Der Asphalt flimmerte.
Ich saß auf dem Treppchen zum Eingang einer Autowerkstatt, den Ellenbogen auf den Knie, das Kinn auf die Hand aufgestützt, versunken in absolut nichts, um mich irgendwie runter zu bringen, denn Geduld war nicht eben meine Stärke.
Das Chrysler Le Baron- Cabriolet, das ich fuhr, hatte mich am Morgen damit überrascht, klackende Geräusche von sich zu geben, die ich rasch als einen Gegenstand im Reifen ausmachte. Ein Nagel, wie sich später herausstellte. Ich stand in Miami Down-Town an einer Ampel, vor mir ein alter Mustang mit Einschussloch in der Heckscheibe, als ich entschied, in die Werkstatt zu fahren, die am Stadtrand nach Norden raus lag.
Und da hockte ich nun, neben mir eine Flasche Gatorade, an einer Hauptverkehrsader in erdrückender tropischer Hitze, derweil die Autos an mir vorbei rauschten.
Mit bestem Blick auf das haarige Arsch-Dekolleté des Tankwarts, der eben an mir vorbei nach draußen geschlurft war.
Aus der Werkstatt kam Gelächter, und über den Asphalt kroch eine Mokassinschlange, die sich zusammenrollte, als der nächste Pick-up heran raste. Überfahren wurde sie dann von Manuela, die das nichtmal bemerkte, wohl aber bemerkte sie mich da sitzen, rumpelte auf die Tankstelle, schwang dynamisch aus dem Wagen, schob ihre Sonnenbrille ins Haar und trillerte affektiert: "Ach, Phinea! Was ist denn passiert?"
Ich hob die Brauen, wohlwissend, wie das ausging. "Ich brauche eine neuen rechten Hinterreifen", erklärte ich trotzdem. "Sehr ärgerlich, in einer halben Stunde habe ich einen Friseurtermin."
"Ach? Das tut mir aber leid. Na ja, dann viel Spaß noch." Mit wiegenden Hüften marschierte sie ins Ladeninnere, in dem sie garantiert nichts kaufen musste, weshalb es wenig überraschend war, dass sie nur mit einem Päckchen Kaugummi zurück kam, ins Auto schwang und wieder davon brauste.
Ich ärgerte nicht nicht einmal. Obwohl mir vollkommen bewusst war, dass sie für mich eine Show abgeliefert hatte.
Ich sollte sie sehen, denn offenbar fühlte sie sich heute schön.
Ich sollte zu spüren bekommen, dass sie mir nicht half, indem sie vorschlug, mich eben zu meinem Termin zu fahren.
Ich sollte…
Na, es war schnuppe, weil es nicht neu war, das übliche Theater eben, mit dem sie sich aufwertete und mich herabsetzte. Ein Dèjá vu erster Güte und erst mal nichts, was nicht verwundern sollte.
Erst am Abend desselben Tages brachte sie das Faß zum Überlaufen.
Dabei war auch das zuerst nur ein weiteres Dèjá vu gewesen, aber es war eines zu viel.
So ist das mit mir.
Ich ruhe lange in mir selbst, mit den Gewissheiten um mein Leben, meine Liebe und meine Freunde. Resilent genug, um Dummheit bis zu einem gewissen Maß zu ertragen. Und selbst, wenn die rote Linie überschritten ist, stopfe ich stoisch in mich hinein. Bis sich eine scheinbare Nichtigkeit ereignet und die Decke meines innere Vulkans davongesprengt wird.
Es ist nicht so, dass ich dann herum schreie.
Aber der Reihe nach…
Am Abend trafen wir uns zum Bowlen, in einem dieser lärmenden Zentren. Es war nichts Besonderes, sieht man davon ab, dass das gigantische Ding über Badminton-Plätze außerhalb, und Squash-Courts innerhalb verfügte. Ich hatte mir die Bowlingschuhe eben an geschnürt, als ich noch die Reste ihres Spiels gegen meinen Daniel mitbekam.
Wie sie darum herum hechelte.
Du liebe Güte.
Sie konnte das eigentlich nicht.
Wahrscheinlich machte es ihr nicht mal Spaß.
Sie quälte sich ab, nur um mit ihm Squash zu spielen, weil ich das mit der kaputten Hüfte nicht mehr konnte. Ihr Gehampel war so absurd, dass der Anblick meinen Verlust, entstanden durch das physische Unvermögen, dieses Spiel zu spielen, minimierte.
Ehrlich gesagt war ich ziemlich verblüfft, was sie sich da abmurkste. Nicht aber darüber, dass es ihr augenscheinlich missfiel, wie ich da hinter der Glastür des Courts in einem roten Polster hing und mit amüsiert gehobener Braue zusah. Ihr Kopf war rot wie der eines gekochten Hummers, derweil bei ihrem Squashpartner, meinem Mann, sogar noch die Frisur saß, aber ich sagte nichts. Ich lächelte nur auf eine Weise, die Freunde als provokant erkannt hätten.
Ich sagte auch später nichts, als sie nach dem Duschen aufgebretzelt vor unserer Sitzgruppe bei unserer Bowlingbahn erschien. Lediglich in Daniels Armen hatte ich gelegen und geflüstert: "Was war das denn?"
"Ach, na ja. Herausforderung ist das nicht." Er hauchte mir einen Kuss ins Blondhaar.
Ich fragte nicht, warum er trotztdem mit ihr spielte, weil ich es wusste.
Er wollte ihr eine Freude machen, denn er hielt sie immer noch für eine Freundin. Auch, weil ich ihm nie davon erzählte, was sie in mir auslöste, aber vor allem, weil er nie auf den Gedanken kam, wie bösartig andere Menschen sein können, indem sie vorgeben, harmlos zu sein. Er merkte ja nicht mal, wie sie ihn anbaggerte.
Warum ich nie mit ihm darüber sprach?
Ich bin nicht eifersüchtig. Mir seiner Liebe gewiss, und meiner selbst sicher, mochte ich den Eindruck der Eifersucht nicht erwecken.
Ach, was soll ich sagen, mein Sternzeichen ist Waage - Harmonie ist mir wichtig, selbst zu einem hohen Preis.
Als wir später spielten, machte ich relativ schnell einen Strike. Wohl möglich, dass ich die Linie überschritten hatte. Ich konnte nicht gut Anlauf nehmen, aber vor allem nicht rechtzeitig abbremsen.
Alle johlten. Erik, Manuelas Mann klatschte mit mir ab. Er machte den Fehler, mir zu zu zwinkern.
"Das gilt nicht!", rief sie entrüstet. "Das war über die Linie!"
"Manu, das ist ein Spiel", warf Daniel irritiert ein.
"Ja, genau! Und eine Spiel hat Regeln!" Wenn irgendeiner genau hingesehen hätte, hätte er bemerkt, dass ihr Gesicht zu einer Fratze verzogen war. Ich sog scharf Luft ein, konnte aber nichts gegen das Knacken in meinem Gehörgang tun, das die Beschwichtigungen der Männer wie durch Watte in meinem Hirn ankommen ließ.
Der Tinnitus pfiff wie von Sinnen. Sie redeten, diskutierten, sie keifte und in meinem Ohr pfiff es.
Dann schwang ich zu Ihnen herum, die Coke in der Hand, und sagte kalt: "Schon okay. Wenn die rote Linie überschritten ist, ist sie überschritten. Dann muss man bereit sein, die Konsequenzen zu tragen."