Der Roboter
„Bist du der Roboter?“ fragte der Ritter.
„Mein Gott, wer seid denn ihr und wo kommt ihr denn her!“ sagte eine Marionette, die einen Roboter darstellte.
„Gott sei Dank!“ sagte der Ritter und begann zu erzählen, wie sie seit Stunden durch die unbekannte riesige Stadt irrten, wie sie versuchten im Regen trocken zu bleiben, wie sie versuchten, dem Plan des Professors zu folgen, wie sie schon mehrfach davor waren, die Hoffnung zu verlieren und umzukehren, wie sie, als der Morgen sich schon ankündigte doch noch diese Gartenlaube gefunden hätten – und jetzt wären sie eben hier.
„Die Prinzessin hat das Häuschen hier entdeckt!“ lobte er Löwe, „Wir sind der Löwe und der Ritter vom Marionettentheater!“
„Das sehe ich,“ sagte der Roboter „aber was wollt ihr hier? Was wollt ihr denn von mir?“
„Du musst uns helfen!“ sagte der Ritter und er begann zu erzählen, wie er entdeckte, dass sie durch Fäden gebunden waren, wie sie die Fäden loswurden und sich auf den Weg in die echte Welt machten.
„So, und jetzt seid ihr hier, in der echten Welt, bei mir, wo es Regen gibt!“ er lachte und begann zu erzählen: „Passt auf, ich könnt mich Bobbi nennen, mir ging es am Anfang eigentlich ganz ähnlich, diese Neugier nach draußen, dieser Wunsch, etwas anderes zu machen und so weiter. Ich war dann die ersten Tage völlig orientierungslos. Mein Gott, wie lange ist das her. Ich streifte damals tagelang durch die Stadt, bis ich auf Thommi traf. Ein toller Junge, wir interessierten und beide sehr für alles, was mit Technik zusammenhing. Kein Wunder, ich bin ja ein Roboter.“ Er lachte und fuhr fort: „Wir freundeten uns schnell an und bastelten die tollsten Dinge, wir träumten immer davon, ein Gerät zu bauen, mit dem man auf Straßen fahren, in der Luft fliegen und auf dem Wasser schwimmen kann. Es ist uns leider nie gelungen, aber es war eine schöne Zeit. Ja, verrotten, wer hat euch denn das erzählt? Man muss sich halt abtrocknen, wenn man nass geworden ist, ab und zu auch den Lack erneuern.“
„Und was machst du jetzt?“ fragte die Prinzessin
„Das seht ihr doch, ich wohne hier in der Laube. Thommi lebt mit seinen Eltern in dem Haus, er ist jetzt 32 und Elektroingenieur. Wir basteln immer noch viel Elektrozeug. Zwischendurch zocken wir und hängen im Internet rum – es ist echt toll. In den letzten Jahren haben wir eine supertolle Modelleisenbahn gebastelt und wir lassen Drohnen fliegen.“
Allen dreien stand der Mund offen und sie wussten nicht, was sie sagen sollten. Die Prinzessin fing sich als erste und fragte: „Und Bälle? Gehst du hier oft auf Bälle?“
„Nein“, sagte Bobbi, „Bälle gibt es hier nicht. Jedenfalls könnte ich als Marionette nicht auf einen Ball gehen.“
„Und Drachen?“ fragte der Ritter „Gibt es hier Drachen? Ich will doch Heldentaten vollbringen.“
„Nein, natürlich nicht!“ lachte der Roboter.
„Und dann gibt es wohl auch keine wilden Tiere hier?“ fragte der Löwe enttäuscht.
„Nein,“ sagte Bobbi „Gott sei Dank – nur ein paar Hunde und Katzen. Wenn ihr wollt, könnt ihr erst mal bei mir bleiben, bis ihr was Besseres findet.“
Nachdem die ersten Tage vergangen waren und der Roboter mal wieder ewig im Internet rumhing, meinte die Prinzessin zu den beiden anderen: „Also, ich weiß nicht, irgendwie ist das nicht so das, was ich mir vorgestellt habe!“
„Willst du denn wieder zurück?“ meinte der Ritter.
