„Alexa? Kommst du endlich?“, rief mein Vater die Treppe hinauf. Ich legte die Kopfhörer ab. „Ich heiße Alex!“, antwortete ich, stand auf und warf mir meine Lederjacke über. Schwarz, natürlich. Wie alles in meinem Leben: Meine Haare, mein Zimmer, meine Laune. Die Tür ging auf. „Alexa, hör endlich auf mit diesem Quatsch! Du bist und bleibst unsere Alexa! Es reicht schon, dass du unbedingt deine Haare abschneiden musstest und nur noch Männersachen trägst, aber hör mit dem Unsinn auf, dass du ein Junge bist! Alexa, du bist meine Tochter!“, entgegnete mein Vater aufgebracht. Ohne einen weiteren Kommentar schob ich mich an ihm vorbei und hastete zur Haustür. Die Schritte meines Vaters erklangen hinter mir. Er zog sich die Schuhe an und folgte mir nach draußen, in den strömenden Regen. Mit einem Aufseufzen ließ Pa sich in den Fahrersitz unseres Autos fallen. Ein dicker BMW, noch nicht mal Elektro. Ich hasste es, mit diesem Ding zu fahren! Überhaupt konnte man meinen Vater nicht umweltfreundlich nennen. Er benutzte Einwegplastik, schmiss Müll in die Natur und flog oft mit dem Flugzeug zu irgendwelchen Kongressen in der ganzen Welt. Ich versuchte immer, es ihm auszureden, doch dafür bekam ich nur missbilligende Blicke.
Meine Mum kannte ich nicht, sie hatte uns verlassen, als ich drei Jahre alt war. Im ganzen Haus hing kein einziges Foto von ihr und Dad sprach nie über sie. Einmal hatte er sich nur verplappert, doch auch daraus wurde ich nicht schlau. Mit den Raben durchgebrannt… echote seine Antwort in meinem Kopf herum und warf immer neue Fragen auf.
„Wir sind da!“, eröffnete mir mein Vater, hielt an und stieg aus. Ich folgte ihm und hielt wie erstarrt inne. Wir waren im schicksten Viertel unseres Heimatortes, hier standen nur Villen, die verziert waren mit Stuck und wahrscheinlich fünfzehn mal so viel wert waren wie unsere Wohnung. „Was machen wir hier?“, fragte ich entsetzt. „Hab ich dir das nicht gesagt? Wir besuchen eine Freundin von mir! Sie hat eine ganz entzückende Tochter, ihr werdet euch im Nu anfreunden!“ Ich verdrehte nur die Augen. Eine Antwort wurde von mir offensichtlich nicht erwartet, denn mein Vater lief nun mit langen Schritten auf die prachtvollste aller Villen zu und klingelte. „Alexa, kommst du?“. Wider Willen stellte ich mich an seine Seite und zwang mich zu einem Lächeln. Die Tür öffnete sich– und das, was ich sah, war ein einziger Albtraum.