Die restliche Woche war vollgepackt mit Hausaufgaben und Unterricht. Zudem trainierte Gryffindor besonders hart für das bevorstehende Spiel gegen Ravenclaw, sodass Harry und ich einander nur noch bei den gemeinsamen Unterrichtsstunden über den Weg liefen. Wenn ich einmal Gesellschaft suchte, was selten genug der Fall war, war ich gern mit Ginny zusammen, die eine angenehme unkomplizierte Art an sich hatte. Doch dieser Tage hing sie ständig an Dean Thomas, das man nicht wusste, wessen Hände wem gehörten, sodass ich sie zu meiden begann.
Malfoy sah ich nur von weitem, da er sich kaum im Gemeinschaftsraum blicken ließ und, wie Harry schon bemerkt hatte, sonderte er sich auffällig oft von uns anderen ab. So wanderten wir beide einsam durch die Gänge und es traf mich, wie Recht er damit hatte, dass es keinen Ort zu geben schien, an den ich gehörte. Ich fühlte mich nicht normal und zugehörig bei meinen Geschwistern und ungewollt zwischen den Slyterhins. Ich sehnte mich nach einer Seele, die mich bis auf den tiefsten Grund ihres Herzens verstand. Ich redete mir ernsthaft ein, dass das allein der Grund dafür war, dass ich mich zu Draco Malfoy hingezogen fühlte.
Ich stand wieder einmal allein an einem der bodenlangen Fenster in der Eingangshalle und starrte gedankenverloren auf die sonnendurchfluteten Ländereien hinaus, als sich das große Eichenportal öffnete und eine Schar Schüler ins Schloss spuckte. Es war die Quidditchmannschaft von Gryffindor, die von zahlreichen Zuschauern flankiert wurde. Die meisten davon waren Mädchen, die Harry glühende Blicke der Bewunderung zuwarfen.
Angewidert wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg, zurück in die Kerker, da ich annahm, er hätte ohnehin jetzt keine Zeit für seine Slytherinfreundin, doch hastige Schritte hinter mir und seine Stimme strafte meine Vermutungen Lügen. "Kim, hast du ein paar Minuten?"
Ich drehte mich um. Er trug die scharlachrote Quidditchrobe. Sein Haar war vom Training zerzaust und seine Wangen gerötet. Wie immer sah er nach dem Fliegen glücklicher und gelöster aus als sonst. Wieder raste mein Herz. Seit ich die Dämpfe des Trankes eingeatmet hatte, schien es mir kaum mehr zu gehorchen.
"Klar", sagte ich nur.
"Wollen wir eine Runde über die Ländereien gehen?"
Offenbar wollte er keine Zuhörer. Ich nickte und wir verließen gemeinsam das Schloss. Die Sonne befand sich bereits im Landeanflug, was hieß, dass uns nicht mehr viel Zeit bis zur Sperrstunde blieb.
"Ich wollte dir von der letzten Stunde mit Dumbledore erzählen. Ich möchte nicht, dass du den Eindruck hast, dass ich nicht offen zu dir bin."
Es war klar, dass er auf meine heftige Reaktion aus der letzten Zaubertrankstunde anspielte, was mich verlegen machte. "Oh - okay. Und?"
"Er hat mir wieder Erinnerungen gezeigt. Es war etwas wirr. Offenbar hat Voldemort in seiner Jugend für Borgin und Burkes gearbeitet und sollte wertvolle Gegenstände auftreiben. Er war bei einer alten Hexe, die ihm einen goldenen Becher und ein Medaillon gezeigt hat."
Ich starrte ihn an und als klar wurde, dass nicht mehr kam, fragte ich misstrauisch: "Das wars?"
"Dumbledore meint, es ist wichtig, diese Dinge über Voldemort zu wissen", erwiderte er nur.
Ich starrte ihn an und fragte mich ernsthaft, ob er mir wirklich alles erzählte. Durfte er diese Dinge überhaupt mit jemandem teilen, vorallem wenn dieser Jemand eine Slytherin war? Sah er mich wirklich mit so unbefangenen Augen wie er mich glauben lassen wollte? Dass ich in Slytherin war hatte all die Jahre nie zwischen uns gestanden, doch seit Voldemort zurück war, spürte ich eine seltsame Distanz zwischen uns, die ich mir nicht anders erklären konnte.
"Ich wüsste wirklich nicht, wie dir das in einem Kampf gegen ihn helfen sollte", platzte es schließlich aus mir heraus.
Harry war sofort wütend, was mir zeigte, dass er insgeheim genauso dachte. "Wenn Dumbledore meint, es sei wichtig für mich zu wissen, wird das seine Gründe haben."
"Du kannst nicht blind auf Dumbledore vertrauen, Harry. Er lässt dich am Ende die Drecksarbeit machen. Das hast du selbst gesagt. Du bist es, der Voldemort töten muss. Was sollst du tun? Ihn mit den Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit zu Tode langweilen?", entgegnete ich laut.
"Es war dumm von mir, zu erwarten, dass du es verstehst", sagte er verärgert, doch in seinem Blick lag nichts als verzweifelte Enttäuschung.
Seine Worte triggerten etwas in mir, das mich sofort wieder in die Luft gehen ließ. "Wie sollte ich es auch verstehen? Ich als gemeine Slytherin, die höchstens dafür gut sein kann, ihresgleichen auszuspionieren."
"Deinesgleichen?", fragte Harry geschockt. "Damit meinst du ja hoffentlich nicht Draco Malfoy. Kim, du bist nicht wie die. Wieso glaubst du auf einmal, es spiele eine Rolle für mich, in welchem Haus du bist?"
