Ein richtiger Blizzard zog über das vereiste Land. Der Wind heulte und zog mit geballter Kraft an den Tannen und löste von manchen sogar die Weihnachtskugeln, welche in den Schnee plumpsten. So pfeifte er auch um die Dächer einer kleinen Ansammlung von Häusern. Aus den Schneemassen waren sie in der Ferne nur durch die hell erleuchteten Fenster zu bemerken. Im Inneren des größten Hauses brannten nicht nur Kerzen, die Hütte selbst brannte im übertragenen Sinne. Den zur Weihnachtszeit, gab es immer viel für die Wichtel des Weihnachtsmannes zu tun. Kleine Hämmerchen hämmerten, andere riefen mit ihren Stimmen die nächste Bestellung bzw. den nächsten Wunsch von einem Wunschzettel aus. Wieder ein anderer Wichtel arbeitete mit einem Lötkolben und erhitzte so den Raum zusätzlich.
Es war ein richtiger Knochenjob. Knapp zwei Milliarden Kinder gab es auf der Welt und viele davon schrieben direkt oder indirekt an die Postzentrale des Weihnachtsmannes. Von dort wurden die Briefe mittels Rentier-Express zur Werkstatt gebracht. Postwichtel war eine beliebte Stelle, mit nahezu geregelten Arbeitszeiten. Das ließen die Postwichtel, die Werkstattwichtel auch gerne spüren, wenn diese mal wieder in Überstunden ertranken. Weshalb die Postwichtel nicht besonders beliebt bei den Werkstattwichteln waren.
Die Zeit verging und der Zeiger der großen Weihnachtsuhr hatte sich mit schleppender Gemächlichkeit zur Feierabendstunde bewegt. Wenn dann die Glocke erklang, waren die Wichtel für diesen Abend frei und konnten wenigstens etwas ausruhen, bis sie um 5:00 wieder mit der Arbeit begannen. Dafür mussten aber die täglichen Geschenkzahlen stimmen, durch die wachsende Weltbevölkerung, wurden diese Zahlen jährlich erhöht, das obere Management, wie sie den Weihnachtsmann nannten, dachte aber nicht daran, neue Wichtel einzustellen oder die Werkstatt ausbauen zu lassen.
Weshalb es wenig überraschte, dass anstatt von Glocken, Rentierschellen zu hören waren, das hieß Unbezahlte Überstunden!
"Verdammter Wichtelschinder!", blaffte Tomte, rot wie eine Tomate, während er mit dem Hämmerchen ein Spielzeugauto ausbeulte.
"Wer?", fragte Nisse, nicht wirklich zuhörend.
"Na der Herr in Rot!", schnauzte Tomte noch röter werdend.
"Ach der."
"Ja genau der. Heimst allen Ruhm ein und wir buckeln uns ab."
"Hmmmm."
"Wenn der Arbeitsmarkt für Wichtel besser wäre, ich wäre hier schon längst weg!"
Nisse verdrehte die Augen, Tomte erzählte in jeder Schicht doch auch immer wieder dasselbe. Ganz sicher würde in drei Sekunden Snorre Tomte beipflichten.
"Eine Gewerkschaft will er auch nicht! Oder einen Personalrat! Von wegen netter alter Mann.", knurrte Snorre. "Nur unbezahlte Überstunden, bei dem Gehalt!"
"Tja, da haben die Werbungswichtel echt eine Glanzleistung abgeliefert.", gab Nisse resigniert wieder.
"Ja, deren Job, möchte ich, auch nicht haben.", schüttelte Snorre den Kopf.
"Sich so zu verbiegen müssen, muss bestimmt weh tun.", giftete Tomte.
So zeterten die Wichtel und folgten dennoch ihrer Arbeit. Wunschzettel um Wunschzettel wurde laut verlesen und dann gewissenhaft bearbeitet. Es hämmerten die Hämmer, es riefen die Stimmchen und die Lötkolben glühten.
Im Zentrum der Werkstatt stand das Podium der Wunschzettel, es wurde verwaltet von Bertil, der glanzvoll alle Wunschzettel verwaltete und ein Gespür dafür hatte, wann, die ihm zugeteilten Wichtel, einen neuen Auftrag brauchten.
Immer wieder blickten die Werkstattwichtel zum Wunschzettel-Podium in der Hoffnung, sie könnten die Wunschzettel bereits abzählen, doch die Zahlen, die dort lagen, waren weit über dem, was sich ein Verstand bildlich vorstellen konnte. So vergingen die Minuten und wuchsen zu Stunden, der Zeiger bewegte sich immer weiter durch die Überstunden. Es folgten ein Ächzen, ein Schluchzen und schwindende Kräfte. Der Weihnachtsmann verheizte hier förmlich seine Wichtel.
