Der Luftzug der mächtigen Hippogryphen Schwingen hüllte ihn und den Jungen kurz ein, als die Reittiere zur Landung ansetzten. «Vater!» rief Linus und lief Gwydyon entgegen. Nachdem der Blutelf seinen, bereits wieder viel älter gewordenen Sohn, kurz erstaunt gemustert hatte, strahlte er überglücklich und schloss Linus liebevoll in die Arme. «Mein Sohn… mein geliebter Sohn! Es geht dir gut! Ich dachte schon du… bei den Göttern ich bin so froh, dass alles in Ordnung mit dir ist!»
«Dabog hat mir ja auch geholfen und ich habe jetzt viel mehr Kräfte!» meinte der Junge stolz.
Gwydyon hielt Linus nun ein Stück von sich weg und musterte ihn erneut. «Du bist ja auch schon so gross geworden! Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen können, wie schnell das bei dir geht. Kein Wunder hast du jetzt auch mehr Kräfte.»
Dabog trat zu ihnen und meinte: «Linus Kräfte… könnte man tatsächlich als aussergewöhnlich bezeichnen. Er konnte einen mächtigen Dämon mit einem Bann belegen und hat das ganze Lager der Brennenden Klinge mit einer magischen Schockwelle ausgelöscht.»
Etwas Besorgnis erschien in Gwydyons Gesicht. «Aber ihr… seid in Ordnung?»
«Ja natürlich!» rief Linus etwas beleidigt. «Ich tu doch meinen Freunden nicht weh…» Er liess seinen Blick ebenfalls über Aeternias, Egeria und den Dämonen schweifen «und ich tu auch denen nichts Ernstes, die ich noch brauche.»
Sein Vater musterte vor allem den Dämonen argwöhnisch «und du bist sicher, das wir den da auch mitnehmen müssen?»
«Ja, er muss mir schliesslich zeigen, wie ich mit Hilfe des roten Steins einen neuen Körper für Dabog erschaffen kann. Er hat das mit Egeria auch geschafft.» Der Junge deutete auf die blasse Elfin die mit abwesendem Blick etwas abseits stand.
«Sie… scheint mir aber nicht gerade von Leben erfüllt,» flüsterte Gwydyon seinem Sohn zu.
«Sie hat auch keine Seele. Aber wenn sie eine Seele hätte, dann wäre sie genauso wie wir. Kämpfen kann sie jedenfalls schon so gut. Vielleicht ist sie uns ja noch von Nutzen. Sie war einst die Frau von Aeternias.»
«Von diesem… elenden Verräter also!» zischte der Blutelf.
«Ja, aber er hat das alles ja auch getan, weil ihm der Dämon dort drüben versprochen hat, Egeria wiederzuerwecken.»
Gwydyon zog seinen Sohn etwas abseits und fragte: «Diese… untote Kreatur soll also alles riskiert haben, um seine einstige Liebste wiederzusehen? Dann hat er… also doch Gefühle? Ich dachte die Verlassenen besitzen keine solchen mehr.»
«Irgendetwas muss mit ihm wohl einst geschehen sein, das ihn durchlässiger gemacht hat. So ähnlich wie bei Dabog.»
«Aber Dabog hat eine Seele zumindest… seit kurzem wieder.»
«Aeternias scheint auch irgendwelche Gefühle zu besitzen, sonst hätte er Egeria nicht zurückhaben wollen oder mir schliesslich geholfen.»
«Das kann ein Pluspunkt für Aeternias sein, aber ihn auch gefährlicher machen. Er kennt keine wahre Loyalität. Zumindest nicht uns gegenüber.»
«Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Wir sollten ihm nochmals eine Chance geben.»
«Meinst du wirklich?»
«Ja, Dabog ist, soviel ich weiss, auch dieser Meinung.»
Gwydyon ging nun wieder zu dem einstigen Menschenkrieger zurück und fragte leise: «Du glaubst, Aeternias verdient nochmals eine Chance?»
Der Angesprochene dachte kurz nach und erwiderte dann: «Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen. Aber er könnte uns, ebenso wie Egeria, noch von Nutzen sein. Wir müssen ihn aber stets im Auge behalten.»
«Ausserdem habe ich keine Angst mehr von ihm,» sprach Linus keck. «Ich habe jetzt viel mehr Kräfte und er hat keine Chance mehr gegen mich.»
Bei diesen selbstsicheren Worten, seines Sprösslings, konnte sich Gwydyon ein Schmunzeln nicht verkneifen und er nickte zustimmend.
So stiegen der Blutelf, Linus und der Dämon auf den einen Hippogryphen, Dabog, Aeternias und Egeria auf dem anderen. Kurz darauf hatten sie den verderblichen Glutnebelgipfel weit hinter sich gelassen.
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Balduraya ging nervös im Gasthaus auf und ab, als sie auf einmal Ismalas Stimme vernahm: «Sie sind zurück!» Das Herz der Blutelfin machte einen Freudensprung und sie stürzte nach draussen.
