"Perfekt!"
Entnervt seufzte Felix über dieser in aller Verdrießlichkeit getätigten Aussage auf.
"Wenn dich das Wetter so sehr stört, kannst du gern deine Sachen packen und gehen", schlug er betont freundlich vor, "vielleicht ist ein Urlaub an der Côte d'Azur mehr dein Geschmack."
Die Reifen des Campers machten ein beängstigendes Quietschgeräusch auf dem nassen Asphalt, als Thore die Geschwindigkeit noch weiter in die Höhe trieb. Panisch krallte der junge Künstler seine Fingernägel in die Lehne des Beifahrersitzes.
"Ach, hoid die peiffn, Felix", zickte der ältere Blonde am Steuer ihn an, während er mit zusammengekniffenen Augen die Straße vor ihnen sondierte.
"Sicher", ätzte der Maler schnippisch zurück, "wenn du aufhörst so unverständlich daher zu babbeln. Versteht ja keiner, was du da sagst."
"Oh, Andi versteht mich sehr gut!"
"Ha! Jetzt ist es also wieder der gute Andi, ja?! Jetzt höre mir mal zu, du zu groß geratene Buchstütze -"
"Passt auf, dass ihr nicht die Überfuhr bei mir versäumt, sonst werd i mächtig keifig", donnerte es plötzlich durch den hinteren Bereich und unterbrach die Streithähne effizient.
Das Donnergrollen untermalte den bedrohlichen Gesichtsausdruck seines Partners auf äußerst effektvolle Weise, wie Felix zugeben musste, als er sich so auf seinem Platz herumdrehte. Seine Wangen glühten vor hereingesteigertem Zorn und Scham darüber, sich von Antons bestem Freund so provoziert haben zu lassen. Thore ließ ein Räuspern vernehmen, drosselte allerdings das Tempo, bevor sie noch Gefahr liefen, von der Fahrbahn abzukommen. So kurz vor ihrem zweiten Etappenziel.
"Jeger", setzte Anton nun wieder deutlich ruhiger an, "kann ich dich mal kurz unter vier Augen sprechen?"
Es lag dem Jungkünstler auf der Zunge, ihn zu fragen, wie es denn zu dritt eingepfercht in einer Sardinenbüchse möglich sein sollte, ein privates Gespräch zu führen, doch sah Felix ein, damit lediglich der angespannten Stimmung in die Karten zu spielen. Unter einiger Ungeschicklichkeit - dank des Schaukelns, für das er Thore verantwortlich machte, der es schlicht nicht schaffte, einfach geradeaus zu fahren - wankte er zu seinem Partner in den Hauptwohnbereich des Campers.
Die kalten Finger des Bildhauers schlossen sich um Felix' Handgelenk und dirigierten ihn in die Hygienenische. Angewidert verzog er die Mundwinkel, unterdrückte ein Würgen und wäre gern ausgerastet, als Anton die Frechheit besaß, hinter ihnen beiden die Tür zu schließen. Mit vor der Brust erhobenen Händen, um ja nicht ausversehen etwas zu berühren, stand Felix stocksteif da, schwor sich, Antons Kleidung beim nächsten Halt bedauerlicherweise zu verbrennen, nachdem dieser sich auf den Plastikdeckel der Chemietoilette niedergelassen hatte.
"Tu mir den Gefallen und halte dich heute etwas zurück, ja?", bat der Bildhauer ihn mit samtweicher Stimme, ließ seine Finger sanft über Felix' Hüfte gleiten, zog ihn am Bund seiner Hose näher zu sich, bis seine Hände neckisch unter den Saum seines Pullis schlüpfen konnten.
Ein unliebsames Schaudern bemächtigte sich des Jungkünstlers und so wich er vor der Berührung zurück. Der verletzte Ausdruck in Antons Augen schmerzte ihn, auch, wenn sein Partner sich bemühte, ihn eilig hinter einer gelassenen Miene zu verbergen.
"Tut mir leid", hauchte Felix, "es liegt nur an der Atmosphäre hier."
Grummelnd zuckte der dunkelhaarige Mann mit den Achseln, den Kiefer zusammengepresst, die Augenbrauen tief herabgesunken.
"Wieso soll ich mich zurückhalten?", versuchte der Maler einen Streit zu verhindern, "ist ja nicht so, als könnte Thore sich nicht wehren. Außerdem fährt er wirklich wie Henker. Bei dem Gewitter!"
Nachdenklich wirkend, wiegte der andere seinen Kopf auf den Schultern, bis die gerunzelte Stirn sich zwar nicht gänzlich glättete, aber die Sturmaugen weniger nach einem Orkan aussahen. Gut so, sie schienen wieder in seichtere Gewässer zu fahren.