Doch plötzlich kamen die Aufrufe von Bertil zu einem abrupten Ende. Der Wichtel hielt inne und betrachtete die Papiere genauer. Einige Wichtel brüllten, er solle nicht träumen, sondern arbeiten, dann könnten sie noch etwas ausruhen. Doch Bertil reagierte nicht, seine Augen schienen sich mit Tränen zu füllen. Er wirkte so ergriffen, dass die Wichtel alle zu Schweigen begannen und gespannt zu ihm blickten. Selbst das Fallen einer Schneeflocke wäre zu hören gewesen. Langsam sammelte sich Bertil und begann mit zitternder Stimme vorzulesen.
"Lieber Weihnachtsmann, liebe Wichtel;"
"Wir wurden in einem Brief erwähnt!", frohlockten einige Wichtel laut, welche von Nisse mit spitzer Zunge zur Ruhe aufgefordert wurde, da sie den ganzen Brief hören wollte.
"Ihr habt sicher in eurer Werkstatt dieses Jahr viel zu tun. Mehr als letztes Jahr und das Jahr zuvor. Es ist schön, an das zu denken, was man haben könnte. Doch wisst ihr was? Ich finde es auch wichtig, dass ihr an euch denkt! Deshalb wünsche ich mir, dass ihr euch etwas Gutes tut! Ich habe euch einen Pizza-Flyer beigelegt, bestellt euch bitte Pizza, die ist lecker! Und das Beste: Ihr könnt sie ALLE GEMEINSAM essen.
Euer Tobias"
"Was für ein Ding?", fragte Tomte, der noch nie außerhalb der Wichtelküche gegessen hatte.
"Na Pizza.", meinte Snorre, der genauso wenig Ahnung hatte.
Bertil entfaltete das bunte Papier und lass jede Zeile, Wort für Wort vor. Von Salami, über Spiegelei bis hin zu Extra-Käserand. Die Pizza sollte von einem "Pizzadienst" geliefert werden. Doch wie sollten die Wichtel den Wunsch von Tobias erfüllen? Sie waren ratlos und von all den gehörten Leckereien sehr hungrig. Natürlich war an Arbeiten nicht mehr zu denken! Und wenn die Wichtel nicht arbeiteten, dann entstanden auch keine Geschenke. So überrascht es nicht, dass dieser Umstand bald von der oberen Führungsebene bemerkt wurde. Diese entsendete einige Inspektorwichtel, welche den Sachverhalt aufklären sollte. Als diese von Bertil den Sachverhalt erläutert bekamen, waren sie ebenso ratlos, was nun zu tun sei und brachten die Neuigkeiten zum Weihnachtsmann. Der alte Mann mit weißem Bart und rotem Mantel staunte nicht schlecht, als er hörte, was die Wichtel ihm erzählten. Mehr noch schämte er sich, dass er, als ihr oberster Chef, nicht an genügend Pausen für seine Arbeiter dachte. Er hatte seinen Weg verloren und wurde von einem Kind daran erinnert, was eigentlich der Geist der Weihnacht ist, etwas, was er als Ikone dieser Zeit doch selbst verkörpern sollte. Dicke Tränen rollten über das pausbackige Gesicht und aus dem Rauschebart kamen weiche Worte: "Meine armen Wichtel. Ich schenke den Kindern dieser Welt so gerne eine Freude, dass ich ganz vergessen habe, euch jedes Jahr eine Freude zu bereiten. Dabei wäre es ohne euch mir nie möglich auch nur annähernd so viel Freude zubereiten, wie wir es gemeinsam tun. Dafür sollte, nein, muss ich euch gebührend lohnen. Es sind zu viele der Überstunden, es ist zu viel für eure kleine Zahl. Wenn ein Kind das sieht, welches nicht einmal hier arbeitet, wie müsst ihr es sehen? Es tut mir aufrichtig leid und ich werde euch mein Wort geben, diese Umstände zu verändern."
Die Wichtel lauschten und staunten, während ihre kleinen Herzen Hüpfer machten. Wie sehr rasten sie wohl, als der Weihnachtsmann verkündete, dass nun alle Wichtel herkommen sollten und sie nun gemeinsam eine Pause machen würden und Pizza bestellen würden.
