Am nächsten Morgen brachten Dracos Eltern sie zum Bahnhof Kings Cross und zum Hogwarts Express. Auf der langen Fahrt Richtung Norden teilten sie sich ein Abteil und spielten wieder einmal mit ihren Schokofroschkarten. Harry war jedoch nicht so richtig bei der Sache.
„Was ist denn eigentlich mit dir los?“, fragte Draco irgendwann.
„Nix.“, antwortete Harry einsilbig.
„Ach komm, verscheißer mich nicht! Du bist schon seit Wochen irgendwie neben dir.“
„Na und?!“, entgegnete Harry viel aggressiver als er eigentlich wollte. „Entschuldige, aber ich schlafe nicht besonders gut seit dieser Sache mit Quirell.“
„Und das kannst du deinem besten Freund nicht erzählen?“, erwiderte Draco.
„Was würde das denn ändern?“, antwortete Harry. „Ich kann nur nicht vergessen wie er mich benutzt hat. Du würdest das nicht so fragen, wenn du es selbst erlebt hättest!“
„Deshalb frag ich ja!“, sagte Draco ungehalten.
„Ich will nicht darüber reden, okay!“, entgegnete Harry.
„Ist ja gut. Musst ja nicht gleich ausrasten.“
Draco ließ das Thema auf sich beruhen. Als sie am Abend in Hogsmead ankamen wunderte sich Harry zunächst, dass sie niemand zu sich rief. Dann aber rollten herrenlose Kutschen herbei.
„Wir fahren gar nicht über den See?“, fragte Harry.
„Gott sei dank! Ich bin noch Seekrank vom letzten Mal.“, antwortete Draco.
Die Kutschen rumpelten den Weg hoch zum Schloss. Harry war sich sicher, dass er den ganzen Abend nicht mehr sitzen könne, so sehr wie es sie auf den alten Holzbänken herumwarf. Da waren ihm die Boote dann doch lieber.
Am Schloss angekommen gingen sie die Stufen hoch in die Große Halle und setzten sich an den Tisch der Slytherins. Es dauerte eine Weile, doch dann öffnete sich das große Eichenportal und Professor McGonnagal führte die Erstklässler herein. Harry erinnerte sich noch gut daran wie er dort stand und gezittert hatte, weil niemand wusste, was mit ihnen geschehen würde. Die Erstklässler sahen genauso nervös aus. Sie wurden auf ihre Häuser aufgeteilt. Bei dem Namen „Weasley, Ginneava“ sah er jedoch genauer hin. Er hatte Ginny letztes Jahr am Bahnhof getroffen. Sie durfte damals jedoch noch nicht mit und hatte geweint. Jetzt saß sie auf dem Hocker und blickte ängstlich drein. Der Sprechende Hut berührte kaum ihre roten Haare als das er „GRYFFINDOR!“ ausrief. Erleichtert ging Ginny zu ihren Brüdern am Gryffindortisch.
„Noch ein Weasley!“, sagte Draco. „Die vermehren sich ja wie die Karnickel!“
„Sei nicht so unfair. Du kennst sie doch gar nicht.“, erwiderte Harry.
„Glaub mir, kennst du einen Weasley, dann kennst du alle.“
„Das sagst du doch auch nur, weil dein Vater das sagt.“, hielt Harry dagegen.
„Na und? Er hat doch recht! Die wollen Reinblüter sein und leben fast wie die Obdachlosen. Und totale Muggelfreunde sind sie auch! Arthur ist im Ausschuss zum Missbrauch von Muggelartefakten. Angeblich behält er das Zeug selbst, wenn sie es beschlagnahmen. Mein Vater versucht seit Jahren ihm was nachzuweisen.“, sagte Draco.
Harry stemmte die Arme auf den Tisch und legte sein Kinn in die Hände. So langsam verstand er was Severus meinte, wenn er sagte man solle sich aus diesen Dingen lieber raus halten. Am Ende stritt er sich noch mit seinem besten Freund wegen dieser blöden Weasleys!
Als die Erstklässler alle aufgeteilt waren erhob sich Dumbledore und bat um Ruhe.
„Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Zunächst möchte ich euch euren neuen Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste vorstellen: Professor Gilderoy Lockhart!“
Harry und Draco sahen sich mit entgeisterten Gesichtern an. Sie hatten so sehr gehofft, dass es sich um einen schlechten Scherz von Severus handelte, aber nein, dort saß er. Wieder in seinen lila Umhang gekleidet und das goldene Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er erhob sich und grinste so, dass man seine blitzenden Zähne sehen konnte. Harry fiel auf, dass vor allem die Mädchen gar nicht mehr aufhören konnten zu klatschen und ihm schwärmerische Blicke zuzuwerfen.
„Danke! Danke! Danke! Ich bin immer bereit für ein gutes Publikum!“, sagte Lockhart überschwänglich.
Severus, der genau neben ihm saß, verdrehte nur genervt die Augen. Als Lockhart ob des frenetisches Jubels der weiblichen Schülerschaft anfing Kusshände zu verteilen als habe er gerade den ersten Platz bei einem Pferderennen gemacht packte Severus ihn an seinem Umhang und zog ihn zurück auf den Stuhl.
„Huch, wie ungeschickt von mir!“, sagte Lockhart und winkte ein letztes Mal in die Menge.
„Bei Merlins Bart!“, rief Draco aus und schlug mit dem Kopf auf die Tischplatte. „Womit haben wir das nur verdient!?“
„Vielleicht ist das irgendeine Art von Strafe?“, sagte Harry.
„Und wofür? Dumbledore! Echt ey! Wenn er keine von Du-weißt-schon-wer besessenen Lehrer hat, dann muss es wohl einer sein, der komplett gaga ist! Vater hat eben doch recht, was ihn angeht! Völlig verkalkt, der Alte!“, erwiderte Draco aufgebracht.
„Harry hätte gern gesagt, dass Dumbledore schon seine Gründe habe, um ausgerechnet Lockhart zu ihrem Lehrer zu machen, doch ehrlich gesagt glaubte er das selbst nicht so recht. Ihm fiel schlicht auch kein vernünftiger Grund ein warum man dieses Goldlöckchen überhaupt irgendwo einstellen sollte.
Als das Festessen serviert wurde konzentrierten sich Harry und Draco auf die leckeren Würstchen und Steaks statt auf ihren kommenden Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Später lagen sie satt und zufrieden in ihren Schlafsaal.
Vielleicht wurde es ja gar nicht so schlimm?, dachte Harry. Er hatte ja keine Ahnung! Am ersten Schultag war das erste, was Lockhart tat einen Test zu schreiben und zwar mit Fragen ausschließlich über ihn. Was ist Gilderoy Lockharts Lieblingsfarbe? Wann ist Gilderoy Lockharts Geburtstag? In welchem seiner Bücher kämpft Gilderoy Lockhart gegen die Todesfee von Bandon? Es ging über zwei Seiten so weiter. Harry und Draco sahen sich an. Sein Freund war schon wieder drauf und dran mit dem Kopf auf den Tisch zu schlagen.
„Nun, da wir diesen kleinen Test hinter uns haben beginnt der wahre Ernst des Lebens!“, sagte Lockhart und grinste einmal mehr. „Ich werde euch heute mit einigen der schrecklichsten Kreaturen bekannt machen, die es auf dieser Erde gibt!“
Lockhart holte einen Käftig hervor, der bis zum brechen voll war mit kleinen, blauen Wichteln. Sie schrien und steckten ihre kleinen Ärmchen heraus als wollten sie den Ersten, den sie zu fassen kriegten die Augen auskratzen.
„Das sind ja nur Wichtel!“, sagte Seamus Finnigan. Ein Gryffindor mit einer Affinität zu Feuer.
„Richtig, frisch gefangen in Cornwall!“, antwortete Lockhart und ihm schwoll die Brust. „Trickreiche, kleine Biester. Ich bin gespannt wie ihr mit ihnen klar kommt!“
Lockhart öffnete den Käfig und sofort stürzten sich gefühlt hundert Wichtel auf die Klasse. Die Schüler schrien auf. Manche verkrochen sich unter ihren Tischen, doch die meisten flohen in Panik aus dem Klassenraum.