„Nein, aber es muss doch irgendwo hier auch einen anderen Ort geben. Einen Ort, an dem wir finden, was wir gesucht haben – so etwas wie ein richtiges Leben. Mit Bällen, mit Drachen, mit wilden Tieren, einfach mit Abenteuern, wo wir einfach richtig leben können?!“
„Wir müssen mal mit Bobbi reden – vielleicht weiß der, was wir machen können.“
Als Bobbi einmal ins Haus ging um etwas zu erledigen passten sie ihn auf dem Rückweg ab und begannen ihn zu fragen. Er verstand zwar nicht, warum sie ein Problem hätten und was ihnen nicht gefiele aber er meinte: „Wenn ihr ´richtig´ leben wollt, dann müsst ihr weiterziehen. Es gibt da diese alte Erzählung von der Zauberinsel weit weg im Meer. Dort werden alle Wünsche wahr – dort bekommt man eine Antwort auf alle Fragen, ich weiß aber nicht, ob es diese Insel tatsächlich gibt.“
„Das wäre ja toll! Wir müssen diese Insel unbedingt finden!“ meinte der Ritter, „Komm, wir ziehen gleich los!“
„Halt,“ meinte Bobbi, „ihr braucht ein Boot, ein Schiff!“
„Ein Schiff, wo sollen wir denn ein Schiff herbekommen?“ stöhnte die Prinzessin auf.
Bobbi lächelte verschwörerisch und sagte: „Ich wüsste da eines! Ich habe einmal eines gebaut!“
„Gebaut?“ der Löwe starrte ihn erwartungsvoll an.
„Ja, ich habe es vor vielen Jahren mit Thommi gebaut. Wir haben ein großes altes Fass von einer Brauerei bekommen – das haben wir umgebaut. Es hat sogar eine Kabine, einen kleinen Motor und ein Segel. Ich kann es euch gerne geben, ich würde mich freuen, wenn es endlich jemand benutzen würde.“
„Kommst du mit?“ fragte der Löwe-
„Ich. Äh, ich würde natürlich sehr gerne mitkommen aber ich muss hier so viele Dinge noch erledigen, wisst ihr? Ich habe so viele Termine, die kann ich nicht einfach so kurzfristig absagen!“ antwortete Robbi.
„Ach so, wir dachten schon, dass du lieber mit dem Computer spielen willst“ meinte die Prinzessin mit gespielter Ahnungslosigkeit.
Alle strahlten und der Ritter fragte: „Ja, das ist toll – aber wie sollen wir diese Insel denn finden?“
„Ja, das ist nicht so leicht,“ meint Bobbi, „wir müssen das Fass zum Fluss rollen, der hier durch die Stadt fließt, der führt direkt ins Meer. Dort müsst ihr euch zunächst ein paar Tage treiben lassen und dann nach Süden steuern, von da soll einen dann eine Strömung direkt zur Insel bringen. Aber ob das funktioniert und ihr dann wirklich dorthin kommt? Das weiß ich nicht!“
Die Fahrt
„Und du willst wirklich nicht mitkommen?“
„Nein!“ sagte Bobbi und die Drei versuchten erst gar nicht mehr, ihn umzustimmen. Bobbi hatte auch keine Lust mehr, sich dafür mit irgendwelchen Ausreden zu rechtfertigen, zu oft hatten sie schon darüber gesprochen. Er wollte, nach all den langen Jahren, sein bequemes Leben einfach nicht mehr aufgeben.
Sie bestiegen das Fass an einer geeigneten Stelle des Flussufers und Bobbi stieß sie noch ab. Langsam setzt sich das Fassboot in Bewegung und Bobbi winkte ihnen lange hinterher. Auch wenn er es nie gesagt hätte – er hätte heulen können.