Weil es für mich plötzlich eine Rolle spielte, wurde mir schlagartig klar, doch ich schwieg.
"In einer Stunde ist das Abendessen bei Slughorn", sagte er plötzlich und ließ mich nicht aus den Augen.
"Ich habe keine Lust darauf", sagte ich ehrlich.
"Bitte komm mit. Ich will da nicht alleine hin", bat er sanft.
Ich sah ihn an. "Wer sagt, dass du dahin gehen solltest?"
Er zögerte mit seiner Antwort. Es war nicht einmal eine Sekunde, doch ich bemerkte es. "Dumbledore sagt, ich solle mich gut mit ihm stellen."
"Ich wette, er hat dir nicht gesagt, warum du das tun sollst"
Er sah mich herausfordernd an. "Nein, hat er nicht."
Ich schwieg. Die Dunkelheit brach herein, es wurde kalt. Ich hätte gehen können, um mich weiter in meiner Einsamkeit zu suhlen, aber etwas an der Art, wie Harry mich gebeten hatte, ihn zu begleiten, machte es mir unmöglich, nein zu sagen. "Wir sehen uns in einer Stunde vor Slughorns Büro."
Es war irgendwie seltsam, sich zu so später Stunde allein mit Harry in den Gängen zu treffen. Normalerweise waren wir immer mit Ron und Ginny unterwegs oder eben tagsüber auf den Ländereien. Ihm schien es ähnlich zu ergehen, denn er hatte ein leicht verlegenes Lächeln aufgesetzt. "Wollen wir es hinter uns bringen?"
Ich musste lachen und nickte. Er klopfte und Slughorns riesiger Bauch erschien ihm voran in der Tür. "Harry, mein Junge! Ich habe schon befürchtet, Sie kommen nicht mehr! Und Miss Weasley haben Sie auch gleich mitgebracht. Kommen Sie nur herein, die anderen sind schon anwesend."
Ich trat hinter Harry in Slughorns Büro, das aus ausladenden Ledermöbeln, einem imposanten Kamin, in dem ein herrliches Feuer prasselte, und deckenhohen prallgefüllten Bücherregalen bestand. In der Mitte des Raumes befand sich ein großer runder Tisch, der mich an König Arthurs Tafelrunde denken ließ. Dort saßen einige mir bekannte, aber auch unbekannte Gesichter, darunter ein blondes Ravenclawmädchen mit verträumten Blick, ein stämmiger Gryffindor, der mir anzügliche Blicke zuwarf und ein Ravenclawjunge.
Ich riss die Augen auf, als ich meinen Blick über die Anwesenden schweifen ließ. "Ginny?"
"Ich habe Ihre Schwester in einer ähnlichen Situation erwischt, wie Sie Kimberly", sagte Slughorn und schien das äußerst belustigend zu finden. "Sie hat einen äußerst beeindruckenden Flederwichtfluch auf einige Slytherins losgelassen, die eine Erstklässlerin geärgert haben."
Grinsend ließen Harry und ich uns neben Ginny nieder, während Slughorn uns mit dem Rest bekanntmachte. Da waren noch Neville Longbottem aus Harrys Jahrgang und Blaise Zabini aus meinem Slytherinjahrgang. Der andere Gryffindor wurde als Cormac McLaggen vorgestellt. Das blonde Ravenclawmädchen mit dem verträumten Blick war Luna Lovegood, eine Freundin von Ginny und ihr Mitschüler hieß Anthony Goldstein. Während Slughorn ihre Namen nannte, fügte er hinzu, womit sie es sich verdient hatten, an diesem exklusiven Abendessen teilnehmen zu dürfen. In den meisten Fällen wie bei McLaggen, Goldstein, Zabini und Harry war es einfach die Tatsache, mit berühmten Hexen und Zauberern verwandt zu sein. Wobei Harry sicher noch einmal eine gesonderte Rolle zukam. Einfach, weil er war, wer er war. Ginny, Luna, Neville und ich hatten offenbar große magische Eigentschaften, von denen Slughorn allein zu wissen glaubte. Ich begnügte mich damit, das Essen zu genießen, während ich mit Ginny über Zabinis Schleimereien bei Slughorn lästerte.
Der Abend plätscherte so dahin und ich war nicht böse, als Slughorn uns gegen zehn entließ. Harry, Ginny, Cormac und Neville gingen gemeinsam mit den beiden Ravenclaws zum Treppenaufgang, um in ihre Gemeinschaftsräume zu gelangen, die sich in zwei von Hogwarts höchtsten Türmen befanden, während ich mich zusammen mit Zabini umwandte, um den unterirdischen Gemeinschaftsraum der Slytherins zu betreten. Er sprach kein einziges Wort mit mir und ich war froh darum.
Als wir den Slytheringemeinschaftsraum betraten, löste sich eine einzelne Gestalt aus dem Sessel am Feuer und kam auf uns zu. Es war Malfoy. Mir schwante sofort nichts Gutes, wenn ich um diese Zeit mit den beiden allein war, da ich immer noch auf Malfoys Rache für meinen Stupor wartete.
Doch statt eines Fluches, schenkte er mir ein träges Lächeln, das mich vollkommen aus dem Konzept brachte, ehe er sich an Zabini wandte. "Und? Wie war es?"
Zabini zuckte die Schultern. "Das Essen war gut. Die Gesellschaft eher weniger."
Ich wandte mich ab und ließ die beiden allein, während Zabini über die anderen Mitglieder des Slugclubs herzog. An der Treppe, die zu den Mädchenschlafsälen führte, wandte ich mich noch einmal um und begegnete erneut Dracos durchdringendem Blick, ehe ich mich verstört abwandte und nach oben ging.