„Keine Sorge, ich kenne den perfekten Zauberspruch!“, rief Lockhart, doch bevor er auch nur den Mund aufmachen konnte klaute ihm einer der Wichtel im Flug den Zauberstab aus der Hand und streckte ihm die Zunge raus.
„Ach, ihr beiden da, seid so gut und sperrt sie wieder ein, ja?“, sagte Lockhart und verschwand durch die Tür.
Harry und Draco wurden sich erst jetzt gewahr, dass sie die einzigen waren, die noch im Klassenzimmer saßen. Sie hatten das Geschehen beobachtet als seien sie im falschen Film. Jetzt jedoch waren sie allein und standen einer Horde Wichtel gegenüber, die das Klassenzimmer nach allen Regeln der Kunst auseinander nahm. Sie warfen Schränke um, rissen Seiten aus Büchern und Kerzenleuchter aus ihrer Verankerung.
„Wie sollen wir das bitte anstellen?“, rief Draco und schlug mit einem seiner Bücher nach den Wichteln.
Harry hatte keine Ahnung. Ihm fiel kein Zauberspruch ein, der ihm hier nützlich sein konnte. Also ging er zu den Fenster und öffnete eins nach dem anderen. Dann schnappte er sich einen Besen und drückte Draco ebenfalls einen in die Hand. Gemeinsam versuchten sie die Wichtel nach draußen zu scheuchen. Sie hatten wirklich keinen Schimmer wie lange sie sich damit abmühten. Am Ende jedoch schaffte sie es, die Wichtel zu vertreiben. Im Klassenzimmer sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Draco schleuderte voller Ärger den Besen zu Boden.
„Das reicht! Die denken wohl wir sind komplett bekloppt!“
Harry verstand den Wutausbruch seines Freundes. Sie hatten sich hier stundenlang gequält, während Lockhart und die anderen sich vermutlich darüber totlachten. Sie schnappten sich ihre Schulsachen und machten sich auf den Weg in die Kerker. Den ganzen Weg über zeterte Draco lautstark vor sich hin und dachte sich möglichst schlimme Namen für Lockhart aus. Als sie jedoch den Flur im Zweiten Stock kreuzen blieben sie abrupt stehen. Eine Katze hing verkehrt herum an einem der Kerzenleuchter und mit blutroter Schrift war an die Wand geschrieben:
Feinde des Erben nehmt euch in acht! Die Kammer des Schreckens wurde geöffnet!
„Dabei ist noch gar kein Halloween.“, meinte Draco.
Harry ging näher heran. Mit Schrecken stellte er fest, dass es Misses Norris war. Die Katze des übellaunigen Hausmeisters Filch.
„Das ist Misses Norris!“, sagte Harry.
„Echt? Na ja, diese Katze war mir schon immer unsympathisch.“, antwortete Draco.
Mit einem Mal hörten sie das Getrampel vieler Füße. Schüler tauchten auf und blieben wie angewurzelt stehen. Moment, dachte Harry, kamen die etwa gerade vom Abendessen? Wie lange hatten sie denn gebraucht diese verdammten Wichtel zu verscheuchen!?
„Aus dem Weg! Was ist das hier für ein Auflauf? Weg da! Weg da!“, hörte Harry ausgerechnet Filch schreien.
Er packte Draco und wollte in die Menge abtauchen, doch der Hausmeister war schneller. Der blickte erschrocken von der Katze zu dem Schriftzug an der Wand und von da zu Harry Und Draco.
„Ihr!“, rief er und deutete mit dem Finger auf sie. „Wart ihr das!?“
Harry und Draco schüttelten vehement den Kopf, doch Filch packte sie mit jeweils einer Hand am Kragen.
„Ihr habt meine Katze umgebracht, ihr elenden, dreckigen Blagen!“
Harry kniff kurz die Augen zu, weil er dachte Filch würde gleich ausholen und ihm eine knallen.
„ARGUS!“, schrie plötzlich Professor McGonnagal. „Was tun Sie da?“
Der Hausmeister ließ sogleich von ihnen ab. Harry sah zu Professor McGonnagal und das ihr noch Dumbledore, Severus und zu allem Überfluss Lockhart folgten.
„Die haben meine Katze ermordet!“, rief Filch in deutete auf die beiden Jungs.
