»So, ich strecke das hintere Bein jetzt langsam. Halten sie ihren Hund dabei bitte gut fest. Es könnte nun etwas unangenehm für ihn werden. Er darf sich dabei aber auf keinen Fall bewegen.«
Veronika Vink nickte dem Kommissar auffordernd zu.
Lothar Lasche beugte sich über den Berner Sennenrüden auf dem Untersuchungstisch und flüsterte ihm ins Ohr: »Du hast sie gehört, Kumpel. Bleib einfach still liegen.«
»Alles klar, Chef«, erklang die lautlose Stimme des Hundes im typischen Altmännerbass im Hinterkopf des Kommissars.
Lasche legte seine Linke lässig auf die pelzige Flanke des Polizeihundes und sah abwartend zur Tierärztin: "Okay."
Diese schüttelte den Kopf.
»So geht das nicht«, entschied sie. »Entweder halten die den Hund jetzt richtig fest, oder ich muss ihn fixieren und einen Maulkorb anlegen.«
»Scheiß, Chef«, jaulte Bolle auf, »die Hexe versteht echt keinen Spaß.«
Der Kommissar schien dies ebenfalls zu bemerken, denn er legte sich nun halb auf den Hund und hielt ihn mit beiden Händen umklammert.
»Vorsichtig, da unter den Achseln bin ich kitzeliiiiliilii-aaaaaaaaAAH! AUA!«
Bolles Schmerzensschreie dröhnten in Lasches Kopf. Der Hund bäumte sich auf und der Kommissar legte sein gesamtes Gewicht auf das Tier. Das stinkende Raubtiergebiss schnappte kurz vor seinem Gesicht wie eine tödliche Bärenfalle zu.
Lasche drehte den Kopf hektisch zur anderen Seite und sah noch, wie die Tierärztin eine riesige Spritze mit einer nahezu unterarmlangen Nadel aus der Hüfte des Hundes zog. Der Körper des Tieres unter ihm erschlaffte und der Schrei im Kopf verstummte abrupt.
»Was haben sie mit ihm gemacht?«, fuhr der Kommissar die Ärztin empört an.
»Keine Sorge, der wird gleich wieder. Das geschieht manchmal, wenn sie sich so sehr verkrampfen. Dann schmerzt es nur umso stärker. Er kommt gleich schon wieder zu sich. Und dann wird er hoffentlich etwas besser drauf sein.«
Und sie sollte recht behalten.
*
»Ihr könnt es euch nicht vorstellen«, schwärmte Bolle eine Woche später auf dem Dorfplatz vor seinen Freunden. »Guckt mal, was ich wieder kann.«
Der riesige Berner Sennenhund hob ein Bein und sprenkelte den Sockel der Sitzbank mit einigen gelben Tropfen. Die anderen beiden sahen ihm mit unbewegten Mienen zu.
»Und das war noch lange nicht alles!«
Er drehte sich aufgeregt um, hob das andere Bein und wiederholte die Prozedur.
»Alles ohne Schmerzen!«
Kuno und Napoleon murmelten einige Worte der Anerkennung.
»Nein nein«, fuhr Bolle sie an, »ihr versteht das nicht wirklich. Sie hat wahrhaft heilende Hände.«
Er trabte eine Runde um den Brunnen und setzte sich vor seinen Freunden auf das Hinterteil.
»Guckt doch! Das konnte ich seit Jahren schon nicht mehr. Mit der künstlichen Hüfte war ich der totale Krüppel. Ich kam doch am Ende kaum noch aus der Hundehütte.«
»Stimmt, konnte man riechen«, piepte Nappi. Der Chihuahua schien langsam genervt von Bolles überschwänglicher Freude und seiner endlosen Lobeshymne auf die neue Tierärztin. Er hatte jedoch genug Respekt vor dem Alter und der Größe des ehemaligen Hofhundes, um nicht einfach zu gehen.
Bolle schien die Worte gar nicht bemerkt zu haben.
»Ich fange jedes mal spontan an zu Wedeln, wenn ich sie sehe«, erklärte er gerade. »Veroooonika, was ein wunderbarer Name. Manchmal krault sie mich dann sogar hinter den Ohren. Aber immer nur, wenn ihr blöder Pudel nicht dabei ist.«
Kuno blickte seinen Freund verwundert an. Die beiden Hunde verband fast eine ganze Dekade gemeinsamer Erinnerungen, doch so aufgekratzt hatte er Bolle bisher nie erlebt. Er wirkte wie eine jüngere, und vor allem besser gelaunte Version des sonst ewig mürrischen Tieres. Und vor allem, er hatte noch nicht einen einzigen Satz mit »Damals, als wir noch richtige Landwirte waren...« begonnen. Für den Berner Sennenrüden war dies mehr als ungewöhnlich.
»Wenn diese doofe Pandora zufällig sterben sollte, ich glaub, ich würde meinen Job als Polizeihund an den Nagel hängen und ihr Praxishund werden«, schwadronierte Bolle weiter. »Dann kann ich immer in ihrer Nähe sein. Sie hat übrigens die weichsten Hände, die mich je gekrault haben.«
Kuno und Napoleon blickten sich an und schüttelten fast unmerklich die Köpfe. Hier lag der Fall ganz klar. Bolle war im Alter verrückt geworden. Niemand sprach so über den Tierarzt.
Niemand!
»Hach«, seufzte Bolle, »vielleicht sollte ich ja in eine Glasscherbe treten. Dann darf ich endlich wieder zu ihr.«