"Es ist nicht leicht für Thore, wenn er heimkemmt, Hascherl. Lass ihn was an Sperenzchen machen, hm?", appellierte dieser wundervoll nervtötend verständnisvolle Mann an Felix' Empathievermögen.
Grummelig murrte der Blonde noch vorgaukelnd etwas in seinen nicht vorhandenen Bart, erfüllte sich dadurch die Hoffnung, als Anton sich erhob, nah an ihn heranrückte und seine Lippen erst zart auf die Stirn des Malers legte und dann hinabwanderte, um seinen Mund mit dem seinen zu erobern. Wäre Felix nicht bewusst, in welch himmelschreiend abturnendem Umfeld sie sich gerade befanden, er hätte diese Zuneigung sogar vollends genießen können.
Die restliche Fahrt bis Kitzbühel gestaltete sich still, hielt sich der Jungkünstler Anton zuliebe doch merklich zurück, wenn er auch bei der ein oder anderen Berg- und Talfahrt das imaginäre Bremspedal mitbetätigte, weil Thore das seinige nicht zu finden schien.
Schließlich bogen sie auf ein großes Grundstück nahe eines gigantisch hohen Berges ein. Allerdings kamen ihm hier alle Gipfel verteufelt hoch vor, so als norddeutschem Küstenkind aus dem Land der Horizonte.
"Wir können auch einen der Bauern fragen, ob wir uns bei ihm auf den Acker stellen können", schlug Anton vor, der sich zwischen die Vordersitze gestellt hatte und angestrengt durch den Starkregen spähte.
Entsetzt flog Felix' Kopf zum Bildhauer herum, fassungslos ob dieses absurden Vorschlags.
"Nichts da", widersprach zum Glück Thore, noch bevor der Jungkünstler wieder einmal als Snob dastehen konnte, "das Anwesen ist groß genug und mir gehört verdammt die Hälfte von diesem Grundstück."
"Dieses Grundstücks", korrigierte Felix leise.
Schnaubend brachte Thore das Gefährt zum Stehen, sprang hinaus in den Regen und stapfte davon.
Erdrückende Vorwürflichkeit breitete sich im Inneren des Wohnmobils aus, die Felix dazu brachte, sich auf seinem Sitz zu winden. Erschöpft fuhr er sich mit den Händen über das heiße Gesicht.
"Du weißt, mich stört sowas", hauchte er zu seiner Verteidigung.
"Du weißt, du wolltest daran arbeiten", konterte Anton ohne Schärfe, dafür so neutral, es zeriss den Blondschopf innerlich, "es geht nicht immer nur um dich und deine Belange, Jeger. Fein, es gehört zu deinen Zwängen, solche Fehler korrigieren zu müssen. Aber du hast auch gelernt, wie du es händeln kannst. Thore hat gerade richtig Stress. Weißt du eigentlich, warum er mitfahren wollte?"
Die Worte trafen ihn bis ins Mark. Zwänge - er hatte doch keine - also das klang ja - er war doch keiner von diesen - nun gut, also -
Verbissen blinzelte Felix gegen das Brennen in seinen Augen an, schüttelte stumm den Kopf.
"Sorgerechtsstreit. Das muss man sich mal reinziehen. Mein bester Freund ist hier, weil seine Schwester, die er immer so sehr gehasst hat, sich nicht mehr um ihren Sohn kümmern kann und er der Vormund werden soll."
Mit zu einem O geformten Lippen, starrte der junge Künstler seinen Partner an. Was hatte dieser soeben gesagt?
"Und warum gibt es dann streit?", versuchte er den Gedanken zu begreifen, "wenn seine Schwester es doch so will?"
Ängstlich sah er dabei zu, wie Anton hart schluckte, der Adamsapfel seines Partners hüpfte sichtlich auf und ab, der Blick wurde trüb, bedrückt. So kannte Felix den anderen nur selten - und es machte ihm Sorgen.
"Der Vater des Kindes findet das nicht so prickelnd."
Es gab einen Vater? Nun war Felix vollständig verwirrt. Erschrocken fuhr er zusammen, als ein Blitz den dunklen Himmel erhellte. Kurz darauf überrollte ein Donnergrollen das Grundstück, auf dem sie standen. Vielleicht hatte er sich getäuscht. In Thore, der immer vom Glück geküsst zu sein schien, stets derjenige, dem alles in den Schoß fiel, der Goldjunge. Egoistisch, wie Felix war, hatte er sich erneut in seiner Eifersucht verkeilt, darüber die Sorgen und Nöte eines anderen Menschen übersehen, kein Ohr für diesen gehabt. Nun saß er hier und fragte sich, wie ihm das Leid eines anderen so offensichtlich entgangen sein konnte.