sie wollten genau diese Sachen für sonntags zum Frühstück haben.“ Uwe grinste, „Schnaps zum Frühstück?“ Beide lachten laut.
Auf der Rückfahrt telefonierte Uwe lange mit Victor, danach mit seinem Vater. Die Straßen waren frei, er kam gut voran. Leider hatte er den Musik-Stick an Moni wieder zurückgegeben, so schaltete er das Radio an. Er summte bekannte Melodien mit und ließ die Gedanken kommen und gehen. Frisch und erholt fühlte er sich heute, als er seinen Wagen in die Tiefgarage der Klinik fuhr.
Schnell zog er sich um und rannte mit Elan die Treppen hoch auf seine Station K1. Mit Victor und Maria fand die Übergabe statt und der Oberarzt war froh, dass er nun drei Tage frei hatte. Das hinter ihm liegende Wochenende war zwar relativ ruhig gewesen, doch Dr. Peter Wahl fehlte im Team, das war klar. Aber er verstand auch seinen Chef, dass er ihn nach dem gravierenden Vorfall nicht mehr sehen wollte. Hoffentlich würden sie bald einen geeigneten, qualifizierten Arzt finden, der den zweiten Oberarzt ersetzen konnte. Victor hatte nur einen Fußmarsch von knappen fünfzehn Minuten bis nach Hause, zu absolvieren. Seine junge, hübsche Frau erwartete ihn schon.
Käthe, Lina und die Kinder hatten den Nachmittag bei Moni verbracht. Mit dem Rollstuhl waren sie in der Cafeteria und die Kleinen konnten draußen umher springen. Das war wirklich schön, doch für Frau Häberle viel zu anstrengend, sie schlief inzwischen tief und fest. Kim hatte die tolle Idee, Käthe und ihren Besuch nach Montan zurückzufahren, denn sie hatte heute frei und war schließlich seit sechs Monaten im Besitz eines Führerscheins und sogar eines eigenen Autos. Erst am nächsten Tag würden sie gemeinsam wieder in die Klinik fahren. Käthe hatte ihren Dr. Marowski Termin und Kim Spätdienst. Die Freundinnen waren so aufgeregt und glücklich. Olga wartete sehnsüchtig auf Lina und die Kinder, sie wollten den Abend mit Basteleien zusammen verbringen.
Nachdem Uwe wieder den Überblick hatte, machte er sich auf den Weg, um all seinen Patienten einen Besuch abzustatten. Als er schließlich zu später Stunde Monis Zimmer betrat hatte er Herzklopfen und feuchte Hände.
Da saß sie, mit ihren schwarzen langen Locken schief im weißen Krankenhausbett und lächelte ihn an.