Der erste Tag auf dem Fluss verlief fast ereignislos. Einmal bleiben sie an einer flachen Stelle hängen. Eine nette junge Familie half ihnen, wieder in Fahrt zu kommen und die Kinder erklärten den Eltern triumphierend: „Da seht ihr es: die Marionetten aus dem Fernseher leben doch in Wirklichkeit!“
Am nächsten Abend wurde der Fluss breiter und sie erreichten die Mündung zum Meer. Die Nacht war sternenklar und sie blickten stundenlang in den Himmel, ohne ein Wort zu sagen.
Sie hielten sich so genau wie möglich an die Anweisungen von Bobbi, doch sie hatten auf dem offenen Meer keinerlei Orientierung. Schließlich verließen sie auch die Vögel, deren Schreie sie so lange begleiteten. Meistens dümpelte das Boot im Wasser, angetrieben von einem schlaffen Segel. Sie verbrachten die Tage mit Sonnen und Ausschau halten. Marionetten verspüren weder Hunger noch Durst – so konnten sie die Fahrt gut ertragen. Ab und zu sahen sie Schiffe – kleine und große in größerer Entfernung vorbeifahren und sie stellten sich vor, zu welcher Insel die Menschen darauf wohl fuhren.
Einmal kam ihnen eines dieser großen Schiffe gefährlich nahe, fast rammte es sie und in den Bugwellen des Schiffes kamen sie sehr heftig zum Schaukeln. Der Ritter verlor den Halt, fiel über Bord und ins Wasser. Die Rüstung zog ihn sofort in die Tiefe und er bekam furchtbare Angst. Er dachte sofort daran, dass er sich unbedingt seine schwere Rüstung ausziehen müsse um wieder nach oben zu kommen, aber es war viel schwieriger, als er es vermutete. Als er schließlich nur noch seinen Unterrock anhatte, trieb er wieder an die Oberfläche -Holz schwimmt ja bekanntlich. Das Boot war noch in Sichtweite und die beiden Anderen paddelten so schnell sie konnten, um ihn zu erreichen. Als sie wieder vereint im Boot saßen, begann der Ritter heftig zu weinen. Die Anderen versuchten ihn zu trösten, so gut sie es konnten – er meinte aber: „Versteht ihr nicht, ich habe Angst gehabt, echte Angst, ich hatte noch nie im Leben so ein Gefühl!“
Am nächsten Tag holte sich die Prinzessin einen Becher aus der Kabine und wollte ihn mit Wasser füllen. „Was machst du da?“ fragte der Löwe.
„Ich habe Durst, ich habe so großen Durst.“
„Halt!“ rief der Löwe, „Weißt du denn nicht, dass man Meerwasser nicht trinken kann?“
Dann starrten sich alle drei mit offenen Augen an.
„Sagtest du gerade, du hättest Durst?“ fragte der Ritter.
Die Prinzessin schwieg nur – sie wusste zu gut, dass Marionetten keinen Durst verspüren.
„Und du Löwe,“ fragte sie „verspürst du auch etwas?“
„Ich habe Hunger, mein Magen knurrt!“
„Du hast keinen Magen – du kannst keinen Hunger haben!“ meinte der Ritter.
„Kann es sein,“ sagt die Prinzessin, „dass wir allmählich richtig zu leben beginnen? Wir haben alle drei Gefühle, die wir nicht haben dürften.“
„Ja,“ stimmten die anderen ein, „wir kommen endlich im richtigen Leben an.“
„Vielleicht liegt das an der Insel, vielleicht hat sie diese Wirkung und wir sind schon ganz in ihrer Nähe?“ meinte der Ritter.
Sie wussten nicht, ob sie lachen sollten oder weinen und so saßen sie stundenlang auf dem Deck des Bootes und starrten auf sie See und genossen den Hunger, den Durst, die Angst und das Gefühl der leichten Brise des Windes um ihre Nase.