Kurz darauf landeten ihr Bruder, zusammen mit Dabog und den anderen, innerhalb des Hains der Silberschwingen. Sogleich packten einige besonders kräftige Elfenwächterinnen den Dämonen, legten ihm einen magiedämmenden Halsreif an und sperrten ihn in ein sicheres Gefängnis. Linus war froh, dass er nun den Zauber, mit dem er den Dämonen in Schach gehalten hatte, wieder zurückziehen konnte.
Balduraya lief zu dem Jungen und umarmte ihn voller Freude. «Du bist zurück! Oh, ich bin so froh!»
«Tante Raya!» rief der Junge, «ich glaube ich werde dir und Dabog jetzt helfen können!»
«Das spielt im Augenblick keine Rolle!» sprach sie und musterte ihn von oben bis unten. «Die Hauptsache ist, dass es dir gut geht. Was bist du gross geworden!»
«Ja, meine Kräfte sind auch sehr gewachsen.»
«Das kann ich mir gut vorstellen. In Zukunft bleibst du aber immer in unserer Nähe, damit nie wieder so etwas, wie diese Entführung, passieren kann. Verstanden?» Ihre Stimme klang nun streng.
«Ja, ich hätte vielleicht nicht rausgehen dürfen in der Nacht. Aber ich wollte einen Zauber ausprobieren. Stell dir vor, es gelang mir sogar die Kopie eines Kaninchens zu erstellen! Leider kann ich ihm aber keine Seele geben.»
«Ich weiss nicht, ob es gut für dich ist, wenn du dich weiter an solchen Zaubern versuchst,» gab Balduraya besorgt zu bedenken. «Vielleicht ist es einfach Schicksal, das Dabog und ich nie richtig zusammen sein können…»
Sie schwieg abrupt, als der beseelte Untote sich ihnen näherte. Als sie diesem in die, wieder neu belebten Augen blickte, die nun wieder so viel Wärme und Liebe ausstrahlten, bereute sie jedoch sogleich wieder, was sie gesagt hatte. Sie bekam weiche Knie und ging auf Dabog zu.
Einen Moment lang, schauten sich die beiden nur an, die Luft zwischen ihnen schien zu prickeln und zu vibrieren.
Und dann umarmte Balduraya den Verlassenen innig! Sie vergass dabei einen Augenblick lang, dass es ein bereits verwesender Körper war, den sie da umarmte. Sie versank ganz in der tiefen Liebe, die sie hinter diesem Körper, hinter diesen Augen befand und einmal mehr spürte sie, wie ihre beiden Seelen, sich zu Einer vereinigten!
Etwas erschrocken löste sich Dabog wieder von der jungen Frau und trat einen Schritt zurück. «Nein! Ich kann nicht!» sprach er und lief fluchtartig davon.
Balduraya erwachte wie aus einer Trance und blinzelte. Dann blickte sie verlegen und unsicher zu Linus herüber. «Es…tut mir leid ich…»
Der Junge nickte verständnisvoll und sprach: «Siehst du er und du, ihr gehört einfach zusammen! Ich werde euch helfen das zu erreichen und wenn es meine ganze magische Kraft kosten mag!»
Dabog hörte die letzten Worte von Linus kaum mehr. Taumelnd entfernte er sich von der Blutelfin und dem jungen Halbdämonen. Die Gefühle die er gerade empfand übermannten ihn regelrecht. Besonders erstaunte ihn, dass sein eigentlich untoter Körper, überhaupt noch zu so heftigen Regungen imstande war. Darum, oder vielleicht gerade deshalb, empfand er ein tiefes Gefühl von Scham und Abscheu, bezüglich selbigem. Wie nur hatte Balduraya ihn so innig umarmen können? War er doch eine schreckliche Abscheulichkeit und einfach nur...
«Ich hätte das niemals zulassen dürfen. Das Ganze ist so widernatürlich…so… so…» Er fand keine Worte dafür.
Mit schnellem Schritt lief er davon, hinaus in die Wildnis des Eschentals. Es war ihm egal, ob da irgendwelche gefährliche Tiere waren, es war ihm egal, was die anderen denken würden. Er musste hier einfach weg. Gerade war er noch so voller Enthusiasmus und Hoffnung gewesen, hatte sogar einen Moment lang geglaubt, dass es eine Zukunft für ihn und Balduraya geben konnte. Doch das alles war und blieb eine Illusion. Linus Kräfte mochten zwar gewachsen sein, doch um einen humanoiden Körper zu erschaffen, reichten diese noch lange nicht aus. Ausserdem konnte es Dabog sowieso nicht verantworten, dass der Kleine sich auf solche Weise belastete, denn die Erschaffung so eines Körpers war und blieb eine Handlung wider die Natur. Es gab einen Grund, warum Sterbliche sterblich waren und es wurde für den ehemaligen Menschenkrieger langsam Zeit, loszulassen. Er musste weitergehen. Das hier, war kein Zustand, den er oder Balduraya auf Dauer aushalten würden. So sehnte Dabog ihre Ankunft in der Nachelfenstadt Darnassus richtiggehend herbei, denn dann würden ihn Linus und die anderen nicht mehr brauchen und er konnte endlich ins Licht gehen und diesen… vermaledeiten, zerfallenden Körper, hinter sich lassen.