„Haben wir nicht!“, verteidigte sich Draco.
„Ach seid still!“, erwiderte Filch voller Zorn. „Ihr wart hier also seid ihr's auch gewesen!“
Dumbledore trat näher an die Katze heran und untersuchte sie.
„Sie ist nur versteinert, Argus.“, sagte er schließlich. „Und ich bin mir sicher, dass kein Zweitklässler dazu in der Lage wäre.“
„Und was machen sie dann hier?“, rief Filch und trat wieder auf sie zu. „Genau! Was macht ihr hier? Spuckt's schon aus!“
„Wir haben Professor Lockharts Wichtel gefangen.“, antwortete Harry.
„Ja, richtig, dieses kleine Malheur.“, sagte Lockhart und lachte auf.
„Das ist überhaupt nicht witzig! Wir haben Stunden gebraucht um die Viecher loszuwerden!“, entgegnete Draco hitzig. Er war wieder auf Hundertachtzig und kurz davor offen auszurasten. Harry war sich jedoch sicher, dass ihnen das in dieser Situation überhaupt nicht gut tun würde.
„Die Hauslehrer bringen ihre Schüler bitte in ihre Gemeinschaftsräume.“, sagte Dumbledore.
Harry war durchaus froh darüber, denn hätte das hier noch länger gedauert, dann wäre Draco sicher noch etwas heraus gerutscht. Vor dem Gemeinschaftsraum der Slytherins fing Severus sie jedoch ab und bedeutete ihnen ihm in sein Büro zu folgen. Harry und Draco leisteten keinen Widerstand. Warum auch?
„Also?“, fragte Severus. „Was ist passiert?“
„Es war genau so wie wir gesagt haben!“, brach es sofort aus Draco heraus.
„Warum regst du dich so auf?“, wollte Severus von seinem Patensohn wissen.
„Weil dieser Lockhart das absolut Letzte ist! Weißt du, was er heute gemacht hat? Erst lässt er uns einen Test schreiben, wo es nur um IHN geht und dann lässt er die Wichtel frei und sagt wir sollen sie wieder einfangen! Der Typ ist komplett bescheuert! Ich geh garantiert in keine einzige Stunde mehr solange der hier ist!“
Severus kratzte sich an der Stirn und schnitt eine Grimasse.
„Ja, da müssen wir jetzt alle durch.“, sagte er schließlich.
„Warum stellt Dumbledore eigentlich diesen Vollpfosten ein?“, fragte Draco.
„Weil es kaum Leute gibt, die diese Stelle haben wollen. Da nimmt man dann halt jeden Bewerber.“, antwortete Severus. „Hört zu, ich bin auch nicht zufrieden, aber mit etwas Glück ist er nächstes Jahr schon wieder weg. Also Augen zu und durch.“
Draco verschränkte die Arme vor der Brust und grummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart.
„Was ist die Kammer des Schreckens?“, fragte Harry nach einem Augenblick.
„Das ist eine Legende. Angeblich hat Salazar Slytherin eine geheime Kammer in das Schloss eingebaut in der ein Monster haust, dass die Schule von allen unwürdigen Schülern reinigen soll. Das ist ein Gespenstergeschichte, nichts weiter.“, sagte Severus.
„Aber Misses Norris ...“, begann Harry.
„Da hat sich jemand einen äußerst schlechten Scherz erlaubt.“, entgegnete Severus. „Es gibt weder eine Kammer noch ein Monster und wer immer das war wird ordentlich was auf den Deckel bekommen.“
„Hmm.“, machte Harry. „Was heißt unwürdige Schüler?“
„Das heißt, dass er es auf Muggelgeborene abgesehen hatte. Schüler aus Nichtmagierfamilien.“, sagte Severus.
„Also hat Slytherin dieses ganze Ding mit der Ausgrenzung angefangen?“, fragte Harry.
„Das war eine andere Zeit. Die Magier wurden verfolgt und er hielt die Muggelstämmigen wohl für Spione oder dergleichen. Das ist über tausend Jahre her.“, erklärte Severus. „So, und jetzt macht, dass ihr in euren Gemeinschaftsraum kommt.“
Harry und Draco nickten und gingen.