So kamen die Wichtel, welche sich einst entzweit hatten, wieder zueinander. Es dauerte seine Zeit bis Postwichtel und Werkstattwichtel sich wirklich vertragen konnten, doch die ersten Schritte aufeinander zu, zu einem Miteinander waren gemacht.
Es ist allgemein bekannt, dass Wichtel keinen großen Magen haben und so eine Pizza mit 12 Stücken für 6 bis 12 Wichtel eine Tagesmahlzeit bedeuten kann. Trotz dieser Sparsamkeit waren die Wichtel ihrer Zahl viele und so wurde die Bestellung des Weihnachtsmanns doch eine größere. Verständlich war die Skepsis des Pizzadienstes, als sie die Bestellung entgegennahmen. Doch etwas ließ sie der älteren Stimme am Telefon Vertrauen und Glauben schenken, als hätten sie diese schon immer gekannt.
"Wohin soll die Pizza gehen?"
Einige Wichtel schluckten. Sie hatten nicht bedacht, dass der Pizzadienst ja auch zu ihnen kommen musste. Dabei war der Ort, wo der Weihnachtsmann lebte und wirkte, streng geheim. Vorbei der schöne Traum?
"Sie müssen Ihre Fahrer nicht bemühen, ich hole sie selbst mit den Rentieren ab."
"Rentiere?"
"Äh ich meine Wagen, Verzeihung."
"Gut, dann so 40 Minuten?"
"Ja, Danke, auf Wiedersehen.", der Weihnachtsmann legte auf. Sofort wies er an, die Rentiere zu satteln und den Schlitten bereitzumachen. Heute würde er die Pizza abholen. Eifrig machten sich die Wichtel daran, die Rentiere zu satteln und ihnen noch einmal extra Kraftfutter zu geben. Der Weihnachtsmann bestieg seinen prachtvollen Schlitten mit einem leeren Sack. Wie ungewohnt, das doch war! Er gab den Rentieren den Befehl und sie galoppierten in die Winternacht, sogleich begannen die Kufen des Schlittens zu leuchten und er hob vom Boden ab.
In Windeseile hatte der Weihnachtsmann die Stadt erreicht, in der sich Tobias Pizzadienst befand. In der Nähe der Pizzeria ließ er seinen Schlitten auf einem Dach landen und kletterte behände hinab, um in eiligen Schritten die Pizzeria zu betreten.
Der Weihnachtsmann stellte sich vor und man reichte ihm einige Pizzakartons, welche er in seinen Sack verstaute. Dieser hielt die Pizzen sicher warm und er musste nicht so schwer tragen.
Der Mann in Rot bezahlte nicht nur seine Rechnung, er gab auch ein Trinkgeld, das ein Weihnachtsgeschenk für die Pizzabäcker bedeutete. Es war in der Tat so fürstlich, dass sie zum ersten Mal, seit 27 Jahren, Weihnachten und ein paar Tage mehr nicht arbeiten müssten. Da weinten sie vor Glück und bedankten sich herzlich, sie hatten einen Urlaub geschenkt bekommen!
Der Weihnachtsmann freute sich sehr, nicht nur konnte er seinen Wichteln eine Freude machen und Tobias seinen Wunsch erfüllen. Er konnte auch diesen Menschen ein frohes Fest bescheren.
Er bestieg wieder den Schlitten und war in Windeseile wieder an der Werkstatt. Dort wurde er schon von großen, freudigen Wichtelaugen erwartet. Es dauerte nicht lange bis der Weihnachtsmann alle Pizza verteilt hatte, man könnte fast meinen, er war im Verteilen von Dingen, schon viele Jahre erfahren.
Ein Schmatzen, ein Genießen und auch so manchens Bäuerchen erschallte durch die Weihnachtswerkstatt. Tobias Wunsch erfüllte sich und machte Wichtel und Weihnachtsmann sehr glücklich.
Durch diese neue Energie befeuert, suchte der Weihnachtsmann sogelich nach neuen Lösungsmöglichkeiten um die Überarbeitetung seiner Wichtel zu verringern. Er ließ noch in der Weihnachtszeit die Werkstatt ausbauen, sodass sich immer mehr Wichtel um die vielen Anfragen kümmerten.
Doch nicht nur das, seit dieser Saison, hielt der Weihnachtsmann ein jedes Jahr ein großes Pizza essen ab. Die Gräben, welche sich einst gezogen hatten, verschwanden über die Jahre und die Wichtel wurden wieder zu denen, die wir heute alle kennen: Die Frohnaturen und eigfrigen Helfern des Weihnachtsmanns.
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14.12.2022 © Felix Hartmann