"Eine letzte Geschichte! Bitte Papa, eine möchte ich noch hören", bat die hohe Stimme des 5-jährigen Burschen. Das blonde Haar verwuschelt, sah er seinem Vater mit aufmerksamen Augen entgegen, in welchen sich zwar bereits die Müdigkeit abzeichnete, doch das neugierige Flackern überwog.
Der Mann mittleren Alters stand bereits in der Tür, doch nun zögerte er. Mit einem gutmütigen Seufzen drehte er sich um und lächelte sanft. "Aber nur eine! Und du musst mir versprechen, dass du danach gleich schläfst! Wir wollen doch nicht, dass du den morgigen, ersten Weihnachtstag verpasst, oder?"
Der Junge schüttelte stumm und schnell den Kopf. "Ich werde gleich danach schlafen", versprach er, schloss kurz die Augen und legte die Hand auf die Brust. "Ich schwöre es!", rief er feierlich aus, grinste breit und öffnete dann wieder seine Augen, um seinen Vater freudig anzusehen. Dieser ging mit leichten Schritten zurück zum Bett, ließ sich auf die Bettkante sinken und nahm die kleine Hand seines Sohnes in die eigene. "Also gut, fangen wir an. Alles begann an einen kühlen Winterabend, das berühmte Schauspiel der funkelnden Gräser hatte begonnen und damit auch die Winter-Jagdsaison. Ein junger Königssohn, sollte an seiner ersten Jagd auf ein Kiajethey teilnehmen. Doch es kam alles anders, als er es erwartet hatte - "
"Papa, was ist ein Kiaje... ein Kia... - wie spricht man es aus?", unterbrach der junge Bursche seinen Vater in dessen Erzählungen. Jener lächelte und strich seinem Sohn über den Kopf. Dann sah er gedankenverloren aus dem Fenster, in die Nacht hinein.
"Kiajethii sind elegante Wesen, sanftmütig und zugleich mit einem feurigen Temperament und unbeugbarem Kampfwillen gesegnet. Vom Aussehen her ähneln sie unseren Pferden, jedoch tragen sie wie Hirsche ein Geweih, das aber nicht aus Horn sondern aus Ästen und roten Blüten besteht. Sowohl dies als auch ihre Flammenmähne und der Flammenschweif machen sie einerseits zu wunderschönen Wesen und andererseits zu gefährlichen Gegnern. Früher sagte man ihnen nach, dass es Glück brächte, ihr Geweih zu berühren, was die Menschen dazu trieb, die Tiere zu jagen. Niemandem kam es in den Sinn, sich den scheuen Wesen freundlich zu nähern und eine Bindung zu jenem aufzubauen. Dies ist langwierig und harte Arbeit, während man bei der Jagd zwei Vorteile hat: Es geht schneller und man hatte auch noch Nahrung. Doch damals realisierte niemand, was das für Folgen haben würde. Kiajethii sind die Wächter der Wälder, sie halten alles im Gleichgewicht und sorgen dafür, dass alles so bleibt, wie es sein soll. Der Eingriff durch uns Menschen in diesen Kreislauf zeigte sich schnell. Pflanzen verdorrten, die Ernten fielen Jahr für Jahr schlechter aus, die Menschen fanden nur noch wenige Wilddtiere zum Jagen. Jene, die behaupteten, dass dies mit dem langsamen Ausrotten der Kiajethii zu tun hatten, wurden als Schwarzmaler bezeichnet und man schenkte ihnen kein Gehör. Doch an einem Tag im frühen Winter sollte sich alles ändern..."